Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique,
financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour. Paris, 2. December.
Mein lieber Freund,
Ich wünsche Dir von Herzen ein glückliches neues Jahr. Im
alten Jahr waren die Tage, die ich mit Dir verlebt, für mich
wohl das Beste. Ich danke Dir ××× vielmals für alle Deine Treue und Güte. . . . . . .
Sehr habe ich mich mit Deinem lieben ausführlichen Briefe gefreut. Er hätte gleich
beantwortet werden sollen. In jenen Tagen hatte ich keine Zeit dazu, und dann kam ein schrecklicher Zusam Zusammenbruch: neue Erscheinungen der gewissen Krankheit, Verschlimmerung des Augenübels, eine vom Arzt
constatirte unheilbare Mydriase, |mit Möglichkeit der Verschlimmerung, vielleicht gar
des Sehverlustes. Was soll ich das Alles aufzählen? Seitdem habe ich nicht mehr die
Kraft, irgend etwas zu thun. Ich gehe nirgends hin, weise alle Besuche ab, bleibe bis
Mittag im Bett liegen und denke nur über das Sterben nach. In den
Schmerz mischt sich die Reue, in die Todes- und Selbstmord-Gedanken die Sehnsucht
nach dem Leben, nach dem ich heißer begehre als je. Das sind schlimme Tage, und Du
begreifst, daß ×h Dein Brief
unbeantwortet bleiben mußte. Nun möchte ich Dir aber trotzdem sagen, daß ich oft an
Dich denke, und so raffe ich mich auf und schreibe Dir doch. . . . . .
|Vor einiger Zeit war ich bei
Thorel. Durch die Directons-Kri
sis im
»
Odéon« und den Weggang
Antoines i
st eine un
serer Combinationen ge
stört
worden.
Thorel hat dem übrigbleibenden Director
Ginisty zwar das
Stück
überreicht; aber das i
st ein Flachkopf, und er wird es kaum acceptiren. Ein anderes
Manuskript i
st zur
Zeit bei
Carré, dem
Director des »
Vaudeville«.
Thorel ist wird auf die
ser Seite mit allen Mitteln arbeiten. Freunde
Carrés sollen in Bewegung ge
setzt
werden,
Pierre Loti,
Thorels intimer
Freund,
soll auch ein Wort mitreden. In den
näch
sten Wochen werden wir Bericht über das Ergebniß erhalten.
Du finde
st in die
sem Briefe 1.) eine
Besprechung der »
Liebelei«
|im »
Rotterdamsche Courant«, die mir der hie
sige
Correspondent des
Blattes, ein guter
Freund von
mir, übergeben hat, um
sie an Dich zu befördern. 2.) Einen Brief von
Brandes an mich 3.) Einen Brief von
Nansen an mich. Beide Briefe bitte ich Dich, mir
zurückzusenden. Beide Briefe
××× hätte ich Dir
schon läng
st
senden
sollen, aber ich wollte
sie er
st
beantworten. Beide Briefe geben auch Dir wohl Anlaß zu einer Antwort an die
Absender.
Die
Kritik in »
Cosmopolis« hat mich
riesig↓riesig↓ gefreut.
Faguet i
st, wie Du wohl weißt, der
Nachf Nachfolger von
Jules Lemaître als Theater-Kritiker im »
Journal des Débats« und einer der größten Literatur-
Bo↓Bonzen↓ von
Paris.
|Die
Aufnahme der
Lausbüberei des
Kraus in die
Frankf. Zeit.
hat mich bitter gekränkt. Ich habe mich
sofort bei meinem
Onkel be
schwert. Die
ser i
st voll
ständig
bona fide, hat
keine Ahnung gehabt, um wen es
sich handelt, und hat die
Sache, wie er mir mittheilt, nur
aufgenommen, weil er
sie »vorzüglich ge
schrieben fand«. Ich vermuthe, daß meines
Onkels Frau dahinter
steckt;
sie dürfte das neue
Genie
Kraus entdeckt haben, das
sieht ihr
schon ähnlich; und mein
Onkel sieht in die
sen
Fällem Fällen nur mit
|ihren Augen.
Auch Oder auch i
st die
Sache via Altenberg gekommen, mit welchem die große
Kritikerin im
Briefwech
sel
steht,
seit
sie ihn als Dichter gekrönt
hat. Ich bin machtlos gegen
solche Dinge, kann nur hinterher wüthend
sein und kann
nicht einmal einer Wiederholung vorbeugen. . . .
Mit großer Theilnahme habe ich die Skizze von Deinem Tagewerk gelesen, die Du mir
entworfen hast. Daß auch Du von körperlichen Leiden geplagt bist, ist recht garstig.
Soviel ich von Medicin verstehe, will mir freilich ein Ohren-Katarrh nicht schlimm erscheinen. Wer weiß, ob Du ihn
überhaupt entdeckt hättest, |wenn Du nicht Arzt
wärest? Wie gern möchte ich ihn noch zu alle dem dazu nehmen, was ich habe! Auf einen
Ohren-Katarrh mehr oder weniger käme es mir, weiß Gott, nicht an, wenn ich Dich von um diesen Preis davon befreien könnte! Aber ich meine, das Ganze ist doch so
unbedeutend, daß Du Unrecht hättest, Dir deßwegen auch nur eine Minute Deines Lebens
zu verstören.
Merkwürdig ist, daß Du trotz all’ dem Schönen, was Du hast, Deines Lebens nicht froh
wirst. Ich komme um vor Sehnsucht und Reue – und Du, der Du Vieles von dem hast, was
ich ersehne, und Vieles noch hast von dem, dessen Verlust ich bereue, – Du bist darum
doch |anscheinend nicht ruhiger noch zufriedener.
Ich werde von der Angst gequält, daß ich werde sterben müssen, ohne je gelebt zu
haben, – und Du, Du lebst und leidest darunter, daß Du Dich nicht leben fühlst. Was sind das für Räthsel? Deine und meine und a
wahrscheinlich aller Menschen Lebensthätigkeit kommt auf diese Weise darauf hinaus,
daß wir, Jeder in seiner Art, unser Leben vertrödeln und verlieren. Was Dich anlangt, so meine ich, Du grübelst zuviel. Du hast zuviel Raum vor Deinen Blicken. Ich × Du solltest Dir selbst Grenzen aufstellen. Die Lösung aller dieser Probleme
|liegt vielleicht darin, daß man sich ein Bett im
Gewöhnlichen graben und ruhig zwischen zwei Ufern hinfließen soll. Das ist zu
bildlich ausgedrückt. Für Dich heißt die reale Übersetzung vielleicht: Du solltest
doch heirathen. Heirathen und Kinder haben – das ist vielleicht der einzige Weg, jene
Übereinstimmung mit dem dunklen Willen der Natur herzustellen, die sich durch inneren
Frieden belohnt. Die Freiheit? Was hat das zu sagen? Sie ist doch nur dazu gut, um
|e einmal Jemandem ein großes Geschenk damit zu machen, und wir machen ei eigentlich nur fortwährend Versuche, sie dem oder
Jenem oder vielmehr Dieser oder Jener h wegzugeben, –
die Freiheit. . . . . .
Arbeite
st Du nun wieder?
Hub Hüb
sch i
st die Idee, ein
Schlußstück zum »
Anatol« zu
schreiben. Auch
soll
Mitterwurzer ruhig den
Cyclus der kleinen Stücke
spielen. Deine ganze Eigenart
steckt doch darin, wenn
sie auch klein
sind. Die Idee der
»
Entrüsteten« gefällt mir
sehr. Es
sollte
|einmal
v schlankweg ein Lu
st
spiel werden. Dazu gehört freilich Ruhe und
Seelen-Heiterkeit; aber Du wir
st
sie
schon wieder finden. Könnte
st Du nicht auf ein
paar Wochen nach dem Süden fahren? Der
Theater-Roman muß wohl er
st
reifen↓reifen↓. Laß’ den
Bahr nur ruhig
vo vorangehen! Was hat denn das für Belang,
was der
M Hanswur
st
schreibt? Du
schein
st übrigens wieder gut
mit ihm
g zu
stehen? Die »
Zeit« i
st
so zucker
süß
für Dich. Was der
Servaes dort über Dich
geschrieben, i
st
|gewiß
sehr
schön; aber der Un
sinn
son
st in dem
Artikel! Und
Bahr als der Entbinder, der
Georg Brandes von
Wien! Das kränkt mich immer bitter, weil
ich
sehe, daß der
Kerl mir per
sönlich etwas
stie stiehlt. Die Jungen
Wiener haben keines Entbinders bedurft; aber wenn
schon
ei Einer da war, der
sie zu
sammenge
sucht hat,
so war
ich es. Als
Bahr nach
Wien kam, waren
schon
Alle Alle da; und
seine
Wirk
samkeit hat
sich darauf be
schränkt, daß er Dich be
schimpft
|und verkannt hat; daß er den
Loris mißver
standen und verdorben hat; und daß er als neues Genie den grotesken
Zieraffen
Andrian gefunden hat. Und das läßt
sich als
Begründer der
Wiener Bewegung prei
sen, deren gute
Lei
stungen immer nur
trotz Bahr ent
standen
sind! . . . .
Die
ser
Dr. Graf, den mir
Richard ge
schickt hat, gefällt mir recht gut. Er hat eine angenehme Art, i
st aber wohl
keine
|starke Per
sönlichkeit und kein
sehr klarer
Kopf. Er
streckt un
sicher
seine Fühlhörner ins
Leben
Leben aus.
Wa Seine
Bahr-Bewunderung habe ich bereits ein wenig er
schüttert; aber es i
st nicht gut
möglich, ihm auszureden, daß
Altenberg ein genialer Dichtergei
st i
st. Wollen
sehen, was man aus ihm machen kann.
Ein
stweilen habe ich ihm kleine Arbeiten für un
ser
Blatt ver
schafft.
Die Die Fragen, die Du an mich
stell
st,
me concernant,
beantworten
sich von
selb
st durch den Eingang die
ses Briefes
|(zu de
ssen Fertigftellung ich drei Tage gebraucht).
Stimmung: verzweifelt (ich werde nie dazu kommen, den tiefen Riß in meinem Leben
a× auszufüllen); Stellung: unerfreulich; Arbeit: null; Freunde: ein paar brave
Leute auf
Montmartre, ehrliche und
simple Men
schen, die mich in ihrer kühlen Wei
se gern haben und –
nicht ver
stehen; Geliebte:
schwere p
sychi
sche (?) Impotenz. . . .
Will
st Du mir einen Gefallen thun? Ich möchte gern den »
Lorenzaccio« von
Musset für die deut
sche
|Bühne bearbeiten. Ich
sende Dir anbei das
Feuilleton, das ich darüber ge
schrieben. Könnte ich vielleicht vom
»
Burgtheater« den Auftrag zu die
ser
Bearbeitung bekommen? Könnte
st Du ein Wort mit
Burckhardt oder mit
Uhl reden? In meinem
Feuilleton finden
sie alle nöthigen
sachlichen Angaben über das
Stück. Das i
st
so eine
phanta
sti
sche Idee, die ich habe; ausführbar wird
sie natürlich nicht
sein; und es
lohnt nicht der Mühe, daß Du Dir deßwegen auch nur einen überflüßigen Weg mach
st. . . . .
|Wie gern würde ich Dich bald einmal wieder
sehen
?↓!↓ I
st gar keine Aus
sicht, daß Du nach
Paris komm
st?
Grüß’ mir den lieben
Richard und auch
Leo Vanjung, wenn Du ihn
sieh
st!
Allen den Deinigen wün
sche ich ein glückliches neues Jahr; empfiehl’ mich
insbe
sondere Deiner Frau
Mutter und grüße mir recht herzlich Deinen
Bruder und Deine
Schwägerin.
|Und sei’ Du selbst von Herzen gegrüßt!
In Treue
Dein
Paul Goldmann.
Nicht wahr, Du schreibst mir bald wieder einmal?