|Frankfurt, 12. November.
Mein lieber Freund,
Seit zwei Wochen muß ich meinen
Onkel vertreten u. habe allein das
Feuilleton zu redigiren, was
b bei un
serem
Blatte
eine ungeheure Arbeit i
st, welche den ganzen Tag und einen Theil der Nacht ausfüllt.
Keine freie Viertel
stunde al
so. Seitdem ich Deinen letzten lieben Brief erhielt, will
ich Dir
schreiben und leide
sehr darunter, daß ich es nicht kann. Heut gibt endlich der Sonntag die Möglichkeit zur
Ausführung des lang gehegten Vor
satzes.
Auf Deinen letzten Brief hätte ich Mancherlei zu fragen; aber ich fürchte, ich komme
schon zu
spät. In der Affaire
Schlenther nämlich möchte ich immer wieder zur Mäßigung rathen.
Es
steht etwas
sehr Wichtiges auf dem Spiele: Dein neues
Stück. Was liegt demgegenüber an den drei
Einaktern, die überdies überall in
Deutschland |mit Erfolg gegeben werden,
so daß Du
schließlich
auf die weitere Aufführung in
Wien verzichten
kann
st. Alle Lebenskun
st kommt oft darauf hinaus
, kleine
Conce
ssionen zu machen, um große Ziele zu erreichen. Das große Ziel i
st, daß das
Burgtheater Dein neues
Stück spielt. Ich finde, daß dir
Schlenther durch
seinen Be
such bei Dir bereits alle mögliche Satisfaktion gegeben hat, und ich meine, Du
sollte
st darauf verzichten, ihn weiter zu demüthigen. Alles Sturmlaufen
nu nützt übrigens nichts. Du wir
st dadurch nicht einen feigen und verlogenen
Men
schen zum Muth und zur Wahrheit
brin zwingen, und
Österreich wir
st Du auch
nicht ändern. Ich hätte dem
Schlenther an Deiner Stelle geradezu ge
sagt: »Gut, la
ssen wir’s gehen, aber
spielen Sie
mein neues
Stück!« Und
|wenn es nicht
schon zu
spät i
st, möchte ich Dir
rathen, die Verhandlungen noch in die
sem Sinne zu führen. Kommt es aber zum offenen
Conflict,
so brauche ich Dir nicht er
st zu
sagen, daß Du unbedingt auf mich rechnen
kann
st,
solange ich das
Feuilleton redigire. Wenn freilich mein
Onkel wieder zurück i
st,
so wird wieder der Einfluß
seiner
Frau auf das Feuilleton der
Frankfurter Zeitung beginnen, und dann bin ich
machtlos, und Du kann
st auf nichts mehr rechnen.
An
Wassermann habe ich – Dir zuliebe – einen mahnenden Brief
schreiben la
ssen. Wenn er dennoch eines Tages fällt,
so werde ich
Schwarzkopf und
Hirschfeld × als
seine
Nachfolger
empfehlen.
|Ich hätte – trotz meines Nichtschreibens – gehofft,
in diesen Wochen wieder etwas von Dir zu hören. Wenn Du auf meine Antwort gewartet
hast, so laß’ mich jetzt nicht länger ohne Nachricht und schreibe mir, wie Du lebst
und was Du arbeitest.
In meinem Leben bereiten
sich große Stürme und vielleicht
sehr
schwerwiegende
Ereigni
sse vor. Mein Verhältniß zu
ihr i
st glücklich, dank der Befli
ssenheit einiger intimer
Freundinnen und auch infolge ihrer eigenen
Unvor
sichtigkeit, zum öffentlichen
Gerücht geworden. Die ganze
Stadt spricht zur Zeit davon. Es heißt,
sie werde
sich von ihrem
Manne scheiden la
ssen und mich
heirathen. Der
Klat
sch i
st
so arg geworden, daß mein
Chefredakteur bei mir hat anfragen la
ssen, ob er begründet
sei. Ein hie
siges
|Klat
schblatt, die »
Sonne«, hat bereits einen
Artikel darü da darüber gebracht. Der
Gemahl in
Wien weiß noch nichts. Aber er
soll in einigen Tagen zurückkommen, und dann wird
die Ge
schichte wohl losgehen. Es kommt dazu, daß
sie, von einem plötzlichen Wahrheitsdrang befallen, erklärt,
sie werde ihrem
Manne
gegenüber nicht Alles ableugnen können. Mit banger Sorge
sehe ich der Kata
strophe
entgegen, die kaum mehr aufzuhalten i
st. Wenn ihr
Mann sie ver
stößt, muß ich natürlich
sie aufnehmen. Und was
soll ich in meinen Verhältni
ssen, wo ich meine
Mutter und mich gerade durchbringe, plötzlich mit einer Frau
anfangen?
|Unter die
sen Um
ständen i
st mir die
se kleine
Stadt mit ihrer
giftigen
, ganz ohne Noth bösartigen und gemeinen Klat
sch
sucht
er
st recht zum Ekel geworden, und ich beklage bitter, daß
sich mein Engagement nach
Berlin für die
Neue Freie
Presse zer
schlagen hat. Hör
st Du irgend etwas, wie es mit
Frischauer steht? Und weißt Du vielleicht, wer jetzt in
Paris für die
N. Fr. Pr. i
st?
Grüße mir
Richard,
Schwarzkopf, Deinen
Bruder, Deinen
Schwager und alle die
anderen lieben Men
schen; empfiehl’ mich Deiner Frau
Mutter |und
sei Du
selb
st von Herzen gegrüßt –
von Deinem treuen
Paul Goldmann.