Fondateur M. L.
Sonnemann.
Journal politique, financier, Paris, 2. März.
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Mein lieber Freund,
Nun geht es mir langsam wieder besser, und ich kann Dir schreiben. Als Folge der
allgemeinen Krankheit hat sich ein hartnäckiges Augenübel
ergeben. Es kam zum zweiten Male bereits und hält diesmal lange Wochen vor. Da ich
meinen Beruf nicht aussetzen kann, sollte ich alles Schreiben und Lesen auf das
unerläßlich Berufliche beschränken. Da blieb also für Briefe nichts übrig. Auch war
es nicht gut möglich, meinen armen dummen Kopf zu einem andern Gedanken zu bringen
als zu dem an die Krankheit. Was der Beruf eisern |erzwang, ging ging noch. Sonst aber saß ich da,
Tage und Nächte, und hörte alle Gespenster meines unglückseeligen Lebens um mich streichen. Das wird schlimm enden, liebster Freund.
Nun laß’ Dich von Herzen beglückwün
schen zur Annahme im »
Deutschen Theater«.
Ve Das i
st, in Bezug auf den Vertrieb am
deutschen Markt, womöglich noch be
sser, als das
Burgtheater. Von
Berlin
aus kommt man direkt in die
deutsche Literatur. Das Alles
sind
so
schöne Erfolge; und wenn ich
sehe, wie
man
son
st Erfolge davonträgt, und wie Du dazu komm
st: ohne Conce
ssion, ohne die
leis lei
se
ste Nacken-Beugung,
|ruhig und ehrlich und Dir
selb
st getreu –
so gibt
mir das ein recht
stolzes Bild, und es i
st beinahe noch
schöner als Dein
Stück.
Ob Daß die geniale
Dame keine Schwierigkeiten mehr macht, i
st gut. Sie wird wohl wieder anfangen;
aber
sie kann nichts mehr verderben, und wenn
ich ihr auch alle Teufel der Hölle im Leibe
säßen. Ob das
Burgtheater das
Stück jetzt oder in der näch
sten Sai
son
spielt, i
st völlig gleichgiltig. Dir zuliebe möchte ich wün
schen, daß es bald wäre.
Mir wäre es lieber, ich hätte Dich noch ein halbes Jahr unaufgeführt. Der
Schnitzler, der »
zum
klangvollsten Namenkreis moderner |Schriftsteller
gehört«,
kommt mir recht kalt und fremd vor. Aber welch’ eine
schöne
Kritik, die
ser
Bruno Walden. Da i
st einmal
Einer,
der Dich nach Verdien
st würdigt. Der Erfolg i
st um
so größer, als der
Ochs – oder
die Gans – die
Gans –
sich
so im
Urtheil über
Anatol vergriffen hat. Auch dazu laß’ Dich von Herzen beglückwün
schen! Und Dank für die
Über
sendung. Es hat mir große Freude gemacht, den
Artikel – er i
st überdies
schön ge
schrieben – zu le
sen.
Jedesmal noch ärgere ich mich über den Titel »
Liebelei«. Wenn Du wüßte
st, wie gar
stig
er
kli klingt und wie er das
Werk verkleinert!
|Daß Du Dir
so gar nichts
sagen la
ssen will
st! Warum
nicht »
Eine Liebschaft«?
Möchte wissen, was Du schreibst und liest. Ich lese gar nicht mehr. Ich habe es
aufgegeben, – strebe nicht mehr mit – lasse mich sinken.
Und wie lebst Du? Still oder innerlich bewegt? Gehen neue Dinge vor? Bitte, schreib’
mir ein wenig, wie Du lebst.
Und was macht
Richard? Schreibt natürlich keine Zeile? Aber gedenkt
|er wenig
stens
seines Ver
sprechens nach
Paris zu kommen?
Bahr ha
sse ich mehr und mehr. Welch’ ein
Schwindler! Welch’ ein
Charlatan! Ein
Mann, der nach
Ge
setzen und Strömungen geht in der Literatur, – der dem Publikum einreden will, man
könne
so eine Art exakte Literatur-For
schung treiben, während es doch da nur
Individualitäten gibt, al
so Zufälliges, Unberechenbares, Geheimnißvolles. Und gerade
die
sieht er und ver
steht er nicht, der
Urtheilslose. Nicht einen Neuen hat er in der »
Zeit« heraufgebracht,
|und ich bin überzeugt, es gäbe Manchen in
Wien zu finden. Aber immer nur
Bahr –
Bahr über Theater und
Bahr über Kun
st –
Bahr über
Emerson
und
Bahr über
Goethe. Und immer »modern«! Jetzt hat er heraus, daß das Alte modern i
st.
Darum muß man al
so jetzt
sich mit dem Alten be
schäftigen. Alles nach Außen und nichts
von Innen. Der
Pinsel!
Kanner aber i
st herrlich in der »
Zeit«. Fe
st,
klar und
scharf. Ein männlicher
Geist! Sieh
st Du ihn manchmal? Wie
steh
st Du mit ihm?
|Daß Du mich im Sommer doch treffen will
st, i
st lieb
von Dir. Vielleicht daß ich al
so doch nach der Kur auf ein paar Tage nach
Muenchen kann. Ich möchte Dich ja
so gern
sehen und
sprechen. Nach
Paris könnte
st Du nicht auf 14 Tage kommen?
Zeitungsartikel sende ich Dir heut nicht. Ich habe Es hat keine interessanten gegeben; habe auch
wenig lesen dürfen. Interessiren sie Dich überhaupt? Dann macht es mir eine Freude,
weiterzusammeln.
|Was Du über
Drumont schreib
st, i
st im We
sentlichen richtig. Aber
so ganz blos literari
sch i
st
sein
dämoni
scher Juden-Typus doch nicht. In
Cornelius Herz i
st er zum Theil wahr geworden. Gewiß
Drumont i
st
stark
monoman. Aber er i
st der be
ste
Kenner der heutigen
Pariser Corruption. Was dem Draußen
stehenden darin
d wahn
sinnig
scheint, i
st oft blos wahr. Und in allen
Pariser Corruptionen
steckt der Jude. Es i
st ein infames
Ge
sindel. In die
sem
Babylon |i
st
Drumont der
Mann, der das
flammende
Mene Tekel schreibt. Als
Cor Corruptions-Epiker muß man
ihn ern
st nehmen;
son
st i
st er eitel und verrückt.
Ich
sende Dir »
Les Phonographies de’ l’Amour«. Eine amü
sante kleine Unan
ständigkeit.
Bekomm
st Du noch das »
Journal«? Möchte
st Du ein anderes Blatt? Bekommt Ihr den »
Courrier de
Français«? Kann ich Dir
son
st etwas in
Paris be
sorgen?
|Denk’ Dir: Deinem
Bruder und
Schwägerin habe ich noch nicht für das
entzückende Bild gedankt, an dem ich täglich meine Freude habe. Sag’ ihnen, daß ich augenkrank
war, – bitte – und daß ich ihnen näch
stens
schreibe. Grüße
sie
Beide recht herzlich.
Bitte, empfiehl’ mich Deiner Frau
Mama.
Sei herzlichst und in Treue begrüßt! Nun höre ich hoffentlich bald von Dir. Aber
antworte einmal auf alle Fragen (ausnahmsweise!) Dein
Paul Goldmann