Berlin, 13. Dezember.

Mein lieber Freund,

Ich habe mich sehr gefreut, wieder einmal einen Brief von Dir zu erhalten. Auch die guten Nachrichten über Deine »engste Familie« haben mir viel Freude bereitet.
Daß ich für Fräulein Popper, nachdem sie mir von Dir und Deiner Mutter empfohlen worden, Alles that, was in meiner Macht stand, isselbstverständlich. Wenn Du sie siehst, ssage ihr, daß der Referent der »Nationalzeitung«, an den ich sie empfohlen, sehr freundlich über sie geschrieben hat.
|Am Semmering muß es im Spätherbssehr schön gewesen sein. Hast Du weitere Winter-Reisepläne? Über die Vorlesung Deines Stückes durch Ludwig Bauer habe ich selbstverständlich ein Telegramm gesandt. Es ist nicht erschienen (oder sollte es mir entgangen sein?). Dieses Nichterscheinen richtet sich aber sicherlich gegen Bauer und nicht gegen Dich. Mein Telegramm über das Bevorstehen Deiner Première ist ja erschienen.
Zum Lesen komme ich gar nicht mehr, seit die furchtbare Reichstagsarbeit begonnen hat. Vehse habe ich habe ich mir gekauft (für 67 MK; was hast Du gezahlt?). Hast Du das gegenwärtige |deutsche Modebuch »Briefe, die ihn nicht erreichten« schon gelesen? Es ist zu empfehlen.
Meine Freundin in Frankfurt war krank. Lungenentzündung oder so etwas. Ich bin sehr besorgt. Aus ihren Briefen werde ich nicht recht klug inbezug auf ihre Krankheit. Die Ärzte sagen ihr auch offenbar nicht die Wahrheit; aber aus dem Umstande, daß die Ärzte eine sofortige Reise nach dem Süden, womöglich Egypten, empfehlen, folgere ich allerlei Schlimmes.
Als ich das letzte Mal in Wien mit Dir und Deiner Frau über diese Angelegenheit sprach, sagtest Du, daß ich eigentlich nunmehr gegen meine Freundin sei, indem ich sie in |der Illusion ließe, ich würde sie heirathen. Ich habe über diese Deine Worte oft nachgedacht. Du hast im Wesentlichen Recht; und da mich der Vorwurf der Unwahrheit sehr bedrückt, bin ich seit Wochen bemüht, in meinen Briefen allmälig zur Wahrheit einzulenken. Sie weiß heut, daß ich sie, fürs Erste wenigstens, nicht heirathen kann; aber sie klammert sich trotzdem an mich, als denjenigen, der sie, wie sie schreibt, »vom Abgrund zurückgerissen hat« und als ihren einzigen Halt.
Was aus Alledem werden soll, weiß der liebe Gott allein.
Das Unglück wollte es, daß | ich Bahr, nachdem ich das Glück gehabt hatte, während seines Berliner Aufenthalts nigends mit ihm zusammenzukommen, gestern auf der Straße traf. Ich blieb stehen, und wir geriethen in ein längeres Gespräch. Dieser alberne, dünkelhafte und verlogene Mensch hat mich immer heftig gereizt. Diesmal war dies ganz besonders der Fall, und er schien es auch darauf angelegt zu haben, mich zu provoziren. So theilte er mir Äußerungen mit, die Du und Beer-Hofmann gethan haben sollen. Ich gerieth in Hitze und antwortete |demgemäß. Hinterher wurde es mir klar, daß Deine und Richards Äußerungen offenbar entstellt wiedergegeben waren. Ich vermuthe, daß er Dir jetzt auch meine Äußerungen entstellt berichten wird, und bitte Dich, falls dies geschehen sollte, nicht darauf zu achten.
Wenn Du nächstens einmal wieder Zeit findest, mir zu schreiben, wirst Du mir eine große Freude machen. Weihnachten gehe ich wahrscheinlich nach |Frankfurt.
Viele herzliche Grüße an Dich und Deine Frau von Deinem getreuen
Paul Goldmann.
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