Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 23. 1. [1896]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureau à Paris:
24. Rue Feydeau. Paris, 23. Januar.

Mein lieber Freund,

Wann ist also die Berliner Aufführung? Ich sehe mit Vergnügen, wie ein Stück nach dem andern dort durchfällt: Hauptmann, Halbe etc. Das ist vom Schicksal glänzend arrangirt, um Deinen Erfolg das nöthige Relief zu geben. Mein College Wolff vom »Berl. Tageblatt«, der Dir zu Deinem Frankfurter Erfolge gratuliren läßt, läßt Dich auch fragen, ob er Dir in Berlin irgendwie mit Einführungen dienen kann? Er kennt dort natürlich |die ganze Welt. Ich glaube, die beste Einführung ist Dein Stück und Deine Person. Immerhin wollte ich Dir doch das Anerbieten übermitteln.
Thorel habe ich lange nicht gesehen; aber sobald ich Zeit habe, suche ich ihn auf.
Daß Dir das Opernglas gefällt, erstaunt mich. Mir gefällt es nicht. Aber im Theater hat es sich wohl bewährt? Ja? Was soll ich mit den 5 Frcs 40 machen, die mir von der Kaufsumme übrig bleiben?
Bahrs kleine Erbärmlichkeiten sind recht heiter; |es werden schon größere nachfolgen, sei beruhigt! Die »Zeit« lese ich kaum mehr; sie ist gar zu schlecht geworden. Höchstens hier und da ein Artikel von Loris, und auch an dem habe ich wenig Freude. Ich wende mich immer mehr von ihm ab, und vor Allem werde ich ihm nie verzeihen, daß er nicht in entschiedener Weise zwischen Dir und Bahr gewählt hat. Liest Du Kanners Feuilletons aus China? Sie sind erbärmlich. Der Mann hat keine Augen und sieht nichts.
|Natürlich waren meine Leute in Frankfurt von Dir entzückt, besonders meine Mutter. Mein Schwager findet, Du hättest Ähnlichkeit mit mir. Bedank’ Dich bei ihm für das Compliment.
Deine Zweifel, Melancholien und Hypochondrien nehme ich recht gleichmüthig auf. Das heißt, es thut mir innig leid, daß Du von alledem gequält wirst. Aber da man auf Erden schon einmal gequält werden muß, so ist es besser, daß das Leid in dieser Form an Dich |herantritt, als in einer andern. In dem, was Du schreibst, ist nichts, was nicht normal wäre. Du bist ein großes Talent, und Du mußt infolgedessen naturnothwendig zu Zeiten glauben, daß Du es nicht bist. All’ das, was Du von Deinen Verstimmungen schilderst, – das ist der Nebel, der im Grunde jeder Künstlerseele braut, – der Schöpfungsnebel, aus dem die Kunstwerke erstehen. Und so ist des Künstlers Erdenwallen: durch Verstimmungen zur Stimmung! . . . Daß Dir |die Vergänglichkeit des Lebens wehthut, ist traurig. Aber ich kann Dir darauf nur immer antworten: Wenn Du, wie jemand Anderer, den ich kenne, bereits immer am 15. jedes Monats mit Deinem Gehalt fertig wärest und nicht wüßtest, woher Du Geld nehmen sollst, um weiter zu leben und Schulden zu zahlen – so hättest Du keine Zeit, Dich um die Vergänglichkeit des Lebens zu sorgen. Und – ganz im Ernst gesprochen – es ist besser, vor dem Tode zu zittern, als vor |dem Schneider, der die unbezahlte Rechnung präsentiren kommt. Du hast die edleren Schmerzen, mein lieber Freund – und selbst hier bist Du ein »Sonntagskind«. Und wenn ich Deinen Kummer lese, so ruft das in mir nur ein Gefühl des – Neides wach. Oh wenn ich auch so leiden könnte, wie dieser glückliche junge Mann! Und dann: Du erlebst nichts zu Ende. Aber wenigstens erlebst Du etwas. Aber ich kenne |Leute, bei denen es im ganzen Leben nie auch nur zum Anfang kommt. Das ist das Entsetzliche, wenn man sieht, wie das Leben vorüberrast – wenn man mitleben möchte und nicht die Kraft dazu hat – wenn man eines schönen Tages entdeckt, daß die Jugend vorbei ist, ohne daß man jemals jung war – und wenn man genau weiß, daß das immer ssein wird und daß man eines anderen schönen Tages auf das |ganze Leben zurückblicken wird mit dem Bewußtsein, mit der zehrenden Reue, daß man nie gelebt hat! Du hingegen – Du lebst! Kein glühendes Gefühl des Daseins – meinetwegen! Aber wo ist es, dieses glühende Gefühl, als bei den ganz Animalischen? Und auch bei denen, glaube ich, ist es nicht so glühend. Ich meine, auch das ist ein Ideal, das nicht existirt. Alles Menschliche ist unvollkommen, und ich glaube, nicht einmal |leben können wir ordentlich. Nicht Du allein – Keiner! Es gibt keine ganzen, keine glühenden Gefühle. Oder doch ein einziges: die Sehnsucht. Was wir nicht haben – oh ja, in dem ist Gluth, Schönheit und Vollendung. Aber in dem, was wir haben, – in dem, was wir leben, – da ist Alles halb, jämmerlich und ungefähr.
|Schreib’ weiter an Deinem Stücke, mein theurer Freund, und sei guter Dinge!
In Treue
Dein
Paul Goldmann
Und grüß’ mir meinen lieben Richard!
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