Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique,
financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Mein lieber Freund,
1.) Nach einem flüchtigen Über
schlag von Zeit und Ko
sten
sehe ich, daß ich mit Dir
werde kaum zu
sammenrei
sen können. Denke
selb
st: Ich bekomme vier Wochen Urlaub und
habe während des
selben etwa 700
Francs zu verzehren. Die
Rei
se von hier über
Hamburg nach
Dänemark,
Schweden und
Norwegen würde und von da wieder nach
Paris zurück würde allein an 500
francs ko
sten. Die
Entfernungen
|sind außerdem groß, und ich würde
einen guten Theil meines Urlaubs auf der Ei
senbahn verbringen. Nun
sind bei meiner
Rei
se andere Rück
sichten maßgebend, als bei Deiner. Du geh
st von
Wien fort, um Neues zu
sehen, ich entferne mich von
Paris, um auszuruhen. Endlich intere
ssiren mich die
skan skandinavischen Länder gar wenig, und eine Rei
se nach der
Schweiz, mit einem kleinen Ab
stecher nach
Florenz, wäre mir weitaus zuträglicher. Um Dich wiederzu
sehen,
bin ich freilich zu allen Conce
ssionen
|bereit, aber
das
skandinavische Project erwei
st
sich bei näherer Betrachtung als
Unmöglichkeit für mich. Mach’ mir al
so, bitte, einen anderen Vor
schlag. Ich gedenke,
so zwi
schen 5. und 10. Augu
st aufzubrechen und würde meinen Urlaub als
verfehlt betrachten, wenn ich Dich nicht
sehen könnte, worauf ich mich nun jetzt
schon
seit meinem letzten Urlaub freue.
2.) In Sachen von »
Mourir« will ich demnäch
st etwas thun. Gegenwärtig habe ich
so Tau
senderlei zu
erledigen und komme nicht
|dazu, die Leute zu
sehen,
an die ich denke. Ha
st Du an
Thorel ein
Exemplar
ge
schickt?
3.) Ich bleibe dabei, daß ich Deine Mitarbeiter
schaft bei
Albert Langen bedaure.
Die Daß Directoren, die über Dich
schimpfen, trotzdem Deine Stücke aufführen, i
st richtig. Aber die Directoren
sind
×× nicht zu umgehen. Hingegen die
Sachen, die bei
Langen er
schienen
sind, mußten nicht
ged gedruckt
werden.
Au Auch lei
ste
st Du
Langen de einen ganz be
sonderen Dien
st, indem Du ihm für
sein neues
Unternehmen die gegenwärtig
|be
sonders große Autorität Deines Namens zur
Verfügung
stell stell
st. Ferner: Wenn die
Theater-Directoren über Dich
schimpfen, weißt Du es nicht. Bei
Langen weißt Du es. Und würde
st Du einem Director Dein Stück geben, der es mit den
Worten empfinge: »Aufführen muß ichs wohl, aber Sie können nicht deut
sch
schreiben«?
Endlich und letz
tlich geht es mir nicht in den Sinn, daß es in
der Welt niemals eine Strafe für Lausbüberei geben
soll.
Langen hat
sich vor
|Deinen Erfolgen wie ein Lausbube
über Dich geäußert. Jetzt
sieht er, daß er
sich verhauen hat, und Du
sende
st ihm
sofort liebenswürdig Deine
Manuskripte: »Bitte, mein
Herr, wir wollen, den kleinen Irrthum berichtigen, der in un
serer
gegen
seitigen Schätzung mit untergelaufen i
st.«
4.) Mit
Harden ha
st Du vielleicht Recht; aber hüte Dich vor ihm, er i
st ein fal
scher Hund. Mit
der »
Liebelei« i
st es Dir
nicht über Gebühr gut gegangen.
|Sie nimmt vielleicht einen
geringeren Rang in Deiner Schätzung ein, weil Du
sie mit den anderen Stücken
vergleich
st, die
Du schreiben könnte
st und
schreiben
wi
st. Aber verglichen mit den Stücken, welche die
Anderen schreiben,
steht
sie im er
sten Range.
5.) Näch
ste Woche will ich
Thorel auf
suchen, und dann verabreden wir etwas Definitives in der
Übersetzungs-Angelegenheit. Gün
stig
sind
die Chancen für Aufführung ausländi
scher
|Stücke an
einem an
ständigen Theater gegenwärtig
nicht.
6.) Die »
Freie Bühne« bekomme ich nie zu
Ge
sicht. Könnte
st Du mir die
Nummer mit dem
Artikel über Dich nicht
schicken?
7.) Wenn
Fischer Dich
o ohne Verpflichtung honorirt hat,
so geht daraus klar hervor, daß
er Dich an
sich fe
sseln will, um Dich bei Deinen
sämmtlichen näch
sten Büchern
betrügen zu können.
8.) Ein
Mensch, den
Bahr als »neuen Dichter«
signali
sirt, i
st bei mir
so
schwer
|compromittirt, daß ich ihn
× nicht mehr ohne Vorurtheil le
sen kann. Immerhin würde ich gern in das
Buch hinein
schauen. Aber woher
soll ichs bekommen? Könnte
st Du mirs
nicht
schicken? Nur leihwei
se, natürlich.
9.) Der kleine
Hugo mag als Men
sch charmant
sein, als Schrift
steller i
st er mir aufs Höch
ste
un
sympathi
sch, und er
steht mir fern, als hätte ich ihn nie gekannt.
|10.)
Bahr erklärt, Du
seie
st ein großer Kün
stler? – Was ha
st Du nur in der letzten Zeit
Schlechtes ge
schrieben?
11.) Mit die
ser
N× Nummer i
st in Deinem Brief die
Kölner
Aufführung der »
Liebelei« bezeichnet. Ich gehe
zu 12 über:
12.) Freut mich von Herzen, daß Du mit Deinem neuen
Stück auf die rechte Bahn komm
st. Schreib’ mir nur bald, wie
es es vorwarts rückt. Könnte
st
|Du mir nicht das
Manuskript schicken, wenn Dus fertig ha
st?
13.)
Albert sehe ich kaum mehr. Er wird ein literari
scher Mi
stbube (was er wohl
stets war).
Mich braucht er nicht mehr, und darum erklärt er, daß er ein
Schriff Schrift
steller
sei und ich nur ein Journalist. Hat
ganz Recht, der
Mann, – ich
meine: das Publicum und auch die Standesgeno
ssen denken genau
so wie er. Was
|Deine Manu
skripte anlangt,
so reclamire
sie von ihm
und laß’
sie vielleicht von einem der jungen Leute, die Dein
Stücke Stück über
setzen
wollen, zur
Probe übertragen,
dam damit man
sieht, was
sie können.
14.) Von der
Andreas-Salome höre ich nicht eine Zeile, noch ein Wort. Daß
sie in
Wien war, erfahre ich er
st aus Deinem Briefe. Den
plötzlichen Stimmungswech
sel Euch gegenüber kann ich mir
schwer
|erklären. Oder doch:
sie i
st eine
sehr launenhafte Frau. Sie
braucht Abwech
slung in
al ihrer Men
schen-Nahrung und zehrt nicht gern zweimal von den
selben. Sie hat mit
Euch Alles gelebt, was
sie mit Euch leben konnte, – hat Euch Alles gegeben, was
sie
Euch geben konnte. Daher wohl die beider
seitige Erkältung. Fe
sthalten aus Moral, aus
Treue, aus Freund
schaft
|kennt
sie wohl kaum.
Sie Man vergißt bei
ihr immer, daß
sie eine Frau i
st, und
sie i
st doch eine.
Solange
sie mit Einem Freund i
st, i
st
sie be
ständig – in
soweit hat
sie männlichen
Character. Aber das Weibliche an ihr i
st, daß
sie ihre Be
ständigkeiten wech
selt.
15.) Dein Leben nicht interessant? Haha! Ich wünschte nur, Du könntest vier Wochen
das Me meinige leben. |Dann würde Di Dir Dein Leben wie ein Roman vorkommen, – wie ein schöner Traum. Das Unglück
ist nur, daß m wir das, was uns das Leben schuldig bleibt, nach den Ansprüchen berechnen, die
wir an dasselbe stellen, – während wir so rechnen sollten: soviel gewährt es den Anderen, soviel mir. Dann würde fast immer ein Plus herauskommen, und bei Dir ein ganz gehöriges.
|16.) Hier ist eine »Grabschrift« mitgetheilt in Deinem Briefe, deren Genuß mir leider nicht zugänglich ist,
da ein oder zwei wichtige Worte darin infolge einer unerhörten Vertauschung von
I-Punkten und U-Haken vollständig unleserlich sind – selbst für Einen, der es in einem es, wie ich, nach fünfjähriger Lectüre
Deiner Briefe, zu einer hübschen Fertigkeit im Hieroglyphen-Entziffern gebracht
hat.
|17.) »
L’Aube« zahlt
sicher
sicher nichts, – da kann
st Du beruhigt
sein. Ich habe Deinen
Namen genannt, weil ich es mir zum Ge
setz
ma gemacht, jedem, der zu mir kommt und mich nach deut
scher Literatur frägt,
zuer
st von Dir zu
sprechen. Schicke den
Leuten irgend etwas Altes, was
schon gedruckt war und wofür
Du
schon gezahlt worden bi
st.
|18.)
Lalo will eine Arbeit über »
Nietzsches Einfluß auf das moderne
deut
sche Gei
stesleben« machen. Welches Buch, außer dem der
Andreas-Salome, kann man ihm zur Lectüre empfehlen? Bitte, antworte mir – ausnahmswei
se einmal
– auf die
se Frage.
19.) Schreib’ bald!
20.) Sei von ganzem Herzen gegrüßt!
Dein treuer
Paul Goldmnn.
|P. S. Morgen
sende ich Dir »
Aphrodite« von
Pierre Louÿs. Schreib’ mir, wie Dirs gefällt, Aber zeig’ das
Buch weder
Bahr noch einem von den
Bahrischen!
Der
Wiener »
Figaro« hat
mich
sehr gefreut. Wie i
st Einem eigentlich zumuthe, wenn man berühmt i
st?