Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 23. 5. 1896

|Wien, 23. 5. 96.
Mein lieber Hugo, ich freue mich sehr dass Sie sich meiner erinnert haben u noch mehr, dass Sie bald zurückkommen. Im Juni wollen wir dann doch noch ein paar Mal zusammen sein. Und das eine Mal von den paar werde ich wohl das Stück vorlesen können. Ich habe jetzt mehr Zuversicht. Aber mit meinem ganzen Herzen bin ich doch nicht dabei. Vielleicht ist das sogar gut: vielleicht |ist es ein Fehler von vielen meiner Sachen, dass ich mit ihnen im Schreiben zu zärtlich geworden bin.
Ihren Artikel über Poesie und Leben habe ich als ein schönes Gedicht empfunden; aber es kam mir vor, als wenn Sie die Grenzen der Poesie zu eng gezogen hätten, während es doch Ihre Absicht war, sie zu erweitern. Woher eigentlich dieses sonderbare Bedürfnis kommt, über Kunst zu reden. Ich selbst fühl es manchmal, und |habe nachher immer oder oft das Gefühl etwas überflüssiges oder gar unrechtes gethan zu haben. Es kommt bestimmt nicht allein daher, dass das Theoretisiren einfach meinem Wesen nicht entspricht. Und meine Sehnsucht, ins Klare zu kommen, ist gewiss auch nicht gering. Und was Goethe, Lessing, Hebbel, was Sie und andre über Kunssagen, lese ich gern; manches beruhigt mich, indem es abschließt, andres bewegt |mich, indem es Thore aufschließt. Wir sprechen einmal darüber.
Brahm ist jetzt da, den ich persönlich gern habe. Gestern Abend waren er, Richard, Salten u. Schwarzkopf bei mir. – Gelesen hab ich die Frzs. Revol. von Taine, die Olla potrida des durchtriebenen Fuchsmundi, die Noten zum Divan und einen englischen Kriminalroman. – Mein Sommerplan ist jetzt Norwegen, Schweden, Dänemark; und eine Novelle. – Jetzt ist ein Gewitter mit Blitz und Donner und Abend geh ich zum »Zerrissenen«.
Herzlich der Ihre,
AS.
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