Arthur Schnitzler an Georg Brandes, 11. 1. 1897

|Wien, 11. 1. 97.

Verehrtester Herr Brandes,

in diesem Briefe finden Sie mein neues Stück »Freiwild« eingeschlossen. Nicht »weil ich Ihrer vergessen« – muss ich das wirklich sagen – ? sende ich es erst heute ab! Wie Sie sehen, ist das Stück noch Manuscript; |ich habe mich bisher nicht entschließen können, es als Buch erscheinen zu lassen. Auf dem Theater macht es ja seine Wirkung; in der Lecture scheint es dürr und unangenehm. Ich empfinde das umso verdrießlicher, als ich glaube, dss mir die Komödie in glücklicherer Stimmung hätte gelingen müssen. |Der Stoff ist mir lang nachgegangen, und obwohl man heute den Eindruck gewinnen mag, das ganze sei einer These zu Liebe geschrieben, so ist es mir seinerzeit doch aus dem Leben empor- und entgegengequollen. Und vielleicht kommt auch das Misglücken selbst wieder aus etwas sehr lebendigem |her. Die weibliche Hauptfigur hat namlich gerade in der Zeit, da der Stoff in mir reif wurde, einen Sprung bekommen, der sich dann, wie in einem an einer Stelle eingedrückten Spiegel nach allen Seiten fortgesetzt hat. Ich habe das Stück ein paar Mal geschrieben; es ist technisch reinlicher, aber innerlich |nicht besser geworden. Ich habe also auf ein Schicksalswort gewartet, um Ihnen das Stück zu senden. Vielleicht wäre es auch eine Art von Unaufrichtigkeit gewesen, Ihnen, dem ich bisher schon so wunderbare Worte freundlicher Theilnahme verdanke, dieses Stück, das ich ja nun doch einmal |gemacht habe und sogar habe aufführen lassen, zu unterschlagen.
Hier ist es also, und mit ihm die herzlichsten und verehrungsvollsten Grüße Ihres treu ergebnen
ArthurSchnitzler.
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