Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 14. 11. [1903]

Berlin, 14. November.

Mein lieber Freund,

Verzeih mir, daß ich so lange nicht geschrieben habe. Ich lebe seit meiner Rückkehr in fortwährend wechselnden Stimmungen, in vielen Sorgen und Widrigkeiten. Eine große Müdigkeit hielt mich vom Schreiben zurück. Im Grunde bleibt doch immer Alles beim Alten. Wozu alsschreiben?
Deine lieben Nachrichten haben mir sehr gefehlt. Warum hast Du mir denn nicht geschrieben? Sind wir denn so formell geworden, daß Einer auf des Andern Brief wartet, um ihm Nachricht von sich zu geben? Gestern |habe ich endlich durch Liesl, die ich bei den »sen Buben« sprach, etwas Näheres über Dich erfahren. Ich habe zu meiner großen Freude gehört, daß es Dir, Deiner Frau und dem Kinde gut geht. Und nicht minder freue ich mich über die Aussicht, Dich bald in Berlin zu sehen. Zu Deinen Erfolgen in der letzten Zeit (Schillertheater, Paris, Bahrs Vorlesung) beglückwünsche ich Dich herzlichst, und ich hoffe, daß das neue Stück diese »schöne« Reihe mit Glanz fortsetzen wird. Den Artikel von Nordau schickte ich Dir, weil ich es bemerkenswerth fand, daß dieser |Mensch, der Alles verreißt, so freundlich über Dich sprach.
Für Fräulein Dora Popper habe ich leider nicht viel thun können. Was mir möglich war, habe ich gethan.
Gourgauds Gespräche mit Napoleon, die ich Dir verdanke (ich werde Dir das Buch in Berlin zurückgeben) haben mir viel Genuß bereitet. Ein herrliches Buch sind Krapotkins Memoiren, (im selben Verlage erschienen), deren Lektüre ich Dir dringend empfehle.
Mit Frankfurt bin ich in reger Correspondenz. Hier und da fährt ein Sturm dazwischen. Ich weiß nicht, was werden soll. Ich mag mich an diese Frau nicht durch Heirath binden, weil das mein wirthschaftlicher |Ruin wäre und weil auch, infolge der Affaire in diesem Winter, viel Schmutz an ihr haftet; anderseits kann ich nicht einmal den Gedanken ertragen, auf sie zu verzichten.
Grüße Deine Frau vielmals, schreib mir bald und sei selbst herzlichst gegrüßt von Deinem getreuen
Paul Goldmann.
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