Arthur Schnitzler an Paul Goldmann, 9. 3. 1925

|Wien, 9. 3. 1925.

Mein lieber Freund.

Mir ist, als hättest Du den eigentlichen Sinn und Zweck meines Glückwunschschreibens missverstanden. Es war a priori nicht anzunehmen, dass wir, Du und ich über uns selbst und über einander als Sechzigjährige wesentlich anders denken sollten, als wir vor 10 oder 15 Jahren gedacht haben; – und es ist möglich, dass meine Ansicht über die Art und das Ausmass Deiner Begabung so wenig zutrifft, als das Deine über mich und meine Werke.
Jedesfalls liegt die Entscheidung darüber nicht bei uns Beiden und es liegt mir ferne heute über diese Fragen eine Diskussion zu eröffnen, die doch aller Voraussicht nach nicht zu einer Einigung führen dürfte.
Ob Dir eine Arbeit von mir mehr oder weniger gelungen scheint; – ob ich Deinen menschlichen Wert und Deine schriftstellerische Bedeutung darin ausgedrückt finde, was man gemeiniglich poetisches Talent nennt, oder in andern an sich nicht minder hochzuschätzenden Elementen Deines Wesens und Deiner Begabung, – das kommt für meine Empfindung im gegenwärtigen Moment unseres Lebens nicht mehr in Betracht.
Was ich in meinem Brief sagen oder wenigstens anzudeuten versuchte, – das ist: dass über unseren Meinungen und Urteilen, mögen sie nun irrtümlich sein oder nicht, zwischen Dir und mir eine Beziehung bestand und für mein Gefühl noch immer besteht, die in einer seelischen und geistigen Gemeinsamkeit unserer Jugendjahr wurzelt – und somit als »Idee« unzerstörbar ist, mag sie auch |für die äussere Gestaltung unseres Verhältnisses zu meinem Bedauern keine genügende aufbauende Kraft mehr besitzen.
Trotzdem (oder deswegen) könnte auch ich mich versucht fühlen ein Wort aus einem meiner Stücke zu zitieren, wie Du es getan – Hofreiter spricht es im »Weiten Land« aus, dass es nämlich überhaupt nur ewige Liebe und ewige Freundschaft gebe (auch wenn die Freunde durch die Macht der Umstände gedrungen sein sollten sich gegenseitig totzuschiessen (ich zitiere ungenau)); – und so musst Du es Dir schon gefallen lassen, dass ich mich auch weiterhin mit neuerlichen Glückwünschen und Grüssen Deinen Freund nenne, wie in fernen Jugendtagen – (ohne mörderische und ohne sentimentale Consequenzen)
Herzlichst Dein
A.S.
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