Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 11. 1. [1896]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureau à Paris: Paris, 11. Januar.

Mein lieber Freund,

Heut geht das Opernglas an Dich ab. Ich habe Dich lange warten lassen müssen. Erstens hatte ich viel zu thun, zweitens war es keine leichte Geschichte. Ich bin bei allen möglichen Optikern herumgelaufen. Die große Schwierigkeit war der Ausschluß von Perlmutter. Alles, was hier hübsch und Pariserisch aussieht, wird in Perlmutter aller Arten und Farben gemacht. Dann hat man noch ganz schwarze |Operngläser, endlich Schildpatt. Ich habe mich zu letzterem entschlossen, damit wenigstens etwas Farbe daran ist. Weitere Schwierigkeit: Die wirklich guten Gläser finden sich nur bei den großen Instrumenten. Je kleiner die Gläser, umso weniger gut sieht man. Je kleiner die Gläser, umso zierlicher freilich und umso reicher ornamentirt ist die Form des Ganzen. Mich strict an Deine Weisungen haltend, habe ich das den Gläsern |nach beste Opernglas genommen, das ich in der betreffenden Preislage finden konnte. Es enthält zwölf Gläser und stammt von einem in Paris bestbekannten Optiker. Man sieht gut dadurch, freilich mußte ich deshalb ein etwas größeres Format wählen. Es ist zur Herstellung Aluminium verwendet, was jetzt hier sehr in der Mode ist. Ich kann das zwar absolut nicht leiden, aber das Opernglas hat dadurch den Vortheil |größter Leichtigkeit. Auch sonst gefällt mir meine Wahl äußerlich gar nicht; aber Du hast mir zu enge Grenzen gesteckt, und mein Geschmack konnte sich darin nicht frei bewegen. Jedenfalls habe ich mit dem Optiker den Umtausch ausgemacht. Gefällts Dir also nicht, sschickst Du mirs zurück und gibst mir nähere Weisungen. Kosten sollte es 60 Frcs, ich habe aber einige Tage |manövrirt und schließlich 50 Frcs herausgehandelt. Freilich dürfte sich der Ehrenmann wohl noch 5 Frcs für Verpackung, Porto etc. herausschwindeln. Soll ich Dir den Resschicken oder soll ich noch etwas dafür hier kaufen?
Über die verschwundenen Goldstücke hat die hiesige Post auf meine Beschwerde eine Untersuchung eingeleitet, wie beifolgendes |Papier bestätigt, das Dir vielleicht als Ausweis gegenüber der österreichischen Post dienen kann.
Auch sende ich Dir einen Brief von Thorel, der ein Stück im »Odéon« aufgeführt bekommen soll. Man zieht ihn furchtbar damit herum, und das macht ihm den Kopf verrückt. Lassen wir ihm noch etwas Zeit.
Den guten Mann |aus Lyon bescheide aufschiebend. Viel Vertrauen flößt er mir nicht ein. Die Zeitschriften, die er nennt, sind unbedeutend, die Beziehungen, die er angibt, noch mehr. Für das »Œuvre« oder das »Théâtre Libre« brauchen wir ihn nicht. Mit denen stehe ich allein in Verbindung. Auch spielt man dort so erbärmlich, daß ich Dich nicht gern dort aufgeführt sehen |möchte. Endlich soll Dein Stück in Paris übersetzt werden. Was aus der Provinz, aus Lyon kommt, darüber rümpfen sie in Paris bereits die Nase. Nach einem großen Erfolge in Berlin – den ich voraussehe – werden sich Dir ganz andere Leute anbieten; vorher darfst Du wohl kein Engagement eingehen.
|Vielen Dank noch für Deine Einladung zum Zusammentreffen in Frankfurt! Das wäre schön gewesen. Aber die Idee war phantastisch. Im Januar von hier fort! Ich glaube, ich wäre entlassen worden. Und kein Geld zur Reise! Nur Schulden! Nie im Leben bin ich dem Bankerott so nahe gewesen. Aber es war lieb, daß Du an mich gedacht hast. Wann |werden wir uns wiedersehen? Gott weiß! Ich glaube, ich gehe nicht mehr aus Paris heraus. Hier bin ich vergraben, die Welt draußen aber thut mir weh. Neugierig bin ich auf das Ergebniß der ersten Aufführung in Deutschland und – auf meinen Onkel. Ich habe ihm dieser Tage geschrieben, weil ich fürchte, daß er Dir wehthut aus Haß gegen  Speidel. Im Grunde |aber ist er doch ein hochanständiger und kunstliebender Mann – und darauf hoffe ich.
Ich habe Dir für so viele liebe Briefe zu danken. Dein letzter war melancholisch. Dein Talent soll nur Deine Jugend gewesen sein. Oh Du Kind! Wenn irgend ein Talent zu reifen bestimmt ist, so ist es Deines. Es ist kein Schwindel und kein Dunst darin. Es beruht auf klarer |und ernster Anschauung des Lebens. Das kann nicht altern. Im Gegentheil. Da sich Einem das Leben immer größer und vielgestaltiger aufthut, je älter man wird – was wird Dein Talent erst daraus ziehen, nachdem es aus dem Bischen Jugend und Liebe schon so viel gezogen hat! Oder wirst Du vielleicht morgen plötzlich |aufhören, ein Poet zu sein? Glaubst Du, das verliert sich mit den Jahren? Oh Du Kind! . . . . . 
Von meinem Leben will ich Dir nicht sprechen. Ich schäme mich. Es ist zu sehr dieselbe Geschichte. Das Leben, unermündlich mir neue Glücks-Möglichkeiten in die Hand zu spielen, und |ich unermüdlich, sie mir stets auf dieselbe Weise zu verderben: durch Schwäche, durch mangelnde Mannhaftigkeit etc. Wenn man 31 Jahre geworden ist, so ändert man sein Leben nicht mehr. Und wenn es einmal in eine falsche Richtung eingelenkt ist, so geht es unaufhaltsam in dieser Richtung weiter. Verfahren! Unglücklich sein, das kann man |ertragen. Aber wenn man stets durch eigene Schuld unglücklich ist, – das erträgt man kaum.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund! Schreib’ mir bald! Wie stehts mit dem neuen Stücke? Rückt die zweite Niederschrift vorwärts?
Viele Grüße an Richard!
In Treue
Dein
 Paul Goldmann.

|No 1293 G⋅A⋅C.
Décembre 91 – Coq. 55.
Exploitation Postale.
Bureau des Réclamations.
2e Sectione.
–6–
No sp. 344.
Avis d’enquête.
Paris, le 23 décembre 1895.

Monsieur,

J’ai reçu la réclamation que vous m’avez adressée le 21 décembre courant, à l’occasion d’une lettre recommandée qui vous a été expédiée de Vienne (Autriche), le 19 décembre, sous le No 745, par M. Schnitzler, & dans laquelle vous déclarez n’avoir plus trouvé trois pièces de 20 f. qui y auraient été insérées.
Des ordres ont été immédiatement donnés pour que les faits que vous m’avez signalés soient l’objet d’une d’une enquête dont je vous ferai connaître le résultat dès qu’elle sera terminée.
Agréez, Monsieur, l’assurance de ma considération distinguée
Pour le Directeur Général des Postes et des Télégraphes: 
Par L’Administrateure, 
 Blanqui××
Monsieur Paul Goldmann

Cher Monsieur Goldmann,

Très touché de votre aimable attention du jour de l’an. Je vous envoie aussi tous mes meilheurs souhaits.
Pourriez-vous me dire l’adresse de Schnitzler? Elle était bien sur sa lettre, mais illisible. J’ai été très pris ce mois-ci par une affaire que je voudrais entreprendre et je n’ai pas encore eu le temps de lire »Liebelei«, mais je pense bien pouvoir le lire ces jours-ci.
Votre très dévoué
 Jean Thorel
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar