Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 7. 5. [1901]

Berlin, 7. Mai

Mein lieber Freund,

Ich habe bei der N. Fr. Pr. angeregt, mich nach Macedonien zu schicken. Denn ich fühle immer unabweisbarer das Bedürfniß, die Kraft, die ich in mir spüre, wieder einmal an eine schwere Aufgabe zu setzen, und meinem Schicksal, das mir hart und höhnisch alle Wünsche versagt, wieder einmal davonzugehen. Da ich verflucht bin, nicht geliebt zu werden, will ich mich durch neue Eindrücke, harte Arbeit und hoffentlich auch ein wenig Gefahr betäuben. Ob man meiner Anregung Folge geben wird, ist fraglich. Die Herren, die mein Talent verwalten, benutzen dasselbe lieber zu | Depeschen über die preußische Ministerkrisis und Berichten über die Lage des Berliner Effektenmarktes.
Mache ich also nicht die Reise, die ich der Redaktion vorgeschlagen habe, so werde ich Anfangs August meinen Urlaub antreten. Diesmal kann es sich für mich nur um den Aufenthalt an einem Ort handeln. Es ist wieder die leidige Geldfrage. Sparen habe ich während des ganzen Jahres nicht gekonnt, dann muß ich meine Mutter ins Bad schicken; und ist dies gethan, so bleiben mir im besten Falle etwa 400 MK. Damit kann ich nicht ins Engadin reisen; ich hätte auch keine Lust |dazu. Suche es also, bitte, so einzurichten, daß wir im August uns am Wörther See treffen. Olga und Liesl sollen auch hinkommen. Mit Richard treffe ich nicht gern zusammen, weil ich wirklich erbittert darüber bin, daß er mir nicht eine Zeile geschrieben hat, seit wir uns im letzten Sommer getrennt haben.
Was Du mir über Deinen Seelenzustand schreibst, ist wunderschön. Du hast zur richtigen Zeit offenbar die richtige Frau getroffen, und ich hoffe, diese Liebe soll reiche Frucht tragen an dichterischen Werken und an Lebensglück.
In der Frankf. Zeit. fand ich beifolgende |Novellette. Ich finde, daß sie feine Beobachtungen und echte Wiener Stimmung enthält. Wer ist dieser Dr. Rechert?
Grüße mir die Damen Olga und Liesl und sei Du selbst herzlichst gegrüßt!
Dein treuer
Paul Goldmann.
Bei der blödsinnigen Arbeitsmenge, die ich zu verrichten habe, konnte ich »Bertha Garlan« noch nicht lesen. Meine Mutter issehr entzückt davon. Inzwischen habe ich das Buch der Frau Rechtsanwalt borgen müssen, die an Gelenkrheumatismus erkrankt ist.
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