Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 17. 4. [1902]

Berlin, 17. April.

Mein lieber Freund,

Seit dem Empfang Deines letzten lieben Briefes, der nach meiner Rückkehr aus Prag eintraf, will ich Dir täglich schreiben, und täglich muß ich darauf verzichten. Es ist unbeschreiblich, was jetzt wieder Alles an Arbeit, Besuchen etc. auf mich einströmt. Ich bin Dir sehr dankbar, daß Du meine Antwort nicht abgewartet und mich abermals heut durch Deine lieben Nachrichten erfreut hast. Dieser Bernhardiner muß herrlich sein. Ich freue mich schon sehr darauf, ihn kennen zu lernen. |Was Du über Hirschfeld schreibst, issehr schön gesagt. Die Freunde und »literarischen Kritiker«, die den unentwickelten Burschen, dessen Sentimentalität sie für Poesie nehmen, zum Dichter ausgeschrieen haben, haben allerdings viel Schuld an dem jämmerlichen Ende, – aber doch nicht die einzige. Wer im Stande ist, ein flaches Machwerk, wie den »Weg zum Licht« zu schreiben, in dem auch nicht die leiseste Spur von Persönlichkeit steckt, der hat eben niemals eine Persönlichkeit gehabt. Denn das ist vollkommen ausgeschlossen, daß man aus einem Dichter |plötzlich ein Flachkopf wird. Der »Weg zum Licht« ist nicht verfehlt, sondern complet talentlos. Das ist ein Unterschied.
Servaes Feuilleton über Klinger, das ich eben gelesen, hat mir sehr gut gefallen. Aber ist auch das Urtheil richtig? Oder ist wieder ein Secessions-Schwindel dabei? Ich kann es mir allerdings kaum denken; ich ahne etwas Großes, wenn Klinger einen Beethoven gemacht hat.
Ich habe die Idee, etwa zehn meiner Theater-Feuilletons, die sich mit Hauptmann und seinen Anhängern beschäftigen, |zu sammeln und als Kampf-Buch unter dem ironischen Titel »Die neue Dichtung« herauszugeben. Glaubst Du, daß ein solches Buch Leser finden würde? Oder hängen Theater-Feuilletons nicht doch zu sehr mit dem Tage zusammen, als daß sie in ein Buch hineingehörten? Die Idee kam mir, da ich neulich wieder hörte, wie sehr die Hauptmann-Clique hier mich haßt. Man hat einer Dame Vorwürfe gemacht, daß sie im Theater freundlich mit mir gesprochen hat! Wenn ich sehe, daß man mit solchen Mitteln eine künstlerische Überzeugung |bekämpfen will, so habe ich den Drang, meine Überzeugung nur umsstärker zu betonen.
Was Du mir vom Tode der armen Elsa Marktbreiter schreibst, ist ergreifend. Aber war es nicht eine Erlösung? Freilich, das ist auch eine dumme Phrase. Erlöst ist man doch nur, wenn man weiß, daß man erlöst ist.
Ich habe Deiner Frau Mutter nicht kondolirt, weil ich nicht weiß, ob die Verwandtschaft nahe genug war, um eine Condolenz zu rechtfertigen. Wenn ja, so |kondolire, bitte, in meinem Namen.
Und diese arme hübsche Grethl Mandl! Wie, um Himmels Willen, ist das so plötzlich gekommen? Sie hat mir in Pörtschach noch so gut gefallen. Ist Aussicht auf Heilung vorhanden?
Hast Du zu arbeiten angefangen? Denkst Du an das Lustspiel? Ich weiß, Du wirst über diese meine Frage wieder sehr aufgebracht sein, aber Du mußt mich schon entschuldigen, wenn ich unseren einzigen Dramatiker, der Humor hat, hier und da danach frage, |ob er nicht ein Lustspiel schreiben möchte? Du wirst wieder sagen: »Es fällt mir nichts ein.« Aber das Schreiben wäre sehr einfach, wenn wir nur das zu schreiben brauchten, was uns einfällt.
Wie geht es Olga? Grüße sie herzlichst von mir. Ich schreibe ihr nächstens – jawohl, ganz gewiß, nächstens!
Lies’ Hehn: Gedanken über Goethe, namentlich den Aufsatz Goethe und das Publikum. Eine Fülle interessanten Materials in einem wundervoll klaren |Styl mitgetheilt. Der einzige Fehler ist ein irrsinniger Antisemitismus.
Kanner war hier. Ich soll zur »Zeit« als Feuilleton-Redakteur kommen. Burgtheater und Volkstheater sind allerdings schon an Burckhardt vergeben. Ich sollte also nur Redaktions-Kuli sein und eine riesige Büreauarbeit leisten: Kleines und großes Feuilleton, eine Sonntagsbeilage etc. Ich glaube nicht, daß ich unter diesen Umständen annehmen werde, – umsomehr als meine Mutter nicht nach Wien |mitkommen würde und ich meinen Hausstand auflösen müßte. Ja, wenn ich verheirathet wäre, so wäre das Alles anders. Hast Du noch immer keine Parthie für mich?
Friedjungs Buch werde ich lesen. Jetzt stecke ich in Grätz »Geschichte der Juden« (Volksausgabe in drei Bänden). Ein tausendfach anregendes Buch. Mußt Du lesen. »Francesca da Rimini« hat mich bodenlos gelangweilt.
Schreib’ mir bald wieder, |mein lieber Freund, und sei vielmals und von Herzen gegrüßt von
Deinem
Paul Goldmn
Was macht Richard?
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