Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 1. 6. [1894]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureau à Paris:

Mein lieber Freund,

Hermann Bahr ist also doch bei mir gewesen; aber ich wünschte, es wäre lieber nicht geschehen. Er hat mir einen abscheulichen Eindruck gemacht, – ein Intriguant, ein Jesuit – und wenn, wie dies wahrscheinlich, seine Gesinnung der meinigen gleicht, ssind wir, mit einem herzlichen Händedruck, als erklärte Feinde geschieden. Der Mann hat mir in der kurzen Zeit seines Hier-Seins mehr Stänkereien angerichtet, als sonst irgend Einer, hat mich aus meiner Sicherheit |gebracht und mich durch allerlei Perfidie erregt und verstimmt. Es wäre zu weitläufig, das hier zu erzählen; der Mensch, der hier mit einem infamen Pack von Reportern niedrigster Sorte verkehrt, hat sich dort allerlei Verleumdungen über mich geholt, die er mir, mit liebenswürdigem Wohlwollen, wieder erzählt hat. Ich berühre das nur, um Dich davor zu warnen, irgendwelchen freundschaftlichen Referaten aus dieser Quelle Glauben zu schenken. Der Grund, weshalb ich mich heut an Dich wende, ist ein anderer. Er liegt in Einigem, was mir der Herr über Euch gesagt hat. Zunächsselbstverständlich spielt er sich als den eigentlichen Förderer und |Inspirator der Wiener Literatur-Strömung auf. Zu gleicher Zeit hat er über jeden von Euch bei aller scheinbaren Anerkennung irgend ein herabsetzendes Wort, so daß von der Wiener Literatur eigentlich als vollgiltig nur Hermann Bahr übrig bleibt. Selbst die Leute seiner eigenen Revüe drückt er herunter. Kanner  wird sich nach seiner Darstellung mit der Administration befassen; und wenn man Kanner nur aus seinen Reden kennt, so muß man ihn für nichts als für einen Kassier halten, während doch in Wahrheit Kanner der Einzige ist, der für die |Revue Zukunfts-Hoffnungen rechtfertigt. Nun aber zu Euch zurück. Ich möchte Dich bitten, mir mit ein paar Worten etwas über das Verhältniß von Hermann Bahr zu Eurem Kreise zu sagen. Insbesondere möchte ich wissen, ob zwischen ihm und Loris wirklich jene intime Freundschaft besteht, wie er vorgibt; ob er wirklich berechtigt ist, sich als den »Erzieher« von Loris aufzuspielen, wie er das thut etc. Bitte, schreib’ mir bald; denn das Alles quält mich sehr seit gestern Abend. Ich will Dir nicht sagen, warum, sondern Deine Antwort abwarten.
Herzlichst und in Treue
Dein
Paul Goldmann.
|Ja so, entschuldige, in meiner Erregung hätte ich beinahe Deine Angelegenheiten vergessen. Der Verleger Albert Langen ist ein reicher junger Mensch, der sich zum Verleger gemacht hat, um mit Literatur protzen zu können. Der Mensch ist idiotisch urtheilslos, verlogen und betrügerisch. Er ist von dem halb wahnsinnigen Gretor beeinflußt, von dem ich Dir im vorigen Sommer erzählt. Ich rathe Dir dringend, Dich mit dem Burschen in nichts |einzulassen.
Deine Novelle sollst Du natürlich sofort der Frankf. Ztg. schicken.
Wenn Du nur eine Ahnung hättest, wie mich alle »äußeren Umstände Deiner Existenz« interessieren. Vor Allem: hast Du materielle Sorgen?
Glückliche Reise und frohe Stimmung für die Reise! Such’ Dir in Muenchen in einem der kleinen Seiten-Cabinete der Pinakothek den kleinen Altdorfer  auf, welcher einen grünen, grünen Wald darstellt, worin ein putziger kleiner Ritter einen Drachen bekämpft! Das ist eines meiner Lieblingsbilder: Deutsch und märchenhaft.
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