Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 1. 2. [1896]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour. Paris, 1. Februar.
Bureau à Paris:

Mein lieber Freund,

Herzlich willkommen in Berlin! Möge Dir neues Gute dort beschieden sein!
Ich hörte dieser Tage, »Sterben« werde demnächst hier bei Perrin erscheinen u. Ed. Rod interessire sich ganz besonders dafür. Das wird Dir hoffentlich einen großen Artikel in den »Débats« eintragen, zu dessen Literatur-Referenten Rod gehört.
Von der Übersetzungs-Angelegenheit betreffend die |»Liebelei« habe ich einstweilen wenig Erfreuliches zu melden. Ich hatte dieser Tage Rendezvous mit Thorel. Er hat Schritte bei Carré, dem Director des »Vaudeville« gethan; aber Carré hat geantwortet: das Pariser Publicum interessire sich nicht mehr für fremde Stücke (was wahr ist), interessire sich nicht für moeurs Viennoises etc. Immerhin, wenn Thorel  das Stück übersetzen wolle, werde er es gern lesen. Das ist kein absolutes Nein, aber es ist nicht viel Hoffnung |in der Antwort. Ich denke daran, die Übersetzung eventuell der Réjane zu senden. Wenn diese das Stück spielen will, ist die Sache gemacht, trotz der Ansichten Carrés über die moeurs Viennoises. Aber dazu muß es erst übersetzt sein. Das einzige große Theater, das außer dem Vaudeville  noch in Betracht käme, wäre Sarah Bernhardts Renaissance, die Sudermanns »Heimath« gespielt hat. Aber ich glaube, da ist erst recht keine Aussicht, denn Sarah wird kaum ein |ausländisches Stück spielen, das keine Rolle für sie enthält. Bleiben die freien Bühnen: Œuvre, Théâtre Libre, Escholiers etc. Hier setzen wir so gut wie sicher eine Aufführung durch. Aber wie wird man da Dein schönes Stück spielen!
Für alle weiteren Schritte ist es jedenfalls nothwendig, daß wir eine Übersetzung zur Hand haben. Diese ist aber nur zu bekommen, wenn man zahlt. Thorel ist ein armer Teufel, |der von seiner Feder lebt. Er kann sich nicht an eine größere Arbeit machen, ohne daß man sie ihm sofort honorirt. Der Herr in Lyon würde die Sache vielleicht umsonst machen, aber nochmals: es wäre barer Unsinn, aus Lyon sich eine Übersetzung kommen zu lassen. Was aus der Provinz kommt, gilt hier für schlecht. Mein Rath ist einstweilen der: Warten wir die Berliner Aufführung |ab. Ich werde suchen, etwas darüber in die hiesigen Blätter zu bringen. (Wenn es Dir nicht zuviel Mühe macht, schickst Du mir wohl ein kleines Telegramm am nächsten Morgen). Dann wollen wir sehen. Vielleicht bekommst Du neue Anerbietungen von ernsten Leuten, welche die Sache umsonst machen wollen. Wenn nicht, so geht auch mein Rath dahin, zu zahlen, umsomehr als kein anderer Weg da ist. Entweder findest Du einen Verleger, |der die Kosten übernimmt, oder aber Du verwendesselbst einen kleinen Theil der Einnahmen, die das Stück Dir in Deutschland bringt, darauf, eine französische Übersetzung herstellen zu lassen, um eine Aufführung in Paris zu ermöglichen. Freilich mußt Du Dir denken, daß Du das Geld à fonds perdus ausgibst; denn eine absolute Garantie für die Aufführung kann man nicht gewähren. Thorel würde Dir die Übersetzung wohl für 500 Francs |herstellen. Er sprach zwar von 200 pro Akt, aber ich handle schon noch 100 herunter. Warten wir also einstweilen noch ein paar Wochen und reden wir dann weiter über die Sache.
Ich hoffe, Du schreibst mir ein paar Zeilen über Deine Berliner Eindrücke und Erlebnisse, die gewiß gut und froh sein werden. In Berlin habe ich einen Onkel, den Bruder meiner Mutter, einen braven, einfachen und seelensguten |Mann, der mich erzogen hat. Er heißt Hermann Mamroth und wohnt Bruecken-Allee 8. Wenn es Dir möglich wäre, ihm ein Billet zu einer Deiner Aufführungen zu schicken oder gar ihn zu besuchen, so würdest Du ihm und mir eine große Freude machen. Wenn es Dir aber auch nur die mindesten Umstände macht, so laß’ es gehen |und betrachte diese Zeilen als nicht geschrieben . . . . .
Dein Bericht über die Unterredung mit Bahr hat mich ungemein interessirt. Aber geh’ mir doch mit all’ der complicirten Psychologie. Setzen wir die einfachen Worte, die das Herz erleichtern: Bahr isso zu Dir, weil er ein Schurke ist, und er haßt Dich, weil er neidisch auf Dich ist. Das ist der Kern der Sache. Dem kleinen |Hugo bin ich sehr böse. Man kann sich wohl über Deine Launen ärgern, aber man schwankt nicht über die Stellung zu Dir. Leute, die nicht klar sehen, wer und was Du bist, haben selber einen Defect. Ich erwarte mir längst allerlei Enttäuschungen von dem kleinen Hugo – vor allen Dingen auf der Character-Seite. Er ist viel zu eitel für seine jungen Jahre. Der Schurke Bahr trägt |die Hauptschuld daran, aber auch Ihr habt Schuld, denn Ihr habt ihn verziehen helfen . . . . .
Wenn Du also irgend etwas in Berlin brauchst, so telegraphire. Du hast Recht, auf alle Empfehlungen zu verzichten. Die beste Empfehlung ist Dein Stück.
Und nun von Herzen Glück für Dienstag!
In Treue
Dein
Paul Goldmnn
Autograph meiner Schwester, das eben eintrifft:
|[handschriftlich :] Schnitzler ist ein lieber, reizender Mensch
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar