Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique,
financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Mein lieber Freund,
Wann i
st al
so die
Berliner
Aufführung? Ich
sehe mit Vergnügen, wie ein Stück nach dem
andern dort durchfällt:
Hauptmann,
Halbe etc. Das i
st vom Schick
sal glänzend arrangirt, um Deinen
Erfolg
ins rech das nöthige Relief zu geben. Mein
College
Wolff vom »
Berl. Tageblatt«, der Dir zu Deinem
Frankfurter
Erfolge gratuliren läßt, läßt Dich auch fragen, ob er Dir in
Berlin irgendwie mit Einführungen dienen kann?
Er kennt dort natürlich
|die ganze Welt. Ich glaube,
die be
ste Einführung i
st Dein
Stück und Deine Per
son. Immerhin wollte ich Dir doch das Anerbieten
übermitteln.
Thorel habe ich lange nicht ge
sehen; aber
sobald ich Zeit habe,
suche ich ihn auf.
Daß Dir das Opernglas gefällt, erstaunt mich. Mir gefällt es nicht. Aber im Theater hat es sich
wohl bewährt? Ja? Was soll ich mit den 5 Frcs 40 machen,
die mir von der Kaufsumme übrig bleiben?
Bahrs kleine Erbärmlichkeiten
sind recht
heiter;
|es werden
schon größere nachfolgen,
sei
beruhigt! Die »
Zeit« le
se ich kaum mehr;
sie i
st
gar zu
schlecht geworden. Höch
stens hier und da ein Artikel von
Loris, und auch an dem habe ich wenig Freude. Ich wende mich immer mehr von ihm ab,
und vor Allem werde ich ihm nie verzeihen, daß er nicht in ent
schiedener Wei
se
zwi
schen Dir und
Bahr gewählt hat. Lie
st Du
Kanners Feuilletons aus
China?
Sie
sind erbärmlich. Der
Mann hat keine Augen und
sieht nichts.
|Natürlich waren meine Leute in
Frankfurt von Dir entzückt, be
sonders meine
Mutter. Mein
Schwager findet, Du hätte
st Ähnlichkeit mit
mir. Bedank’ Dich bei ihm für das Compliment.
Deine Zweifel, Melancholien und
Hypochondrien nehme ich recht gleichmüthig auf. Das heißt, es thut mir innig leid, daß Du
von alledem gequält wirst. Aber da man auf Erden schon Erden schon einmal gequält werden muß, so ist es besser, daß das Leid
in dieser Form an Dich heran |herantritt, als in einer andern. In dem, was Du schreibst, ist nichts, was nicht normal wäre. Du bist ein großes Talent, und Du mußt
infolgedessen naturnothwendig zu Zeiten glauben, daß Du es nicht bist. All’ das, was Du von Deinen Verstimmungen schilderst, – das ist
der Ne Nebel, der im Grunde jeder Künstlerseele
braut, und – der Schöpfungsnebel, aus dem die
Kunstwerke erstehen. Und so ist des Künstlers Erdenwallen: durch Verstimmungen zur
Stimmung! . . . Daß Dir |die
Vergänglichkeit des Lebens wehthut, ist traurig. Aber ich kann Dir darauf nur immer
antworten: Wenn Du, wie jemand Anderer, den ich kenne, bereits immer am 15. jedes
Monats mit Deinem Gehalt fertig wärest und nicht wüßtest, woher Du Geld nehmen sollst, um weiter zu leben und Schulden zu zahlen – so hättest Du keine Zeit, Dich um
die Vergänglichkeit des Lebens zu sorgen. Und – ganz im Ernst gesprochen – es ist
besser, vor dem Tode zu zittern, als vor |dem
Schneider, der die unbezahlte Rechnung präsentiren kommt. Du hast die edleren
Schmerzen, mein lieber Freund – und selbst hier bist Du ein »Sonntg↓a↓gskind«. Und wenn ich Deinen Kummer lese, so ruft das in mir nur ein Gefühl
des – Neides wach. Oh wenn ich auch so leid leiden
könnte, wie dieser glückliche junge Mann! Und dann: Du erlebst nichts zu Ende. Aber
wenigstens erlebst Du etwas. Aber ich kenne |Leute,
bei dene denen es im ganzen Leben nie auch nur zum
Anfang kommt. Das ist das Entsetzliche, wenn man sieht, wie das Leben vorüberrast –
wenn man mitleben möchte und nicht die Kraft dazu hat – wenn man eines schönen Tages en entdeckt, daß die Jugend vorbei ist, ohne daß
man jemals jung war – und wenn man genau weiß, daß das immer so sein wird und daß man
eines Ta anderen schönen Tages auf das |ganze Leben zurückblicken wird mit dem Bewußtsein,
mit der zehrenden Reue, daß man nie gelebt hat! Du hingegen – Du lebst! Kein
glühendes Gefühl des Daseins – meinetwegen! Aber wo ist es, dieses glühende Gefühl,
als bei den ganz Animalischen? Und auch bei denen, glaube ich, ist es nicht so
glühend. Ich meine, auch das ist ein Ideal, das nicht existirt. Alles Menschliche ist unv unvollkommen, und ich glaube, nicht einmal |leben können wir ordentlich. Nicht Du allein –
Keiner! Es gibt keine ganzen, keine glühenden Gefühle. Oder doch, ein einziges: die Sehnsucht. Was wir nicht haben – oh ja, in dem ist Gluth, Schönheit und
Vollendung. Aber in dem, was wir haben, – in dem, was wir leben, – da ist Alles halb,
jämmerlich und ungefähr.
|Schreib’ weiter an Deinem
Stücke, mein theurer Freund,
und
sei guter Dinge!
In Treue
Dein
Paul Goldmann
Und grüß’ mir meinen lieben
Richard!