Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, 13. 11. 1903

|Rodaun, 13. 11. 1903

Mein lieber Arthur,

der »einsame Weg« ist ein schönes großes Theaterstück, dessen mit nichts zu vergleichende geistig-gespenstische und doch wieder reale Gestalten einen mit unglaublicher Kraft halten und halten, und nach einer ziemlich unruhigen Nacht, die sie verschuldet haben, am Morgen noch lebendiger, saugender in einem und um einen da sind. Der Ton, in dem da in einer geheimnisvoll verdünnten Luft ganze Existenzen miteinander ringen, miteinander abrechnen, Vergangenheit und Gegenwart ineinander wechselweise aufheben und sich ineinander verwinden, die geheimnisvollsten Verschuldungen ihre intimste feinste Bestrafung finden, – diesen Ton werde ich nie ganz vergessen und nie die Stunde, wo ich ihn zum ersten Mal gehört habe. Er war mir vielleicht um desto ergreifender, dieser Ton, weil er noch nicht ganz erobert, nicht ganz gesichert war und weil so, für den erregten Zuhörer, zu den überreichen Vorgängen des Dramas noch ein andres, Mitschwingendes dazukam: zu fühlen, wie Sie, in den bewegten Schatten dieses Dramas, für Monate Ihr ganzes Dasein, Ihr menschliches-künstlerisches, einziges Dasein, in einer Weise besessen haben, wie nie zuvor – besessen bis zum Erschaudern. – Ich bin sehr glücklich, lieber Arthur, daß Sie etwas so Schönes, Tiefes, mit nichts Vergleichbares machen konnten.
Von Herzen
Ihr
Hugo
P. S. Felix’ erste Worte: »Die Begeisterung scheint nicht gerade groß zu sein« (oder so ähnlich), haben einen so saloppen, anatol-mäßigen jour-Ton, daß sie einem die Figur für 5 Minuten ganz falsch hinstellen. Warum soll dieser Mensch zu seiner rechten Schwester nicht einfach sagen: »Nun, deine Freude über meine Ankunft scheint mir nicht gerade groß« . . . oder so ähnlich. Dieses Wort »Begeisterung«: nämlich ein großes Wort wählen, um es dann durch ironischen Ton sogleich zu drücken, also hausse und |baisse in einem Satz veranstalten, ist direct jüdisch-wienerischer Jargon und Felix würde das gewiß nicht in den Mund nehmen.
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