Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 23. 11. [1901]

Berlin, 23. November.

Mein lieber Freund,

Tausend Dank für Deine lieben Worte! Es war wirklich nicht nöthig, mir deshalb einen großen Brief zu schreiben, und ich bitte Dich, auch Olga zu veranlassen, daß sie mir über die Affaire nicht mehr schreibt. Die Sache ist abgethan; und ich bedaure lebhaft, daß ich dem Unwillen, den ich über den zurechtweisenden Ton von Olgas Brief empfunden, überhaupt Ausdruck gegeben habe. Im Übrigen nimmst Du nach wie vor in der Frage einen erstaunlich einseitigen Standpunkt ein. Ich kann Dir versichern, daß |nicht nur widerliche Kerle sich über meine Kritiken freuen, sondern auch sehr anständige Leute. Und was habe ich mich um die Wirkungen zu bekümmern, die meine Kritiken auf widerliche Kerle ausüben? Was habe ich mich überhaupt um die Wirkungen meiner Arbeiten zu bekümmern? Das ist ein ganz unkünstlerisches Verlangen, das Du da an mich stellst. Die einzige Frage kann doch nur die sein, ob meine Kritiken meine Überzeugung und meine Stimmung ausdrücken. Und da meine Überzeugung die ist, daß Gerhart Hauptmann ein minderwerthiger |und verworrener Geist ist, und da ich Erbitterung darüber empfinde, diesen minderwerthigen Geist als großen Dichter gepriesen zu sehen, so können meine Kritiken absolut nicht anders lauten und können auch in keinem anderen Tone geschrieben sein.
Du irrst Dich auch, wenn Du glaubst, daß Du mir immer schreibst, wenn Du über eine meiner Arbeiten »entzückt« bist. Ich bin überzeugt, daß Du in Wien diesem »Entzücken« Worte verleihst, Du vergißt es nur in der |Regel, mir mitzutheilen. Ich habe oft genug, wenn ich das Bewußtsein hatte, eine Arbeit von Werth vollendet zu haben, mich nach einem Wort der Zustimmung von Deiner Seite gesehnt, und oft genug ist dieses Wort der Zustimmung ausgeblieben. Pünktlich und ausführlich schreibst Du mir nur, wenn Du an meinen Arbeiten etwas zu tadeln hast.
So, und nun genug!
Ich habe mich von Herzen gefreut, endlich wieder einmal etwas von Dir zu hören, und habe mich insbesondere gefreut, |daß Du und Olga (wie ich aus Olgas Brief ersehen) in Reichenau sschöne Tage verlebt habt.
Die Aufführung Deiner Einakter am 4. Jänner solltest Du zu verhindern suchen. So wenige Tage nach Neujahr ist eine recht ungünstige Theaterzeit. Hat Brahm solange gewartet, so kann er auch noch eine Woche länger warten. Ich selbst werde am 4. Jänner kaum in Berlin sein, da ich, wie alljährlich, |die Weihnachts- und Neujahrstage bei meiner Familie in Frankfurt zu verbringen hoffe.
Gestern sahen wir hier ein stellenweissehr hübsches Stück von Meyer-Förster. Ich werde leider kaum Zeit finden, darüber zu schreiben, da nächste Woche der Reichstag zusammentritt. Auch muß ich in meinem nächstem Feuilleton den »Rothen Hahn« behandeln.
|Was Du über die Haltung der N. Fr. Pr. gegenüber dem »Jungwiener Theater« schreibst, ist durchaus berechtigt. Aber Salten trägt doch wohl die Hauptschuld. Er machte mir hier in Berlin den Eindruck eines Mannes, der absolut keine Ahnung hat, was er will. Und wie kann man sich zu einem künstlerischen Unternehmen mit Siegfried Löwy associiren?
Mit Deinem neuen Stück wirst Du Dich schon wieder |zurechtfinden. Je mehr Du daran arbeitest, umso tiefer wird es werden. Quäle Dich also nur ein wenig. Es schadet gar nichts.
Grüße mir die Mädeln und sei Du selbst vielmals und von Herzen gegrüßt!
Dein
Paul Goldmann
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