Paul Goldmann an Olga Gussmann, 15. 11. [1901]

Berlin, 15. November.

Liebes Fräulein Olga,

Ich danke Ihnen für Ihren lieben Brief und freue mich, daß Sie und Arthur ein paar frohe und friedliche Tage haben verleben können. Ihre Schilderungen sind sehr eindrucksvoll, und an Ihren Worten ist ein Schimmer von Glück haften geblieben.
Ihr Brief erfordert eine ausführliche Beantwortung, und sie soll Ihnen werden, sobald die Arbeit mir ein wenig Luft läßt.
Eines aber muß ich mir gleich von der Seele schreiben. Ich danke Ihnen für |die Offenheit, mit der Sie zu mir über meine Feuilletons sprechen, und werde Ihnen mit derselben Offenheit antworten. Und da muß ich Ihnen sagen, daß Ihre Äußerungen mich außerordentlich geschmerzt, – daß sie mich in einem Punkte getroffen haben, an dem ich überaus empfindlich bin. Oder, um es etwas weniger sentimental auszudrücken: Ich bin verblüfft, von Ihnen so ganz und gar nicht verstanden zu werden. Ich bin verblüfft, daß Sie nicht begreifen, wieviel ehrliche Kunstbegeisterung, welch’ heißes Wahrheitsstreben in meinen Kritiken über Hauptmann sich |ausdrückt. Ich bin verblüfft, daß Sie in einem Falle, wo Ihre und meine Meinung sich gegenüberstehen, nicht einen Augenblick die Frage in Erwägung ziehen, ob nicht vielleicht Sie im Unrecht sind, und daß Sie ohneweiters eine Auslegung sich zurechtmachen, die mich (ich kann es nicht anders sagen) in meiner Ehre als Kritiker trifft. Denn ich würde es für unehrenhaft halten, wenn ich, wie Sie meinen, in meinem Kampf gegen Hauptmann mich auch nur im Mindesten durch persönliche Motive leiten ließe. Wenn Sie meine Angriffe gegen Hauptmann persönlich |finden, so wissen Sie wohl nicht, was persönliche Angriffe sind. Meine Einwendungen sind einer absolut sachlichen Art; und wenn sie im heftigen Tone vorgebracht werden, so kommt dieser Ton von meinem Temperament, – so kommt er von der Erbitterung her, die mich erfüllt, einen so minderwerthigen Geist, wie Gerhart Hauptmann, zum großen Dichter erhoben zu sehen. Und daß Sie mir diese Erbitterung nicht glauben wollen, daß Sie nach persönlichen Motiven suchen, – Sie, eine Freundin, – das hat mich verblüfft, das hat mich schwer gekränkt. . . . . 
Grüßen Sie, bitte, Liesl; und seien Sie sammt Arthur herzlichst gegrüßt von Ihrem  Paul Goldmann
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar