Arthur Schnitzler an Paul Goldmann, nicht abgesandt, 28. 1. 1907

|28. I. 907.
Auch Schweigen wäre Unaufrichtigkeit. Ich muss es Dir wieder einmal sagen. Seit Jahren, Du weisst es, verfolge ich Deine Feuilletons mit wachsendem Widerstand. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, dass auch meinem Geschmack Einzelheiten zusagen. Dass Du in einzelnem Recht hast. Aber als ganzes verwerf ich sie durchaus. Gesinnung und Ton. Ich wünsche nicht mit Dir zu polemisieren, vielmehr, ich betone ausdrücklich, dass ich Unrecht haben kannkann, dass Du sachlich Recht haben, dass Du sogar gut schreiben magst. Alles das ist möglich. Aber erst in einer fernen Zukunft wird das zu entscheiden sein. Und wir haben keine Zeit das abzuwarten. Das Wesentliche ist nur, dass Du und ich wie zwei fremde Welten einander gegenüber stehen. Dass unser Verhältnis zu dem, was heute gesagt, gedacht, geschrieben wird, in den wesentlichsten Punkten völlig von einander verschieden ist. Wir sind vor fünf |Jahren anlässlich Deiner Stellungnahme Hauptmann gegenüber zum erstenmal brieflich an einander geraten. Ich habe es vorgezogen, eine Disskussion abzubrechen, deren Hoffnungslosigkeit vom ersten Augenblick an klar zu Tage lag. Der Verdacht, den später einmal andre, die mich nicht kennen, äussern könnten, dass erst persönliche Empfindlichkeit mich die Verschiederheit unserer Anschauungen, unserer Naturen entdecken liess, fällt damit fort. Nun bin ich aber fern davon zu glauben, dass es zu den lebhaften inneren Differenzen gekommen wäre, wie sie nun bestehen, wenn nicht auch meine rein persönliche Sache zur Verhandlung stünde. Auch hier schalt ich gleich die Frage des Recht- oder Unrechthabens aus. Vielleicht wird Dir die Zukunft beistimmen und wird bei allen Dichtern deutscher Sprache, die heute leben und schaffen, konstatieren, was Du heute konstatierst, dass sie Dramen schreiben, in denen alles mangelt, |was einem Gedanken auch nur von fern ähnlich sieht. Und dass man überall in Deutschland Ideen finden kann, nur nicht im modernen deutschen Drama. Sehr möglich, dass Du recht hast. Jedenfalls steht für mich die Sache so, dass ich nicht umhin kann, mich mit den Dingen, die ich schreibe zu identifizieren. Es ist mir selbstverständlich bis heute noch nicht gelungen mich und meine Welt völlig zum Ausdruck zu bringen, aber die Arbeiten der letzten Zeit enthalten so viel von mir, dass der, der sie ablehnt, von mir als Ganzem sich abwenden muss. Das hat nichts mit persönlicher Eitelkeit zu tun. Es gibt Schriftsteller bei denen es möglich ist ihr Schaffen von ihrem Dasein zu trennen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich vermeide es mich hinter der Legende von einer Persönlichkeit zu verstecken, die es verschmäht oder nicht imstande ist, ihr bestes, ihr Eigenstes in ihren Werken zum Ausdruck zu bringen. Man kann es zum Beispiel |bei Lothar trennen, was er ist und was er schreibt, kann es vielleicht in anderm Sinn bei Hofmannsthal, wieder in anderm bei Fulda, gerade bei mir kann man es nicht. Ich bin, was wieder die Zukunft zu entscheiden haben wird, vielleicht ein niederträchtiger Dichter, aber ich bin ein Dichter und kein Literat. Und übernehme die Verantwortung so gut für den Reigen, wie für den einsamen Weg, für den blinden Geronimo, wie für die Berta Garlan u. s. w. Natürlich weiss ich sehr gut, dass mir formal einiges mehr, anderes minder gelungen ist und verstehe ohne weiters, dass auch jemandem, der mich schätzt, das eine oder das andre meiner Werke zuwider ist. Aber ich bestreite es, dass irgend ein Mensch, der beinah zu keinem dieser Werke ein Verhältnis zu finden imstande ist (und ihren Gehalt nicht spüren heisst für mich: kein Verhältnis zu ihnen finden) zu mir persönlich in irgend einem wirklichen Verhältnis zu stehen imstande |ist. Sind diese Werke ideenlos und gering, so muss ich es selbst auch sein. Und es ist nur ein Gebot der Selbstachtung, eine menschliche Beziehung jener schönen Lüge zu entkleiden, die sie durch die Ursupierung des Wortes Freundschaft um die Schultern schlägt. Und die Erinnerung unserer früheren Freundschaft steht mir zu hoch, als dass ich die Illusion aufrecht erhalten dürfte, zwei Menschen, die so ziemlich über alle Dinge der Welt so verschieden denken, wie ich und Du könnten Freunde bleiben oder weiter Freunde heissen.
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