Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 26. 9. [1896]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour. Paris, 26. September.
Bureau à Paris

Mein lieber Freund,

Ich bestätige Dir den Empfang der 500 Francs, die ich gleich an Thorel weitergeben will. Anbei ein Brief von ihm.
Ich füge ferner einen Brief von Nansen  bei, den ich dieser Tage erhielt, nachdem ich seiner Frau französische chansons geschickt. Ihr solltet dem Manne einen Gruß schreiben, denke ich.
Es thut mir von Herzen leid, daß Dich die Wiener Nervositäten wieder haben. Gibts denn |gar kein Mittel dagegen? Geh’ doch auf ein paar Wochen nach dem Süden!
Was hörst Du aus Berlin über Dein Stück? Daß es Dir zuwider ist, versteht sich von selbst. Das ist die natürliche Reaction gegen die ungeheure Arbeit, die Du darauf verwandt hast.
Dieser Tage war ein Arthur Holitscher bei mir. Was ist das? Er hat zunächst gegen sich, daß er von Bahr empfohlen wird. Auch sonssieht er mehr nach einem Lausbuben aus, als nach irgend etwas Anderem.
Der Schiller-Goethesche Briefwechsel macht mich sehr |nervös. Diese Leute, die sich über nichts als über Bücher und sonstiges Literarisches schreiben! Dieses unerträglich Gönnerhafte von Seiten Goethes, der den vornehmen Herrn gegenüber dem Professor spielt (»Mein Werthester«, »werther Mann«) und gegenüber dem Mann in kleinen Verhältnissen mit seinen Reisen renommirt, mit seinem Reitpferde (»Ein Ritt von Weimar nach Jena wird mir gut thun«) etc. Und dieses nicht minder unerträgliche Sich-Geehrt-Fühlen von Seiten Schillers! Eigentlich drückt sich nur Goethe frei aus in dieser Correspondenz, |bei Schiller merkt man immer die Gedrücktheit. An ihm sieht man, was für ein kleinbürgerlicher armer Kerl doch ein deutscher Dichter ist! Nein, ein Briefwechsel ist nur erfreulich zwischen zwei Gleichstehenden. Ich finde den unseren viel interessanter, als das, was ich bisher von dem zwischen Goethe und Schiller kenne.
Was mit Dreyfus weiter wird, fragst Du? Gar nichts. Der Mann bleibt, wo er ist, und wird unschuldig gemordet, wenn nicht ein Wunder geschieht. Die Enthüllungen der Presse, welche den |unerhörten Blödsinn bewiesen, auf dem die Anklage aufgebaut ist, werden hier als niederschmetternde Schuldbeweise betrachtet. Meine Artikel haben nur den einen Erfolg gehabt, daß sie mir geschadet haben. Nicht nur daß ich in der Presse öffentlich beschimpft worden bin – auch meine fransischen Freunde haben mich mit Vorwürfen überschüttet: »Was geht Sie diese Geschichte an? Niemand wird mehr mit Ihnen verkehren können« etc. Wenn mich ein guter |Bekannter in einer Redactionsstube vertheidigen will, so wird ihm geantwortet: »Fragen Sie ihn nur, welchen Grad er in der deutschen Reserve einnimmt« etc. Mangels weiteren Materials habe ich natürlich die Campagne einstellen müssen. Sobald es aber wieder losgeht – und es wird wieder losgehen – fange auch ich wieder an. Es kann mir sehr schlecht dabei gehen – aber das ist mir gleichgiltig. Das ist ja gerade das Schöne in unserem Metier, daß |man die Unschuldigen vertheidigen und die Schwachen schützen kann. Don Quixote ist ein herrliches Vorbild für einen Journalisten.
Wie ists mit Ebermann gegangen? Ich höre, man hat ihn als zweiten Grillparzer begrüßt. Und was ist das für ein Schwindel mit dem in Berlin aufgeführten Stücke von Bahr?
Grüß’ Dich Gott!
Schreib’ bald!
Dein treuer
Paul Goldmann.
Empfiehl’ mich der geheimnißvollen Dame!

|[handschriftlich :] 12 rue de milan
jeudi.

Cher monsieur Goldmann,

Je suis en plein travail – j’ai déjà presque fini le premier acte – j’aurai voulu vous le montrer, mais mes dates de voyage et de propagé à Paris ont été un peu brouillées, et je depars tout à l’heure pour Auxerre où je resterai une huitaine de jours.
Sitôt rentré, je suis verrai, je terminerai.
A mesure que je la pénètre davantage, je me rends de plus en plus compte combien c’est exquis, cette petite pièce; et, avec cela, d’une habileté consommée. Et nous aurons fait là un joli cadeau aux Parisiens.
Bien à vous 

|[handschriftlich :] Kopenhagen 20 Sept. 96

Lieber Herr Goldmann!

Wenn ich nicht eher geschrieben habe, ist der Grund meine Manieristische Furcht für die deutsche Sprache. Oft habe ich an Ihnen gedacht, an Ihnen und Ihren Freunden. Ja, lieber Herr, Freundschaft und Sympathie kann man sich nicht verklaren. Vom ersten Tag’, ich Sie sah, habe ich Sie lieb, und ich hoffe, wie Sie, dass unsre Freundschaft in aller Zukunft dauern wird – |auch wenn ich ein schlechter Briefschreiber bin.
Ich vergesse aber ganz meinen Dank und den meiner Frau zu bringen für die Zusendung der franzoesischen Chansons. Meine Frau freut sich sehr sie zu singen – ich sie zu hören.
Ich bin jetzt Subscribent der Frankf. Zeitung  und habe neulich da eine ausgezeichnete Dreyfus-Feuilleton von Ihnen gelesen. Das ist das beste, was ich von dieser merkwürdigen Sache gelesen.
(Ich schreibe so undeutlich um meine Sprachfehler zu verbergen)
– – Ich wurde gestern in meinem |Schreiben unterbrochen und setze jetzt fort, d. 21. hujus.
Meine Frau hat in diesen Tagen im königlichen Theater ihre Entrée gehabt mit grossem Erfolg. In einer kleinen Ibsen-Rolle. Frl. Bernick in »Stützen der Gesellschaft«.
Dieses Jahr werde ich deutscher Journalist. Der vortreffliche Herr Fischer hat mich engagiert vier Briefe vom Norden in »Neue deutsche Rundschau« zu schreiben. Den ersten Brief habe ich schon fertig. Der kommt im October-Hefte.
Sie schreiben natürlich oft an Herrn Schnitzler und Beer-Hofmann. Sagen – bitte – den zwei liebenswertesten Menschen, dass sie mir nicht böse sein dürfen, weil sie nichts von mir noch gehört haben. Sie wissen ja alle |Drei den legitimen Grund meiner Stummheit.
Ach – könnten Sie nur alle Drei recht oft Abendvisiten machen und mit uns plaudern und lachen und bisweilen – weil es auch gut ist – ein bischen sentimental sein.
Lieber Freund – ich sende Ihnen alle meine besten Grüsse und meine Frau fügt ihre Grüsse zu den meinigen.
Vergessen Sie uns nicht und schreiben Sie bald wieder.
Ihr ergebener
Peter Nansen
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