Fernsprecher:
Amt VI. No. 2838.
Berlin W., den 20. Februar
1900.
Mein lieber Freund,
Ich will gleich auf Deinen lieben Brief antworten, sonst komme ich lange nicht
dazu.
Es freut mich
sehr, daß Du mit meiner An
sicht über dein
Stück zum
Theil einver
standen bi
st. Ich habe noch einmal Die
ses und Jenes gele
sen
, und kann Dir nur
sagen: Seit
Grillparzer hat man auf dem
Wiener Theater
solche
Verse nicht gehört. Das
soll
aber nicht bedeuten, daß es
Grillparzerische Ver
se
sind. Nein,
sie
sind durchaus
Schnitzlerisch, und nur der weiche
Wiener Wohllaut i
st den beiden
Dichtern gemein
sam. Was die Aufführung
anlangt,
so
|möchte ich Streichungen empfehlen.
Vielleicht auch einige Umarbeitungen. Ich bleibe dabei: die Ge
stalt des
Herzogs er
scheint mir in zu unklaren
Umri
ssen. Wenn da auch nur ein wenig mit fe
ster Hand nachgezeichnet würde, könnte das
dem
Drama sehr zum Vortheil
gereichen. Wäre es nicht doch möglich, daß die Hochzeit nur ein im Voraus
beab
sichtigter Carnevals-Scherz
sein könnte? Wenn der
Herzog durchaus edel
sein muß,
so könnte
der Edelmuth ja nachher erwachen. Mich hat übrigens in Deinem Briefe das Wort »Größe«
stutzig gemacht. Warum
soll der
Herzog »groß«
sein? Mir
scheint, die
ses Streben nach Größe, die
se ab
strakt
hinzugedachte Eigen
schaft, i
st an der Unklarheit
schuld. Hätte
st Du ihn nur (wie es
son
st Deine Gewohnheit i
st) ruhig und
natürlich↓natürlich↓ leben la
ssen, wie er leben mochte,
so wäre
er er deutlicher und wahrer geworden. Im Übrigen, vielleicht ha
st Du Recht, und
|auf der Bühne zeigt
sich vielleicht, daß die
Figur richtig gedacht war.
Welche Rolle
Kainz spielen
soll, kann ich Dir nicht
sagen. Denn ich kenne
Kainz nicht. Der
Herzog muß
jedenfalls ein vollendeter
Sprecher sein, und mir
scheint, daß
Kainz das nicht i
st. Für die
Beatrice aber gibt es meiner An
sicht nach nur
eine auf
den deut
schen Theatern: Die
Triesch in
Frankfurt. Sie hat geniale Kun
st-In
stinkte,
i
st
selb
st ein
so unberechenbares Luder, wie Deine
Beatrice, hat außerdem die Jugend und das
südliche Feuer. Damit wäre jede Frage über die
Bühnenwirk
samkeit der Figur mit einem Schlage be
seitigt. Die
Triesch würde etwas Unerhörtes daraus machen. Wenn Du mir folgte
st, würde
st Du alle
Mittel aufbieten, um die Per
son für die
se Rolle zu gewinnen. Aber leider folg
st Du
mir ja niemals. In
Berlin könnte meiner An
sicht
nach nur
|das »
Deutsche Theater« in Betracht kommen.
Brahms ist zeigt
sich
sehr urtheilslos, wenn er nach dem
Stück nicht mit beiden Händen
greift. Wenn es in
Wien Erfolg hat, wird er es
übrigens
schon thun. An das
Schauspielhaus i
st bei der
jetzt herr
schenden Sittlichkeits-Manie nicht zu denken. Man würde Dein
Drama entweder überhaupt nicht
nehmen oder Dir zumuthen, die Hälfte wegzula
ssen. Im Nothfall könnte man es auch mit
dem »
Berliner Theater«
(Direktion
Paul Lindau) ver
suchen, wo nicht
schlecht ge
spielt wird; nur die Aus
stattung würde hier
arm
seelig
sein.
Deine Aufträge an
Gusti u. die
Frau
Rechtsanwalt werde ich
be
sorgen.
Das
Theaterreferat von hier aus
hat
seine Schwierigkeiten. Ich muß doch alle Deine Geliebten loben. Um Irrthümer auszu
schließen, werde ich
Dich demnäch
st um einen Katalog bitten.
|Von mir will
st Du hören? Sieh
st Du, ich habe wenig
h↓Z↓eit zum Schreiben. Ich muß al
so wählen:
soll ich Dir von Dir
schreiben oder
von mir? Und Du wir
st doch nicht leugnen, daß es Dich mehr intere
ssirt, wenn ich Dir
über Dein
Stück schreibe, als
über meine Schmerzen und
s↓S↓orgen. Oder vielmehr, Du wir
st es leugnen, aber ich werde Dir nicht
glauben.
Auf Umwegen höre ich, daß Dein
Bruder ein
Mädchen bekommen hat. Bitte, übermittle den
Eltern meine
|Glückwün
sche zugleich mit meinen herzlichen Grüßen.
Auch Deine übrigen Angehörigen bitte ich zu grüßen.
Eine
Wiener Jüdin, ein Frl.
Schreiber, i
st mir mit einer Empfehlung von
Hanslick ins Haus gekommen. Sie will
hier einen
Vortrag
über Dich halten (was ich bedaure, denn der
Vortrag wird
schlecht
sein) und hat mir inzwi
schen im
Ge
spräch werthvolle literari
sche Auf
schlü
sse über Dich gegeben.
Viele treue Grüße!
Dein
Paul Goldmann.
Ja, eine Bitte habe ich doch. Ich habe den Eindruck, daß ich in der
N. Fr. Presse, im Gegen
satz zur
Frankfurter |Zeitung, voll
ständig ver
schwinde. Merkt irgend Jemand, außer
Dir, daß ich vorhanden bin? Bitte,
schreib’ mir ein Wort darüber!