Wir wollen die Debatte schließen. Nur Eines noch: Ich habe Dir nicht vorgeworfen, daß
Du von Dir mehr erfüllt bist, als von mir. Es ist selbstverständlich, daß Jeder von sich mehr erfüllt ist als von einem Anderen. Ich meine nur, daß ich in Deinen weil Du von Dir bedeutend mehr erfüllt bist, als es die Regel ist, der Platz,
den ich in Deinem Denken und Empfinden einnehme, auch bedeutend geringer ist, als ein
Freund vom Freunde in der Regel beanspruchen kann. Das ist eine Nuancen-Frage; und über diese läßt sich nicht discutiren. Wir wollen auch
nicht mehr darüber reden, weder schriftlich, noch
mündlich.
Was Du mir über
D mein
Feuilleton schreib
st, könnte eine neue große Debatte
hervorrufen. Auch hier wieder thu
st Du mir
|Unrecht
vom Anfang bis zum Ende. Die Mühe, die ich mir genommen, Deine
Dichtungen bis in die fein
sten
Nuancen zu durchdenken und zu ergründen,
sieh
st Du nicht.
Wenig
stens erwähn
st Du
sie mit keinem Worte. Hingegen
schreib
st Du mir, ich
sei
»liebenswürdig« gegen Dich gewe
sen. Mein lieber Freund, ich bin nicht liebenswürdig
gegen Dich gewe
sen
, und weigere mich ent
schieden,
jemals liebenswürdig gegen Dich zu
sein. Ich habe Dir das Höch
ste
in gegeben, was ich Dir geben kann: Wahrheit. Ich bilde mir natürlich nicht ein,
die objektive Wahrheit gefunden zu haben; aber die
subjektive Wahrheit, wie ich
sie
empfunden habe, habe ich ausgedrückt. Von meinem Standpunkte aus i
st in die
ser
Kritik jedes Wort
wah↓wahr↓. Auch der Satz, den Du hervorheb
st, i
st wahr. Ich habe Dich als
|Dramatiker zu kriti
siren gehabt, nicht als
Novelli
sten. Ich habe von Dir das große dramati
sche Werk verlangt, das Du meiner
fe
sten Überzeugung nach lei
sten kann
st, – das Du allein lei
sten kann
st von allen
deut
schen Schrift
stellern Deiner Generation. Der »
Schleier der Beatrice« i
st die
ses große Werk nicht. Trotz alles Starken und Glänzenden, das die
ses
Drama enthält, i
st es ein
großes Drama nicht geworden, weil auch hier
ein die
Lieb
schaft als Hauptthema behandelt i
st und alles Andere nur als Epi
sode in der
Lieb
schaft er
scheint. Auch auf die
ses
Drama paßt durchaus der
franzö
si
sche Satz, den ich niederge
schrieben habe, – auf die
ses
Drama paßt er er
st recht, weil Du hier auf dem Wege zum
Höch
sten war
st und
weil↓weil↓ Dich die
se ein
seitige Betrachtungswei
se, die immer und
|vor Allem nach
ne
neuen Spezialfällen der Liebe Ausblick hält, gerade hier verhindert hat, das Höch
ste
zu erreichen. Ich hätte das auch in meinem
Feuilleton mehr ausgeführt, wenn ich auf der zwölften Spalte
noch Platz gehabt hätte zu die
ser Ausführung. Wenn Dich demnäch
st wieder Leute
fragen, ob ich Deine Werke der letzten Jahre denn nicht kenne,
so bitte ich Dich,
ihnen das zu
sagen.
Von
Herzl erhielt ich einen Brief, den ich Dir nicht
schicken kann, weil ich ihn der
Curio
sität halber meinem
Onkel ge
sandt habe. Ich citire aus dem Gedächtniß folgenden Satz: »Die
Grenzlinie (in meinem
Feuilleton über »
Lebendige Stunden«)
zwi
schen aufrichtiger und ge
schriebener Meinung
|habe ich
sehr wohl bemerkt;
aber↓aber↓ (wenn irgendeine Unaufrichtigkeit ent
schuldbar i
st,
so i
st es die durch eine
alte Freund
schaft gebotene.« Ich habe die
sen un
sinnigen Vorwurf der Unaufrichtigkeit
↓in einem
Briefe↓
mit Ent
schiedenheit zurückgewie
sen.
Zu meiner Freude
sehe ich »
Lebendige Stunden«
ständig auf dem
Theaterzettel. Ich hoffe, daß
dies einen Ka
ssenerfolg bedeutet. Haben andere deut
sche Bühnen die
Stücke bereits erworben? Wie
hat
sich das
Burgtheater verhalten?
Daß
Olga immer noch bettlägerig i
st, bedaure ich unendlich. Ich bitte Dich,
sie herzlich
st zu grüßen. Kann
ich ihr vielleicht irgend Etwas zu le
sen
schicken?
|An
Richard schreibe ich,
sobald ich kann. Bitte grüße ihn inzwi
schen vielmals. Die
se
Krankheit kommt wahr
scheinlich von der Feuchtigkeit in dem verfluchten
Nest, in das er ohne jede
r
Nothwendigkeit hat hinausziehen mü
ssen. Hoffentlich hat er keine Schmerzen
gelitten.
Ich
selb
st habe wieder einmal eine bittere Enttäu
schung
erlebt.↓erlebt.↓ Kanner war
hier, um für
sein
neues
Blatt Engagements
zu abzu
schließen. Wenn es
irgendwo Jemanden gibt, den er ver
suchen
müßte, zu
gewinnen,
so bin
ich es. Ich war er
staunt, daß er mir
keinen Antrag machte. Jetzt hat er in
|Frankfurt meinem
Onkel ge
sagt, er wolle mich nicht haben,
weil in dem neuen
Unternehmen
ihn mein Pe
ssimismus zu
sehr bedrücken würde.
Der
Die
ses Urtheil i
st blöd
sinnig. Aber es läßt
sich nichts dagegen machen. Ich aber
sage
mir: Wenn
selb
st die einzigen Leute,
mit denen ich zu denen ich aus gei
stigen und morali
schen Gründen gehöre,
mich nicht haben wollen, – wozu habe ich dann mein Leben lang gearbeitet, und welche
Zukunft habe ich zu erwarten?
Sei vielmals und von Herzen gegrüßt! Dein
Paul Goldmn