Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 6. 7. [1895]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour. Paris, 6. Juli.
Bureau à Paris

Mein lieber Freund,

Ich habe Dir nichts Neues zu sagen, aber ich schreib’ Dir, um Dir zu sagen, daß ich mich von Herzen freue, Dich unterwegs zu wissen, und daß ich Dich mit meinen besten Wünschen begleite.
Prag muß schön sein. Viel alte Steine und blonde junge Mädchen dazwischen |und ein rauschender Fluß und der dreißigjährige Krieg. So stell’ ich mirs vor. Was Du von dem alten Friedhof schreibst, hat mir beinahe Heimweh danach gemacht. So ist der Tod anheimelnd, – wenn man nämlich oben steht zwischen den versinkenden Steinen und dem grünen Gras, in Sommerluft und Frieden. Nur ist das nicht der eigentliche Friedhof. Der eigentliche |Friedhof – das wäre, wenn man ihn von unten ansieht. Da muß er schauderhaft sein, aber das ist auch des Todes wahres Gesicht. Hierher gehört ein Capitel über die Oberflächlichkeit der menschlichen Todes-Anschauung, welche die Friedhöfe von oben betrachtet statt von unten, welche sich unter die rauschenden Bäume der Friedhöfe stellt und sagt: |»Welch’ sanfte Ruhe!« Nein, es ist nicht die Ruhe, es ist das Vermodern.
Dabei vergesse ich, daß ich zum Autor von »Sterben« spreche.
Oh, ich möchte gern hinunter, unter die Erde. Ich kanns wirklich nicht mehr. Seit einigen Tagen sehe ich wieder mit erbarmungsloser Klarheit, was ich Alles verfehlt, was |ich nie erreichen werde. Ich sehe mich mit energielosem Schritte durch die Straßen gehen, und aus den Spiegeln der Läden blickt mir mein Gesicht entgegen und ruft: »Un rate!.« Haha, mit 30 Jahren!
Sterben, oh ja! Aber glücklich leben wäre doch noch viel schöner, und |ich glaube immer noch daran, obwohl ich es mit unbeweisbarer Logik darthun kann, daß ich zu schwach bin, mir irgend eines der großen Lebensgüter zu erkämpfen.
Das isso ehrlich, was ich Dir da schreibe, so ohne Pose, weiß Gott!
Becque hat mir versprochen, er will »Mourir« lesen. Wird ers thun?  . . . Ich |schicks ihm Montag. Dann könnte man mit ihm die Verleger-Frage berathen.
Wer die betreffende Frau ist, möchte ich Dir gern sagen, könnt’ ich nur ihren Namen lesen. Bitte schreib’ mir ihn noch einmal recht deutlich auf. Von was issie Sekretär? In welcher Stadt lebt sie? Daß Du Dich zu nichts verpflichtet hast, ist gut. Unter keinen Umständen |darfst Du Deine übrigen Werke vergeben. Sieh’ Dir auch an, ob die Übersetzungen ’was taugen oder schick’ sie mir. Die Frauenzimmer thun in der Regel das Übersetzen ab, wie das Strümpfeflicken.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund. Mit wem immer Du bist, grüß’ ihn von mir. Ich wünsche Dir von Herzen Glück und Sonnenschein auf den Weg.
Dein treuer
Paul Goldmann
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