Es hat mich sehr gerührt, daß Du mir zu meinem 60. Geburtstage gratulirt hast, u. ich danke Dir von Herzen für Deinen Brief. Er hat mich
erfreut – u. ein wenig beschämt. Denn als Du vor wenigen Jahren Deinen 60. Geburtstag gefeiert hast, wollte ich Dir schreiben, brachte es
aber nicht über mich, weil ich den Ton nicht finden konnte. Ohne Dir zu schreiben,
habe ich Dir aber, glaube es mir,↓!↓, alles Gute gewünscht, wie ich überhaupt, von fern |u. in aller der
Stille, an allen Deinen Lebensschicksalen ftets den herzlichsten Anteil genommen
habe.
In unseren Jahren – traurig, nicht wahr?, daß wir bereits »in unseren Jahren« sind! –
vermeidet man gern Aussprachen u. läßt die Dinge bestehen, wie das Leben sie
gestaltet hat. Ich habe aber das Gefühl, daß Dein Brief mich zu einer Angabe von
Gründen für mein Verhalten verpflichtet, u. daß ich Dir für die schönen Worte, die Du
mir geschrieben hast, volle Offenheit schulde.
Un
sere Wege haben
sich vor Jahren getrennt.
|Es
gab damals einen Streit
zwi
schen uns. Du hatte
st mir vorgeworfen, daß ich über
eines Deiner Stücke
× in
der
Öffentlichkeit anders
geurteilt hätte, als ich dies vorher in einem Privatbriefe an Dich getan hatte. Ich
empfand dies als eine
schwere Kränkung. Denn wenn ich heut auf mein langes
Journali
sten-Leben zurückblicke, darf ich von mir
sagen, daß ich (in we
sentlichen
Fragen) öffentlich niemals anders ge
sprochen habe, als ich wirklich gedacht habe, –
daß ich niemals zwei ver
schiedene Meinungen gehabt habe, eine öffentliche
|u. eine private. Als ich dann meinen Brief an Dich
nachlas, fand ich be
stätigt, daß Du mir Unrecht getan hatte
st. Denn
schon in die
sem
Briefe waren Einwendungen angedeutet u. Vorbehalte gemacht – nur waren die
se
Einwendungen u. Vorbehalte in rück
sichtsvolle Form gekleidet. Denn in einem
Privatbriefe an einen Freund
sind Rück
sichten erlaubt, ja geboten, während man zu
rückhaltslo
ser Aus
sprache
seiner Meinung verpflichtet i
st, wenn man als Kritiker zum
Publikum
spricht.
Aber, wäre es nur |diese Kränkung gewesen, – ich
hätte sie längst vergessen u. wäre längst wieder zu Dir gekommen, um Dir die Hand zu
bieten. Die Erinnerungen an schöne gemeinsame Jugendjahre, s↓d↓ie auch Du in Deinem Briefe jetzt erwähnst, leben weiter u. ziehen mich zu
Dir, der Du ja überhaupt unter all’ den Menschen, denen ich auf meinem Lebenswege
begegnet bin, einer der Besten u. Liebenswertesten bist.
Was mich von Dir ferngehalten hat, war etwas anderes. In einem Deiner Briefe, die un
ser
damaliger Konflikt
|hervorrief, fand
sich
folgende Äußerung über mich (ich zitire nur die haupt
sächlichen Worte,
soweit
sie mir
in der Erinnerung geblieben
sind): »Du bi
st ein Men
sch ohne jede Phanta
sie – eine
gänzlich unkün
stleri
sche Natur.« Das i
st
schlimmer als eine Kränkung – das i
st ein
Urteil – ein Urteil, das meine Per
son, meine ganze Lebensarbeit tief herab
setzt. Ich
fand das
selbe Urteil noch einmal wieder in
einem Deiner Stücke, wo, in unverkennbarer An
spielung auf
mich,
|von einem Journali
sten die Rede i
st,
einem »
raté«, der »
zu den Menschen gehört, die eine
poetische Seele, aber kein poetisches Talent haben.«
Ich halte Dein Urteil über mich für unrichtig, finde, daß es mich gänzlich verkennt,
u. habe d damals eine tiefe Bitterkeit darüber gefühlt, daß mich derjenige so verkennt,
der lange Jahre hindurch mein nächster Freund war. Dieses Dein Urteil über mich hat
mich damals von Dir entfernt u. hat mich bis heut von Dir ferngehalten. Ein Urteil
aber, wie gesagt, |ist schlimmer als eine
Kränkung. Denn eine Kränkung löscht die Zeit aus. Das hätte sie namentlich in unserem
Falle getan. S Denn die Vergangenheit wird ein Ganzes, u. in diesem Ganzen ist so viel Gutes,
das ich Dir verdanke, daß der eine Grund, Dir böse zu sein, dagegen nicht in Betracht kommt.
Ein Urteil jedoch bleibt. Gewiß, es kann revidirt werden. Aber Du haft es sicherlich
nicht revidirt. Denn wenn Du schon in der Zeit, als wir nahe Freunde waren, Dir eine so unrichtige Anschauung über mich |gebildet
haft, warum solltest Du sie geändert haben in den Jahren, seit wir fern von einander
leben? Ich verlange auch keine Revision Deines Urteils über mich. Ich lasse Jedem seine Überzeugung, auch wenn ich sie für irrig halte, – so wie ich beanspruche, daß
man mir meine Überzeugung läßt. Daß Du Dir aber diese Überzeugung über mich gebildet
hast, das macht es mir so schwer, den Weg wieder zu Dir zu finden. Gewiß, ich bin es
gewohnt, verkannt u. unterschätzt |zu werden, –
u. ich habe mich damit abgefunden. Schließlich wird einem das Urteil der meisten
Menschen gleichgiltig, u. man findet sich ××××××××b,↓seine Entschädigung darin,↓, daß ein paar Freunde wissen, wer man ist.
Ein Freund jedoch,
[2 Zeilen unleserlich]
der
sich dem herab
setzenden Urteil der anderen Men
schen an
schließt, – gewiß,
auch der Freund hat das Recht,
sich in voller Freiheit
sein Urteil zu bilden, – ich
aber kann es nicht über mich
|gewinnen, den
Freund, der mich kennen müßte u. nicht kennt, noch als Freund zu betrachten. . .
Und nun sei nochmals herzlichst bedankt für Deinen lieben Brief! Sei überzeugt, daß
ich, trotz allem, in meiner Gesinnung Dir gegenüber der Alte geblieben bin! Und laß’
Dir von Herzen alles Gute wünschen!
Dein
Paul Goldmann.