Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 17. 5. [1896]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureau à Paris:
24. Rue Feydeau. Paris, 17. Mai.

Mein lieber Freund,

1.) Nach einem flüchtigen Überschlag von Zeit und Kosten sehe ich, daß ich mit Dir werde kaum zusammenreisen können. Denke selbst: Ich bekomme vier Wochen Urlaub und habe während desselben etwa 700 Francs zu verzehren. Die Reise von hier über Hamburg nach Dänemark, Schweden und Norwegen  und von da wieder nach Paris zurück würde allein an 500 francs kosten. Die Entfernungen |sind außerdem groß, und ich würde einen guten Theil meines Urlaubs auf der Eisenbahn verbringen. Nun sind bei meiner Reise andere Rücksichten maßgebend, als bei Deiner. Du gehst von Wien fort, um Neues zu sehen, ich entferne mich von Paris, um auszuruhen. Endlich interessiren mich die skandinavischen Länder gar wenig, und eine Reise nach der Schweiz, mit einem kleinen Abstecher nach Florenz, wäre mir weitaus zuträglicher. Um Dich wiederzusehen, bin ich freilich zu allen Concessionen |bereit, aber das skandinavische Project erweissich bei näherer Betrachtung als Unmöglichkeit für mich. Mach’ mir also, bitte, einen anderen Vorschlag. Ich gedenke, so zwischen 5. und 10. August aufzubrechen und würde meinen Urlaub als verfehlt betrachten, wenn ich Dich nicht sehen könnte, worauf ich mich nun jetzt schon seit meinem letzten Urlaub freue.
2.) In Sachen von »Mourir« will ich demnächst etwas thun. Gegenwärtig habe ich so Tausenderlei zu erledigen und komme nicht |dazu, die Leute zu sehen, an die ich denke. Hast Du an Thorel ein Exemplar geschickt?
3.) Ich bleibe dabei, daß ich Deine Mitarbeiterschaft bei Albert Langen bedaure. Daß Directoren, die über Dich schimpfen, trotzdem Deine Stücke aufführen, ist richtig. Aber die Directoren sind nicht zu umgehen. Hingegen die Sachen, die bei Langen erschienen sind, mußten nicht gedruckt werden. Auch leistest Du Langen  einen ganz besonderen Dienst, indem Du ihm für sein neues Unternehmen die gegenwärtig |besonders große Autorität Deines Namens zur Verfügung stellst. Ferner: Wenn die Theater-Directoren über Dich schimpfen, weißt Du es nicht. Bei Langen weißt Du es. Und würdest Du einem Director Dein Stück geben, der es mit den Worten empfinge: »Aufführen muß ichs wohl, aber Sie können nicht deutsch schreiben«? Endlich und letztlich geht es mir nicht in den Sinn, daß es in der Welt niemals eine Strafe für Lausbüberei geben soll. Langen hat sich vor |Deinen Erfolgen wie ein Lausbube über Dich geäußert. Jetzt sieht er, daß er sich verhauen hat, und Du sendest ihm sofort liebenswürdig Deine Manuskripte: »Bitte, mein Herr, wir wollen, den kleinen Irrthum berichtigen, der in unserer gegenseitigen Schätzung mit untergelaufen ist.«
4.) Mit Harden hast Du vielleicht Recht; aber hüte Dich vor ihm, er ist ein falscher Hund. Mit der »Liebelei« ist es Dir nicht über Gebühr gut gegangen. |Sie nimmt vielleicht einen geringeren Rang in Deiner Schätzung ein, weil Du sie mit den anderen Stücken vergleichst, die Du schreiben könntest und schreiben wist. Aber verglichen mit den Stücken, welche die Anderen schreiben, steht sie im ersten Range.
5.) Nächste Woche will ich Thorel aufsuchen, und dann verabreden wir etwas Definitives in der Übersetzungs-Angelegenheit. Günstig sind die Chancen für Aufführung ausländischer |Stücke an einem anständigen Theater gegenwärtig nicht.
6.) Die »Freie Bühne« bekomme ich nie zu Gesicht. Könntest Du mir die Nummer mit dem Artikel über Dich nicht schicken?
7.) Wenn Fischer Dich ohne Verpflichtung honorirt hat, so geht daraus klar hervor, daß er Dich an sich fesseln will, um Dich bei Deinen sämmtlichen nächsten Büchern betrügen zu können.
8.) Ein Mensch, den Bahr als »neuen Dichter« signalisirt, ist bei mir sschwer |compromittirt, daß ich ihn nicht mehr ohne Vorurtheil lesen kann. Immerhin würde ich gern in das Buch hineinschauen. Aber woher soll ichs bekommen? Könntest Du mirs nicht schicken? Nur leihweise, natürlich.
9.) Der kleine Hugo mag als Mensch charmant sein, als Schriftsteller ist er mir aufs Höchste unsympathisch, und er steht mir fern, als hätte ich ihn nie gekannt.
|10.) Bahr erklärt, Du seiest ein großer Künstler? – Was hast Du nur in der letzten Zeit Schlechtes geschrieben?
11.) Mit dieser Nummer ist in Deinem Brief die Kölner Aufführung der »Liebelei« bezeichnet. Ich gehe zu 12 über:
12.) Freut mich von Herzen, daß Du mit Deinem neuen Stück auf die rechte Bahn kommst. Schreib’ mir nur bald, wie es vorwarts rückt. Könntest |Du mir nicht das Manuskript schicken, wenn Dus fertig hast?
13.) Albert sehe ich kaum mehr. Er wird ein literarischer Mistbube (was er wohl stets war). Mich braucht er nicht mehr, und darum erklärt er, daß er ein Schriftsteller sei und ich nur ein Journalist. Hat ganz Recht, der Mann, – ich meine: das Publicum und auch die Standesgenossen denken genau so wie er. Was |Deine Manuskripte anlangt, so reclamire sie von ihm und laß’ sie vielleicht von einem der jungen Leute, die Dein Stück übersetzen wollen, zur Probe übertragen, damit man sieht, was sie können.
14.) Von der Andreas-Salome höre ich nicht eine Zeile, noch ein Wort. Daß sie in Wien war, erfahre ich erst aus Deinem Briefe. Den plötzlichen Stimmungswechsel Euch gegenüber kann ich mir schwer |erklären. Oder doch: sie ist eine sehr launenhafte Frau. Sie braucht Abwechslung in ihrer Menschen-Nahrung und zehrt nicht gern zweimal von denselben. Sie hat mit Euch Alles gelebt, was sie mit Euch leben konnte, – hat Euch Alles gegeben, was sie Euch geben konnte. Daher wohl die beiderseitige Erkältung. Festhalten aus Moral, aus Treue, aus Freundschaft |kennt sie wohl kaum. Man vergißt bei ihr immer, daß sie eine Frau ist, und sie ist doch eine. Solange sie mit Einem Freund ist, issie beständig – insoweit hat sie männlichen Character. Aber das Weibliche an ihr ist, daß sie ihre Beständigkeiten wechselt.
15.) Dein Leben nicht interessant? Haha! Ich wünschte nur, Du könntest vier Wochen das meinige leben. |Dann würde Dir Dein Leben wie ein Roman vorkommen, – wie ein schöner Traum. Das Unglück ist nur, daß wir das, was uns das Leben schuldig bleibt, nach den Ansprüchen berechnen, die wir an dasselbe stellen, – während wir so rechnen sollten: soviel gewährt es den Anderen, soviel mir. Dann würde fast immer ein Plus herauskommen, und bei Dir ein ganz gehöriges.
|16.) Hier ist eine »Grabschrift« mitgetheilt in Deinem Briefe, deren Genuß mir leider nicht zugänglich ist, da ein oder zwei wichtige Worte darin infolge einer unerhörten Vertauschung von I-Punkten und U-Haken vollständig unleserlich sind – selbst für Einen, der es, wie ich, nach fünfjähriger Lectüre Deiner Briefe, zu einer hübschen Fertigkeit im Hieroglyphen-Entziffern gebracht hat.
|17.) »L’Aube« zahlt sicher sicher nichts, – da kannst Du beruhigt sein. Ich habe Deinen Namen genannt, weil ich es mir zum Gesetz gemacht, jedem, der zu mir kommt und mich nach deutscher Literatur frägt, zuerst von Dir zu sprechen. Schicke den Leuten irgend etwas Altes, was schon gedruckt war und wofür Du schon gezahlt worden bist.
|18.) Lalo will eine Arbeit über »Nietzsches  Einfluß auf das moderne deutsche Geistesleben« machen. Welches Buch, außer dem der Andreas-Salome, kann man ihm zur Lectüre empfehlen? Bitte, antworte mir – ausnahmsweise einmal – auf diese Frage.
19.) Schreib’ bald!
20.) Sei von ganzem Herzen gegrüßt!
Dein treuer
 Paul Goldmnn.
|P. S. Morgen sende ich Dir »Aphrodite« von Pierre Louÿs. Schreib’ mir, wie Dirs gefällt, Aber zeig’ das Buch weder Bahr noch einem von den Bahrischen!
Der Wiener »Figaro« hat mich sehr gefreut. Wie ist Einem eigentlich zumuthe, wenn man berühmt ist?
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