Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 2. 3. [1895]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier, Paris, 2. März.
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureaux à Paris:

Mein lieber Freund,

Nun geht es mir langsam wieder besser, und ich kann Dir schreiben. Als Folge der allgemeinen Krankheit hat sich ein hartnäckiges Augenübel ergeben. Es kam zum zweiten Male bereits und hält diesmal lange Wochen vor. Da ich meinen Beruf nicht aussetzen kann, sollte ich alles Schreiben und Lesen auf das unerläßlich Berufliche beschränken. Da blieb also für Briefe nichts übrig. Auch war es nicht gut möglich, meinen armen dummen Kopf zu einem andern Gedanken zu bringen als zu dem an die Krankheit. Was der Beruf eisern |erzwang, ging noch. Sonst aber saß ich da, Tage und Nächte, und hörte alle Gespenster meines unglückseeligen Lebens um mich streichen. Das wird schlimm enden, liebster Freund.
Nun laß’ Dich von Herzen beglückwünschen zur Annahme im »Deutschen Theater«. Das ist, in Bezug auf den Vertrieb am deutschen Markt, womöglich noch besser, als das Burgtheater. Von Berlin aus kommt man direkt in die deutsche Literatur. Das Alles sind sschöne Erfolge; und wenn ich sehe, wie man sonst Erfolge davonträgt, und wie Du dazu kommst: ohne Concession, ohne die leiseste Nacken-Beugung, |ruhig und ehrlich und Dir selbst getreu – so gibt mir das ein recht stolzes Bild, und es ist beinahe noch schöner als Dein Stück. Daß die geniale Dame keine Schwierigkeiten mehr macht, ist gut. Sie wird wohl wieder anfangen; aber sie kann nichts mehr verderben, und wenn ihr auch alle Teufel der Hölle im Leibe säßen. Ob das Burgtheater das Stück jetzt oder in der nächsten Saison spielt, ist völlig gleichgiltig. Dir zuliebe möchte ich wünschen, daß es bald wäre. Mir wäre es lieber, ich hätte Dich noch ein halbes Jahr unaufgeführt. Der Schnitzler, der »zum klangvollsten Namenkreis moderner |Schriftsteller gehört«, kommt mir recht kalt und fremd vor. Aber welch’ eine schöne Kritik, dieser Bruno Walden. Da ist einmal Einer, der Dich nach Verdienst würdigt. Der Erfolg ist umso größer, als der Ochs – oder die Gans – sich so im Urtheil über Anatol vergriffen hat. Auch dazu laß’ Dich von Herzen beglückwünschen! Und Dank für die Übersendung. Es hat mir große Freude gemacht, den Artikel – er ist überdies schön geschrieben – zu lesen.
Jedesmal noch ärgere ich mich über den Titel »Liebelei«. Wenn Du wüßtest, wie garstig er klingt und wie er das Werk verkleinert! |Daß Du Dir so gar nichts sagen lassen willst! Warum nicht »Eine Liebschaft«?
Möchte wissen, was Du schreibst und liest. Ich lese gar nicht mehr. Ich habe es aufgegeben, – strebe nicht mehr mit – lasse mich sinken.
Und wie lebst Du? Still oder innerlich bewegt? Gehen neue Dinge vor? Bitte, schreib’ mir ein wenig, wie Du lebst.
Und was macht Richard? Schreibt natürlich keine Zeile? Aber gedenkt |er wenigstens seines Versprechens nach Paris zu kommen?
Bahr hasse ich mehr und mehr. Welch’ ein Schwindler! Welch’ ein Charlatan! Ein Mann, der nach Gesetzen und Strömungen geht in der Literatur, – der dem Publikum einreden will, man könne so eine Art exakte Literatur-Forschung treiben, während es doch da nur Individualitäten gibt, also Zufälliges, Unberechenbares, Geheimnißvolles. Und gerade die sieht er und versteht er nicht, der Urtheilslose. Nicht einen Neuen hat er in der »Zeit« heraufgebracht, |und ich bin überzeugt, es gäbe Manchen in Wien zu finden. Aber immer nur BahrBahr über Theater und Bahr über Kunst – Bahr über Emerson und Bahr über Goethe. Und immer »modern«! Jetzt hat er heraus, daß das Alte modern ist. Darum muß man also jetzt sich mit dem Alten beschäftigen. Alles nach Außen und nichts von Innen. Der Pinsel!
Kanner aber ist herrlich in der »Zeit«. Fest, klar und scharf. Ein männlicher Geist! Siehst Du ihn manchmal? Wie stehst Du mit ihm?
|Daß Du mich im Sommer doch treffen willst, ist lieb von Dir. Vielleicht daß ich also doch nach der Kur auf ein paar Tage nach Muenchen kann. Ich möchte Dich ja so gern sehen und sprechen. Nach Paris könntest Du nicht auf 14 Tage kommen?
Zeitungsartikel sende ich Dir heut nicht. Es hat keine interessanten gegeben; habe auch wenig lesen dürfen. Interessiren sie Dich überhaupt? Dann macht es mir eine Freude, weiterzusammeln.
|Was Du über Drumont schreibst, ist im Wesentlichen richtig. Aber so ganz blos literarisch issein dämonischer Juden-Typus doch nicht. In Cornelius Herz ist er zum Theil wahr geworden. Gewiß Drumont isstark monoman. Aber er ist der beste Kenner der heutigen Pariser Corruption. Was dem Draußenstehenden darin wahnsinnig scheint, ist oft blos wahr. Und in allen Pariser Corruptionen steckt der Jude. Es ist ein infames Gesindel. In diesem Babylon |ist Drumont der Mann, der das flammende Mene Tekel schreibt. Als Corruptions-Epiker muß man ihn ernst nehmen; sonst ist er eitel und verrückt.
Ich sende Dir »Les Phonographies de l’Amour«. Eine amüsante kleine Unanständigkeit.
Bekommst Du noch das »Journal«? Möchtest Du ein anderes Blatt? Bekommt Ihr den »Courrier Français«? Kann ich Dir sonst etwas in Paris besorgen?
|Denk’ Dir: Deinem Bruder und Schwägerin habe ich noch nicht für das entzückende Bild gedankt, an dem ich täglich meine Freude habe. Sag’ ihnen, daß ich augenkrank war, – bitte – und daß ich ihnen nächstens schreibe. Grüße sie Beide recht herzlich.
Bitte, empfiehl’ mich Deiner Frau Mama.
Sei herzlichst und in Treue begrüßt! Nun höre ich hoffentlich bald von Dir. Aber antworte einmal auf alle Fragen (ausnahmsweise!) Dein
Paul Goldmann
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