Lieber! Wenn ein Werk vor einem gutwilligen, unbeeinflußten Hörer
seine Wirkung verfehlt, dann muß das Werk daran irgendwie schuld sein. So habe ich
immer gedacht, und so denke ich auch heute. Da ich nun annehme, dass Sie meinem
Feuilleton ein gutwilliger,
unbeeinflußter Leser waren, so ist einfach mein
Feuilleton mißlungen. Es kann offenbar nicht anders
sein.
Das Entscheidende ist mir: Sie fühlen sich verletzt, und: Sie haben durch mein
Reigen-Feuilleton eine bittere
Stunde gehabt. Ich werde in meiner Antwort, (die Sie doch erwarten?) auf nichts
anderes Bedacht nehmen, als auf diese beiden Umstände. Denn es war nicht meine
Absicht, Sie zu verletzen, und das
Feuill. wurde nicht geschrieben, um die Stunde, in der Sie es lesen, zu
einer bitteren zu machen. Ganz im Gegentheil, wie Sie mir hoffentlich glauben.
Wenn meine
Arbeit trotzdem so
auf Sie gewirkt hat, dann ist eben »das« nicht herausgekommen, was ich herausbringen
wollte. Nachdem ich seit gestern diese Sache ernsthaft
überlegt habe, nachdem ich alle Empfindlichkeiten, die sich regen wollten, und alle
sonstigen Unterstimmen zum Schweigen gebracht habe, bin ich zu diesem Resultat
gelangt. Ich sehe heute zwar selbst noch nicht genau,
wo der Fehler stecken mag, aber ich zweifle nicht, dass
d↓e↓in Fehler an meiner
Arbeit vorhanden ist; ich
will daran nicht
zweifeln, und ich muß nun versuchen, das
Feuilleton zu erklären, außerdem aber auf eine
Beschuldigung, die Sie gegen mich erheben, antworten. Zwei schwere und
mißlige mißliche Dinge.
Zuerst also die Beschuldigung
, ich hätte mündlich, und bisher auch
öffentlich-kritisch eine andere Meinung über Sie zum Ausdruck gebracht, als die in
meinem
Reigen-Feuilleton
niedergelegte. Das sei unaufrichtig, und habe Sie verletzt.
Darauf ließe sich erwidern, dass ich jetzt sehr wol eine andere Meinung haben könne↓te↓, ohne dass eine Unaufrichtigkeit mir deshalb vorzuwerfen wäre. Es kommt ja,
wenn man seine alten, gewohnten Urtheile über einen Künstler nach Jahren wieder
einmal versammelt ↓vor↓, dass die eine oder die andere der
früheren Meinungen Einem inzwischen davongelaufen ist, sich nicht mehr einstellen
will, indessen andere, neue Anschauungen sich plötzlich einfinden. So entstünde dann
in der Conc↓z↓entration kritischen Arbeitens ein verändertes Gesammtbild, und man dürfte
deswegen von einer Unaufrichtigkeit noch nicht sprechen.
Bei mir ist aber nicht einmal
das zutreffend. Was ich
im »
R-F« schrieb, habe ich
seit Jahren
gedacht, und Ihnen mein Denken nicht
vorenthalten. Sie
müßen sich erinnern, wie oft ich
Ihnen sagte, dass der
Anatol jetzt anders auf
mich wirke, als vor 12 Jahren, und Sie müßen sich erinnern, dass ich bei diesem
Thema:
Anatol,
Märchen ec. einmal (es war in der
Frankgaße) so heftig im Ausdruck wurde, dass wir Beide darüber ins Lachen
geriethen. Sie müßen sich ferner erinnern, dass ich Ihnen in unseren häufigen
Gesprächen über die »
Beatrice« sagte, es müße
nun etwas anderes kommen! Ich
|rechnete, mit Ihrer Zustimmung, die
Beatrice
als den Abschluß Ihrer
Anatol-Epoche, fand, dass
auch der vorher geschriebene »
Grüne Kakadu« ein
erstes Anzeichen für die neue Entwicklung sei, besprach mit Ihnen die Rückfälligkeit
der »
Gefährtin« und dass nach meinem Gefühl der
»
Paracelsus« mißlungen sei.
Am 16. Dez. 1900
schrieb ich dann in der »
Wr Allg. Ztg« über
die
Beatrice: »
Und demnach kann auch der ›Schl. d. B.‹ nach der eingangs erwähnten Formel declinirt
werden: ›Schnitzler – Vorstadt – süßes Mädel‹. Der ganze Ideenkreis, der Anatol und seine Mädchen, der die Christine der Liebelei, der alle die kleinen und großen
Dialoge, Novellen und Stücke Schnitzlers erfüllt, erfüllt auch dieses . Anatols, der ästhetisirende Liebhaber, bezaubert von der unbewußten Grazie eines
Vorstadtmädels, melancholisch durch Eifersucht auf Vergangenheit und Gegenwart,
nachdenklich über die Rätsel des Liebesverkehrs, und manchmal im chambre Separée summarisch: ›So ist das Leben‹, – Filippo Loschi trägt seine
Züge.« Und weiter: »
, das
Vorstadtmädel, süß natürlich, sehr süß, hinreißend in ihrer inneren Naivetät,
berauschend in ihrer stets bereiten Weiblichkeit, und
sie geht den Weg der Vorstadtmädel«
Dieses
Feuilleton haben Sie
damals in einem sicherlich übertriebenen Lob »ein Meisterwerk« genannt. Immer
g↓h↓in, ich durfte glauben, dass Sie mir Recht geben, durfte es umso mehr, als
ich ja nur geschrieben hatte, was ich so oft mündlich zu Ihnen geäußert habe.
Heute schreiben Sie mir, Sie müßten es »bei mir lesen, dass Ihnen erst mit der
Beatrice eine
einigermaßen neue Verkleidung der alten Figur gelungen ist!«
Sie werden im Ernst nicht behaupten können, das heiß
t↓e↓ auf Deutsch: »Damit ist Ihnen
eine einigermaßen
neue Verkleidung gelungen!« Das heißt, was es sagt
,↓:↓ »
rückte den Typus ins
Erhabene, gab endgiltige Gestalt.« Ich bitte Sie den Unterschied zwischen dem, was Sie mir vorwerfen, was Sie
aus meinen Zeilen herauslesen, und zwischen dem, was ich geschrieben habe, zu
beachten.
Das süße Mädel ist nun einmal ein Typus. Man bedient sich des Wortes in der
Literatur, wie im Leben, zur kurzen Verständigung, um eine besti
mmte Gattung rasch zu bezeichnen. Es gibt garnicht viele
Dichter, die einen Typus geschaffen, die eine neue Gestalt im Leben sichtbar gemacht
und
× die Literatur mit ihr bereichert haben. Muß ich das hier wirklich anführen, um
zu erklären, dass es keinen Vorwurf bedeutet, Ihnen vom süßen Mädel zu sprechen
,↓?↓ Bahr hat
geschrieben:
Schnitzler ist ein Virtuos –
auf
einer Saite. Und
Herzl und
Goldmann schrieben, Schnitzler kann nichts als das süße Mädel.
Nichts davon steht in meinem
Feuilleton, wie nichts davon in meinem
Urtheil über Sie
ste↓zu↓ finden ist, nicht im Geschriebenen und nicht im Mündlichen.
Hätte ich geschrieben: Schnitzler kommt vom süßen Mädel nicht los, dann hätte ich
mich der Einkastelung schuldig gemacht. Aber ich habe
|geschrieben: »
. . . . . gab endgiltige Gestalt, rückte den Typus ins Erhabene
und entledigte sich. . « Erlauben Sie, dass ich auf diesen Unterschied aufmerksam mache. Ich schrieb:
»
In diesem Werke nahm er Abschied von dem Vorstadtmotiv«!!!! Damit glaubte ich, das Kastel, in das andere Sie sperren
möchten, zerschlagen zu haben, und glaube es noch immer.
Es blieben noch die Worte: »
niedliche und langwierige Gefährtin der Dichterjugend.« Nicht im
Entferntesten fiel es mir ein, darin könne etwas Kränkendes für Sie liegen. Es ist
in
meiner Art, mich soweit als möglich in den anderen zu versetzen, wenn ich schreibe,
und da mag ich über das süße Mädel ein ungeduldigeres Wort gesagt haben. Es thut mir
leid. Sachlich war es nicht falsch, der anderen Frauengestalten dabei nicht zu
gedenken. Diese spielen in Ihrem Schaffen bis zum
Reigen und zur
Beatrice keine so
wichtige Rolle, dass man sie
auf↓in↓ einer geradlinigen und knappen Auseinandersetzung Ihres Entwicklungsganges
hätte anbringen müßen.
Es bliebe noch: Goldschmiedearbeit, Kleinkunst. Ich erkläre ausdrücklich, dass ich
es
bedaure, diese Worte angewendet zu haben, bedauere, weil sie eine von mir nicht
geahnte und nicht beabsichtigte Wirkung auf Sie hervorbrachten. Trotzdem, ich kann
sie verantworten. Der Absatz beginnt: »
Schnitzler hatte noch andere
Eigenschaften, ec.« »
hatte«. Darin liegt einfach Alles. Ich nenne Sie keinen Goldschmied, ich
sage nicht, Sie
sind ein Kleinkünstler. Ich beziehe
diese beiden Worte
, wie aus dem
F. hervorgeht
, nur auf Ihre
Anfänge,
nur auf den
Anatol, als auf d
em↓as↓ Werk, auf dem Ihr Ruhm wol auf einer Quader ruht. Diese Basis kann sich in späteren
Zeiten durch Umwertung verschieben. Historisch wird man sie aber doch belaßen müßen.
Und
gleich, nachdem die beiden ominösen Worte gesagt
sind, kommt: »
Dann aber fand er die
Handgriffe zu einem stärkeren Material, zu einer
höheren Plastik!« Heißt das, Sie zu einem
Goldschmied stempeln? Dann kommt: »
Umfassendere Kräfte werden in ihm frei, großzügiger und weniger zierlich.« Heisst das, Sie sind ein
Kleinkünstler?
Es bliebe noch: »
Er darf nicht
wiederkommen. So nicht!« Lieber, das habe ich Ihnen oft gesagt, das ist meine
Überzeugung, und es ist meine Überzeugung, dass Sie »ein neuer Rausch« umfangen wird.
Sie umschreiben das
↓leider↓ mit den bitteren Worten, »
dass ich noch Besseres × von Ihnen zu erwarten scheine«. Besseres wol auch, aber was wichtiger
ist:
Anderes! Zu diesem Anderen rechne ich die »
letzten Masken«. Rechne ich nicht die »
Literatur« und nur halb die
Frau mit dem Dolch, deren geniale Erfindung mich so sehr in
meinem Glauben an Ihre Wandlung bestärkte, dass meine Abneigung gegen
Schwarzkopf akut wurde, als er von einem »Tric«
sprach. Ich zweifle nicht, dass dieser ehrliche
Mann, wenn er die Gelegenheit gehabt hätte, auch geschrieben hätte,
es sei »ein Tric«. Und ich zweifle nicht, dass Sie das geschriebene ebenso ruhig
angenommen hätten
××↓wie↓ Sie das gesprochene Strohwort hingenommen haben. Gegen mich aber regen sich
bei Ihnen so heftige Stimmen des Misstrauens, weil ich auf einem höheren Niveau und
mit größeren Maßstäben
von Ihrem ×××× ×××××, die Linie Ihres
Schaffens ziehe.
Ich sinne vergebens darüber nach, wie es mir passiren konnte, von Ihnen
so arg mißverstanden zu werden. Und da ich mich zu der
Annahme, dass Sie mir irgendwie gereizt und beeinflußt, oder mißtrauisch
gegenüberstehen nicht entschließen kann, komme ich immer wieder zu dem Resultat: es
muß an meinem
Feuilleton
irgendwie und irgendwo
|ein
Fehler stecken.
Nur deshalb möchte ich Ihnen noch zu bedenken geben,
was Sie offenbar ganz übersehen haben. Dieses
Reigen-Feuilleton erschien in der Absicht, Ihnen und Ihrem
Buch zu Hilfe zu kommen. Es
erschien in der Verbotswoche, und unter dem Widerstand
aller Faktoren. Erinnern Sie sich, dass Ihr eigener
Schwager erklärt hat, (was er heute wieder beim
Prof.
Singer that) ȟber so eine
Schweinerei« schreibt man nicht. Diese Worte waren die Parole in allen
Wiener Redactionen
, und Niemand
konnte dagegen an, diese Worte wurden ins breiteste Publicum getragen und es sollte
überall heißen, der
Reigen ist kein Kunstwerk
sondern eine Pornographie. Da ist es mir eine Freude gewesen, dass ich das
Selbstverständliche und ganz Unverdienstliche aussprechen durfte: der
R. ist ein Kunstwerk! Dass ich durch die
Nebeneinanderstellung mit dem
Anatol zeigen
konnte, warum er es ist. Hätte ich, wie ich ohne Mühe und wie ich es lieber gethan
haben würde, meine Pfeifen höher gestimmt, dann würde ich Niemanden überzeugt haben,
und ich hätte dem
Buch nur geschadet, weil alle Leute gesagt hätten:
»Natü-ürlich, der Salten!« So aber habe ich,
das weiß ich
genau, aufklärend und nützlich gewirkt! Woran mir sonst
nie etwas liegt, woran ich sonst
nie
denke, diesmal lag mir daran, die Leute zu überzeugen, au
ch↓f↓ die Fernerstehenden zu wirken, die Gegner so viel als möglich zu entwaffnen.
Das hat meinem
F. vielleicht bei Ihnen geschadet. Aber die
allerbeste Absicht müßten Sie mir doch zubilligen.
Aus
taktischen Gründen stehen die Schlußworte da:
»
wir sind neugierig auf den
neuen Schn.« Ich habe mir damit vorsichtsweise eine Stufe gebaut, auf die ich
steigen und den neuen Schnitzler von da aus demnächst zeigen wollte. Es sind diese
Worte ein Riesenthor, das ich vor Ihnen aufmache; da kann einfach alles kommen, da
erwartet man alles. Die Entwicklungsfähigkeit, die Wandlungsmöglichkeit, die heute
noch nicht zu begrenzende Complexität, (lauter Dinge, die Ihnen oft, und oft von
nahestehenden Freunden geleugnet wurden) werden Ihnen hier als etwas
Selbstverständliches zugesprochen; – und – Sie schreiben
mi
r, ich hätte Sie in ein Kastel
gesperrt!
Ich frage mich, sehr betroffen, wie ich Ihnen gestehen will, ob denn die zwölf Jahre
intimer Gemeinschaft nicht bei Ihnen standen, als Sie diese Zeilen lasen, und ob sie so
schwach waren, Ihnen dass sie Ihnen nicht helfen konnten, dem↓n↓ Sinn dieser Worte zu entziffern, die wahre Meinung, den wahren Sinn, wenn
schon die Worte allein nicht deutlich genug gewesen sind. Ich frage mich weiter, ob
diese zwölf Jahre, in denen ich eine Theilnahme für Ihre Schriften gezeigt habe, die
in ihrer Intensität, in ihrer Aktivität, in ihrer Beständigkeit wie in ihrem
Verständnis gewiss keine alltägliche gewesen ist, ob diese Jahre so kraftlos sind,
dass sie beschämt Ihre Vorwürfe hören mußten, ohne sie aus eigenem Vorrath widerlegen
zu können.
Sie werden auch meine Deprimirtheit darüber begreifen, dass ein
Feuilleton, in welchem mit dem Absatz »
Dass Einer aber lachen kann«, –
bis zu »
der Humor allein ist am
Ziel, er ist die Nähe, ist der Gipfel, er ist das Engi↓dg↓iltige!« so ein Ton absoluter und höchster Anerkennung angeschlagen
wird, so vollständig umgedeutet werden kann.
Neben vielen Anderen Dingen thut es mir am meisten leid, dass Sie, wie es
scheint
, durch mein
F. zu starkem Selbstzweifel veranlaßt wurden. Da muß ich
Ihnen aber doch sagen, dass Sie
dazu nicht den
mindesten Anlaß haben, dass ich nicht blos »Besseres von Ihnen zu erwarten scheine«
sondern daß sich nahezu alle meine Urtheile, die Ihre künstlerische Kraft betreffen,
in den letzten Jahren nur gefestigt haben! Und ich muß
|doch einmal noch Sie darauf
aufmerksam machen, dass in meinem
Feuilleton überall, wo etwa von Ihren Grenzen die Rede
ist
, ein »
hatte«, ein »
war«, kurz ein
Perfectum steht. Und dass überall, wo von der Gegenwart gesprochen wird, das
Wort Vo
rn, Reife, Entwicklung, das Geringste ist, was gesagt wird,
und dass die Thatkraft als eine hoffnungsreiche bezeichnet wird. Das ist die Linie,
die ich einhalten wollte, und die ich, wie es scheint, doch nicht straff genug
gezogen habe.
Noch nie habe ich eine kritische Arbeit so gerne geschrieben, und noch nie ist mir
mein kritisches Amt, das ich ja nicht aus innerster Neigung auf mich genommen habe,
das ich aber doch immer mit Gewissenhaftigkeit und gutem Willen versehe, so verleidet
und zum Überdruß gewesen, wie jetzt, seit ich Ihren Brief empfing.
Ich weiß nach dem Vorgefallenen nicht, ob ich Sie durch diesen langen Brief auch nur
in einem Punct überzeugt habe. Ich weiß ja jetzt auch garnichts mehr, und ich
überlege mir, ob es einen Werth für Sie haben kann, wenn ich jetzt noch Ihrer Vorlesung beiwohne. Nicht als ob mein Urtheil über Sie befangen oder schwankend gemacht
werden könnte, aber wie ich Ihnen nun meine Meinung formuliren soll, und wie Sie sie
aufnehmen, dessen bin ich jetzt nicht mehr sicher, und glaube, wir wollen es diesmal
lieber unterlaßen.
Ihr F S.