Directeur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et litteraire.
Paraissant trois fois par jour
Mein lieber Arthur!
Nicht ohne Bangen habe ich diesmal Deinen lieben Brief eröffnet. Ich war mir einer
großen Schuld bewußt, und fürchtete Vorwürfe. Die bekam ich nun nicht direct – ich
kenne Deine Güte und Nachsicht – wohl gibt es aber da ein Wort, das ich nicht
verstehe. »Mißtrauen«. Wirklich, ich habe keine Ahnung, worauf
Du damit anspielst, und befürchte irgend eine verleumderische Klatscherei. Mißtrauen?
Aber wenn es irgend einen Menschen gibt, den ich mit ruhigem Herzen bis in den
letzten Winkel meines Wesens hineinsehen la↓ie↓ße, so |bist Du es, und das weißt Du sehr
wohl. Ich traue Dir ebenso wie mir selbst – nicht ideal, schwärmerisch,
pensionsmädchenhaft, sondern auf Grund kühler Manneserfahrung, mit der ich Dich als
den Besten und Treuesten erprobt habe. Was willst Du also mit dem kuriosen Wort? Es
klingt wie eine falsche Note und zeigt mir, daß Zeit und Entfernung auch zwischen uns
die übliche Arbeit gethan.
Ich habe mich mit Deinem letzten Briefe unendlich gefreut, wochenlang! Und doch habe
ich Dir nicht geantwortet. Warum? Weil ich gelähmt bin – moralisch und geistig, weil
dieses grauenhafte Krankheit mein ganzes Sein in einen Nebel hüllt, weil ich am Leben und an der Zukunft
verzweifle, weil mein Leben |in zwei Abschnitte
zerfällt, die gesunde und die kranke Zeit, weil ich an die gesunde Zeit kein Anrecht
mehr habe und weil Alles, was mir daher kommt, Alles Liebe und Hoffnungsreiche, mir
als verloren erscheint. Mir kommt es vor, als hätte ich kein Recht mehr, mitzuleben.
Darum konnt’ ich den alten Ton nicht finden, nicht einmal die Energie, eine Feder
in
die Hand zu nehmen, und darum habe ich Dir nicht geantwortet. Mir
geht es gottsschlecht trotz aller Kuren. Das Übel greift um sich, und ich weiß
nicht, was aus mir wird. Da klammere ich mich denn an die
Arbeit und pflüge jeden Tag mein abgestecktes Stück Feld ab. Bin ich aber fertig, so
kommen alle Gespenster |wieder. Sehr stark bin ich
nie gewesen, nun bin ich weinerlich wie eine alte Frau, und kaum ein Abend vergeht
ohne Thränen. Dabei glaubt man nun doch nicht und hat nicht einmal den Trost, daß
Einem Gott das zur Prüfung geschickt hat. Man weiß nur, daß man ein schädliches
Exemplar der Race geworden, dessen Mitthunwollen ein Verstoß gegen alle Gesetze der
Hygiene ist. Dann kommt natürlich der gute Selbstmord. Aber es ist unmöglich, das
Leben zu verlassen, das man jetzt erst zu verstehen beginnt, das so mannigfaltig und so farbig ist. So bleibt Einem nichts als Händeringen und Haarausraufen.
Ich habe bisher nicht einmal d
ie↓en↓ Entschluß fa
ssen können, auf Urlaub zu gehen.
|Ich fürchte mich vor der arbeitslo
sen Zeit. Von
Hau
se drängen
sie mich aber. Mein
Onkel i
st im September in
Salzburg, und ich
soll durchaus hinkommen. Er malt mir all’ die Herrlichkeiten von
Salzburg aus, wie man einem
störri
schen Kinde zuredet. Da i
st be
sonders eine Verheißung:
Arthur Schnitzler. Ach, ich habe ein
solches Heimweh
nach Dir, mein theurer Freund
. V↓, v↓ielleicht reiße ich mich doch heraus und komme. Thu’ mir jedenfalls die Liebe
und halte Dir im September ein paar Tage für mich frei.
Wenn ich rei
sen
sollte, ver
ständige ich Dich
|in den
letzten Tagen des Augu
st. Schreib’ mir, ob Dich um die
se
Zeit eine Nachricht in
Wien trifft. Aber bereite
Dich vor, mich
sehr zum Nachtheil verändert zu finden, und geh’ nicht zu
streng mit
mir in’s Gericht.
Dann
sprechen wir auch über alles Übrige. Ich halte zum Bei
spiel eine Rei
se nach
Berlin, zur Betreibung Deiner dramati
schen Angelegenheiten für unerläßlich.
Eben
so ließe
sich vielleicht hier etwas mit
Antoine machen, wenn Du eines der
Anatol-Stücke ins Franzö
si
sche über
setzen könnte
st und
selb
st hierherkäme
st, um die
Sache zu betreiben. Seit dem Erfolge
Gerhart Hauptmanns sind
sie dort wie ich höre nicht unzugänglich
|für
Deutsches
und
Österreichi
sches
. Mit
dem, was
Trottel in
Saublättern über Dich
schreiben,
soll
st Du Dir Dein
cabinet tapezieren und ruhig weiter
schaffen, auch von
vorübergehenden Muthlo
sigkeiten unbeirrt, wie
sie die alltäglichen Er
scheinungsformen
aller
prh producirenden Thätigkeit
sind, wenn etwas zuviel Gehirn
schmalz verbraucht i
st.
Das dumme Geth
ier, das Dir heute in die Beine kläfft, wird Dir
morgen die Hand
schlecken, wenn er
st der
Erfolg da
sein wird, das einzige Beweis
stück in den Augen des Ge
sindels. Den aber wir
st Du
haben, aus dem einfachen Grunde, weil Du von de
m↓r↓ jungen
schreibenden
|Generation eines der
größten und glänzend
sten Talente bi
st. Du bi
st viel mehr als
Herzl, denn die
ser i
st –
so er
staunlich Dir das klingen mag – ein enger Gei
st, kein
Dichter, und nur eine Formbegabung. Ich kenne nur Einen, mit dem ich Dich ern
stlich
vergleiche, das i
st
Gerhart Hauptmann. Du bi
st im Weichen das, was er im Starken i
st – ich urtheile nach den »
Webern« – und die
se Überzeugung werden mir alle
kriti
sirenden Pin
sel nicht er
schüttern. Deine letzten Werke kenne ich nicht. Mein
Onkel nennt Deinen
Roman »bedeutend«. Das i
st ein
Epitheton, das ich von ihm nur auf die bewunderten Mei
ster bisher anwenden
gehört und ich nehme es als erfreuliches Zeugniß.
Sei von Herzen gegrüßt, mein lieber Arthur!
Dein Paul Goldmnn