Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique,
financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour. Paris, 2. December.
Mein lieber Freund,
Mir scheint, in meinen letzten Brief hat sich sehr gegen meinen Willen ein falscher
Ton eingeschlichen. Du hast etwas vom »Berühmtwerden« herausgehört? Ich schwöre Dir,
ich bin durchdrungen von der Nichtigkeit und Unbedeutenheit aller jener Vorgänge. Ich habe mich sogar im Verdacht,
daß ich ein wen wenig Komödie gespielt habe. Ich × glaube, ich hätte mich vielleicht doch nicht geschlagen, wenn ich nicht gar so sicher darauf gerechnet hätte, der Andere werde mich nicht erschießen. Du wirst ja selbst auch sehen, wie rasch das Alles vergessen werden |wird, wie bald ich in mein Dunkel zurückkehren
werde, nachdem ein flüchtiger Lichtstrahl von draußen auf mich gefallen. Ich glaube sogar, ich habe es von Anfang an ein wenig auf diesen Lichtstrahl angelegt. Ich habe
für Gerechtigkeit eintreten und zugleich mir etwas Rekla Reklame machen wollen. Ich habe mit schlauer Berechnung von Anfang an
gesehen, daß die ganze Angelegenheit ein gutes Mittel sei, auf anständige Weise von
mir reden zu machen. Gewiß war auch die Empörung über das Unrecht dabei. Ich will
mich nicht schlechter machen, als ich bin, aber Du machst |mich viel zu gut. Etwas Derartiges, wie Deinen
entzückenden Glückwunschbrief von neulich habe ich nicht verdient. So wie ich Dirs
eben gesagt stehen die Dinge und nicht anders, und ich möchte nicht, daß es einen
Schatten von Unehrlichkeit gebe zwischen Dir und mir.
Jetzt will ich Dir noch
sagen, daß ich ge
stern einen
Brief von
Georg Brandes erhielt, worin er mir, zu meiner freudigen Überra
schung,
schreibt, er habe mich
in
Kopenhagen liebgewonnen;
will Dir außerdem
sagen, daß ich
Herzls Art, mich jetzt zu
|über
schätzen, eben
so
lächerlich finde, wie
seine bisherige Art, mich zu unter
schätzen (der Mann i
st immer
urtheilslos,
so oder
so); und will Dich er
suchen, dem
Artikel des »
Figaro«, den Du im
Bo Börsen-Courier gefunden, nicht das
minde
ste Gewicht beizulegen. Im »
Figaro« werden
solche Dinge nur gedruckt, wenn man
sie bezahlt. Der
Mann, der die
sen
Artikel ge
schrieben, i
st ein erbärmliches
Subject, unfähig, irgend Jemandem aus freien Stücken Gerechtigkeit zu erwei
sen. Ich
vermuthe, daß der
Artikel von
der Familie
Dreyfus herrührt,
|und wenn man ihn aufmerk
sam lie
st,
so i
st er
ein, unter dem Vorwand
v von mir zu
sprechen, ein ge
schicktes
Plaidoyer für den
Verurt Verurtheilten. Und nun wollen
wir kein Wort mehr von der ganzen Ge
schichte reden, nicht wahr?
Nach alle Allem, was in den letzten Wochen zwischen mir und mir gestanden, bin ich jetzt wieder
allein en tête-à-tête avec moi-même. Und da sehe ich erst ganz deutlich, daß alles
Äußere Schwindel war, und daß ich unfähig bin |zur
wahren Leistung: ein gutes Buch, ein gutes Stück. Und nicht einmal die Liebe will
kommen. Nie, nie ein geliebtes Wesen in die Arme geschlossen! Und morgen ist die Jugend zu Ende! Und es will nicht kommen! Das ist trostlos; und dann gehts
recht schlimm mit meinen Augen, und ich fürchte, blind zu werden. . .
Ent
schuldige, daß ich Dir gar
so viel von mir
spreche. Ich freue mich, zu hören, daß
Du wieder arbeite
st und daß Dir die Arbeit
seeli
sch gut thut. Die
Sachen, mit denen Du
be
schäftigt bi
st,
dürften
|Dir
sehr »liegen«. Wie denk
st Du aber doch
über das hi
stori
sche
Wie Wiener Stück? Vielleicht mit einem jungen Componi
sten, der ein Bischen alte und neue
Wiener Mu
sik dazu machen würde? Würde Dich die
se
Abwech
selung nicht einmal reizen? Oder will
st Du fürs Er
ste überhaupt kein größeres
Stück
schreiben? Auch das würde ich
sehr billigen. Und wann kommt Dein
Buch bei
Fischer?
Wer i
st die
ser
Stephan Grossmann, den Du mir ge
schickt ha
st? Ich habe mich für ihn verwendet, und heut wird mir ein Zeitungs-Aus
schnitt ge
schickt, worin
steht, daß
|er
sich der
Berliner
Polizei als Spitzel angeboten habe.
H×× Ich habe
ihm ge
sagt,
daß er, da er mit einer Empfehlung von Dir bei mir er
schienen i
st,
von vo in meinen Augen von vornherein gegen alle Zeitungen Recht hat. Aber er hat
sich
mis unge
schickt gerechtfertigt; das kann freilich auch Befangenheit
sein;
imme darum möchte ich gern in zwei Worten hören, wie Du über den Fall denk
st?
I
st es wahr, daß die »
Allgemeine Zeitung« in andere Hände
übergeht? Was wird aus
Salten? . . .
Sei nochmals von ganzem Herzen bedankt für Deine treue Antheilnahme an den letzten
Vorgängen. Tausend herzliche Grüße! Dein Paul Goldmn
Grüße
Richard und
Leo! Und schreib’ mir recht bald!
Die Kritiken sende ich Dir demnächst zurück
|Dies i
st ein Aus
schnitt aus einem Briefe, den mein College
Th. Wolff die
ser Tage von
seiner
Mutter erhalten hat:
[handschriftlich Recha Wolff:] recht zu
sagen.
Gestern war ich mit
Martha am
Deutschen Theater,
wo
wir einen wirklichen Genuß hatten. »
Freiwild«
von Schnitzler i
st das Schön
ste, was ich
seit lange ge
sehen, und ge
spielt wurde
geradezu vollendet
.