Arthur Schnitzler an Felix Salten, 7. 11. 1903

|Semmering 7. 11. 903.
6 Uhr Abd
lieber, wir kommen eben von einem Ausflug zurück und ich finde in der Zeit Ihr Reigenfeuilleton. Über seinen künstlerischen Werth ist weiter nichts zu sagen; es ist vorzüglich. Und wenn es den Titel trüge »Anatol u der Reigen«, so wäre es einfach meisterhaft zu nennen. Da es aber heißt: Arth. Schn. u sein Reigenso habe ich einiges zu bemerken, und da Sie es geschrieben, so müssen Sie |meinen Bemerkungen verzeihen, wenn sie etwa einen Ton des Erstaunens verrathen sollten, auf den Sie wahrscheinlich nicht vorbereitet sind. Aber ich möchte nicht, dass sich durch Unaufrichtigkeit oder Zurückhaltung meinerseits unsre Beziehungen ganz überflüssigerweise verdunkeln   solltensondern ziehe es vor, Ihnen gleich, vielleicht allzusehr in der ersten Erregung, aber völlig ehrlich |zu sagen, was ich gegen Ihr Feuilleton auf dem Herzen habe. Es kam mir vor allem überraschender als ich sagen kann, meine bisherige Production von Ihnen als Goldschmiedearbeit u Kleinkunst abgethan zu lesen. Aus der Art u Weise wie Sie sich bisher im persönlichen Verkehr und in kritisch-öffentlicher Erörterung vernehmen ließen, hab ich nicht vermuthet, dass Sie Liebelei oder Kakadu oder |Lebendige Stunden oder Bertha Garlan zur Kleinkunst rechnen. Vielleicht haben Sie Recht (ich glaube es nicht) – und ich muss mich nur fragen, wie ich Sie bis zum heutigen Tage in allen Ihren Äußerungen über meine Sachen ssehr habe misverstehen können. U. Wie oft haben wir gemeinschaftlich unsern Aerger, unsern Zorn über die Kritiken ausgesprochen, |die, aus den verschiedensten Gründen, in jeder weiblichen Figur, die ohne den Trauring am Finger auftritt, mit satanischem Behagen, das »süße Mädel« wiederzuerkennen vorgaben . . . .  für die Christine und Mizi und Franziska und Toni und Margarethe und Léocadie und womöglich auch die verwittwete Bertha Garlan und die ehebrecherische Pauline nichts waren als die gleiche Gestalt unter verschiedenen Na|men – und nun muss ich es bei Ihnen lesen, dass es immer die gleiche »niedliche«, »langwierige« »Gefährtin« war, die mich begleitet hat und dass mir erst in der Beatrice eine einigermaßen neue Verkleidung der altbekannten Figur gelungen ist. .  Wie oft haben wir darüber geklagt, wie Leichtfertigkeit und unguter Wille jederzeit daran sind, den producirenden |Künstler in ein Kastl zu sperren, wie oft waren wir ergrimmt über die Leute – verzeihen Sie dss ich mich selbst citire – r die der Mann, der ein oder zwei Mal seine grüne Cravate getragen – immer u immer der Herr mit der grüne Cravate bleibt – und möge er sich ein oder zwei Mal mit anderfarbigen Crataven gezeigt haben – und nun sind Sie es, den |ich rufen höre: »Er aber darf nicht weiterkommen . .  So nicht –« »Nun muss ein andrer Rausch den Künstler umfangen –« als hätte mich wirklich mein Lebtag nichts andres interessirt, als – wie Herzl einmal schrieb »ob die Poldi den Franzl kriegt, oder ob der Rudi der Tini untreu wird«. . .  als hätt ich immer nur die gleichen Menschen gestaltet, |ewig die gleichen Situationen dargestellt – ewig u immer nur die grüne Cravate getragen! Und wieder frag ich mich: Ja hat er am Ende Recht? . .  Ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass er Recht hat, gerad er, der dich seit deinen ersten Anfängen kennt und schätzt – und befindest du dich am Ende wirklich in der lächerlichen Selbsttäuschung mancher |Künstler, die ihr kunstgewerbliches Bemühn für echtes Kunstbestreben, und ihren Winkel für eine Welt halten? Und mußt Du wirklich jedesmal wenn du ein weibliches Wesen neu zu gestalten glaubtest auf den Hohnruf gefasssein . . .  das süße Mädel . .  Und jedesmal wenn du eine neue Beziehung zwischen zwei Menschen verschiedenen Geschlechtes darzustellen |denkst – vor dem Echo »Liebelei« zittern – und immer immer wieder, wenn du in eingebildeter Freiheit mit den Gebilden deiner Phantasie zu schalten meinst – immer wieder erfahren, dass du in dem alten Kastl steckst, dass du nie verlassen hast? – Ich will es Ihnen nicht verhehlen . . .  niemals noch hatt ich sosehr das Gefühl:|Es ist alles vergeblich – du bist etikettirt auf Lebenszeit, als während der Lecture Ihres Feuilletons – so viel Lob und Anerkennung Sie im übrigen über meine Kleinkunst ausgießen – und sosehr ich überzeugt bin, dass Sie von allen Seiten den Vorwurf hören werden, mich in einen unverdienten Himmel gehoben zu haben. Der Reigen ist 1896/97 geschrieben. Es ist |Ihnen bekannt, dass ich seither einiges andres gedichtet habe, gelungnes u minder gelungens. Die Beatrice ziehen Sie allerdings noch in den Kreis Ihrer Betrachtungen – als höchste Etappe auf meinem Süßen Mädl Weg. Auch der Lieutenant Gustl wird flüchtig erwähnt. Meiner Ansicht nach wäre beides überflüssig gewesen, wenn |Ihr Feuilleton den Titel trüge: Anatol und der Reigen. Aber es heißt Arthur Schnitzler u sein Reigen. Und Sie haben es geschrieben. Nicht einmal; hundertmal haben wir über meine Production, einhundert Mal über meine Intention gesprochen. .  Nicht einmal unter diesen hundert ist mir eine Ahnung aufgedämmert, dass Sie auch heute noch den Reigen |als das Endglied meines bisherigen Wirkens auffassen konnten, dass Sie glaubten ich stünde heute noch dort, wo ich bei Abschluss des Reigens stand – aber dass ich selbst innerhalb der Epoche, die vom Anatol bis zum Reigen geht, von Ihnen als Goldschmiedarbeiter u Kleinkünstler angesehen würde – hab ich bis |zum heutigen Tag nicht geahnt, und, darauf kommt es an, keines Ihrer Worte konnte mich bis heute vermuthen lassen, dass Sie mich so und nicht anders werthen. Gegenüber dem Befremden, dass ich in dieser Hinsicht empfinde, kommt heute, seien Sie mir nicht böse, die Freude noch nicht |auf, dass Sie vieles von mir mit so hohen Worten preisen und dass Sie noch bessers von mir zu erwarten scheinen. Aber gerade unser Verhältnis über das so oft Wolken von Misverständnissen und Verstimmungen hinziehen, verlangt nach Gewittern und reinem Himmel. Es ist möglich, dass Sie mich in diesem Augenblick für |anmaßend halten und mich zu der traurigen Sorte rechnen, »die aber wirklich auch den leisesten Tadel nicht vertragen«. So ist es nicht lieber Freund. Ich weiss, besser als irgend ein andrer, was mir und meinen Arbeiten vorzuwerfen ist. Auch meine Grenzen kenn ich. Weiss auch, dass mein Bestreben, sie aus|zudehnen, nicht immer von Erfolg begleitet war. Aber darüber glaubt ich bis heute mit Ihnen einig zu sein – dass die mir Unrecht thaten, die auch in dem Dichter der Liebelei und des Kakadu nur den »Kleinkünstler« erkennen wollten – und die – für die ich im Kakadu . .  in der Beatrice . .  in der Ber|tha Garlan – von dem gleichen Rausch umfangen war . .  als im Anatol . . .  – Und dass gerade diese Töne, die mich an anderm Ort und von andern Musikern so oft verletzt haben – so deutlich unter der sonssschönen Melodie Ihres Feuilletons von heute mitklingen, diesem Feuilleton, mit dem Sie mich gewiss durchaus |zu erfreuen glaubten – das hat mir, – Sie werden es vielleicht verstehen, eine bittre Stund verursacht, und ich hielt es für angemessen, Ihnen das nicht zu verschweigen.
Ihr
 A. S.
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