Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 29. 3. [1900]

Berlin, 29. März.

Mein lieber Freund,

Dieser Brief trifft Dich hoffentlich schon irgendwo an einem blauen Meer. Meine treuesten Wünsche begleiten Dich auf der Fahrt nach dem Süden. . . . 
Anbei der im »Berl. Tageblatt« erschienene Bericht über den Vortrag, den gestern diese Adele Schreiber über Dich gehalten hat. Er war platt und albern. Nur eine Literatur-Jüdin hat die Frechheit, auf die Tribüne zu steigen, wenn sie so gar nichts zu sagen hat. Das Schönste war die Verlesung der »Weihnachtseinkäufe«. Sie wurden erbärmlich gelesen; aber |nach ihrem Schluß gab es Beifall mitten im Vortrag. Es ist eben etwas darin, das selbst eine Literatur-Jüdin nicht umzubringen vermag. Auch die Gedichte gefielen sehr. . . . 
Hoffmannsthal’s »Antigone«-Vorspiel ist glatt durchgefallen, – ganz nach Verdienst. Die Kritik verwirft und verhöhnt es, und sie hat Recht. Es ist ein Skandal, den klaren und edlen Versen des Sophocles dieses verworrene Gewäsch voranzuschicken!
Hoffmannsthal, der mir in den fünfzehn Jahren, seit ich von Wien fort bin, nicht eine Zeile geschrieben hat, hat es fertig gebracht, mir |einen Brief zu schreiben, damit ich für sein Stück Reklame mache. Er spricht es zwar nicht direkt aus, aber die Aufforderung liegt indirekt in dem Briefe. Ein lieber Herr!
Ein lieber Herr auch der Dr. Brahm, der, weil ich einige seiner direktorialen Mißgriffe in der N. Fr. Pr. constatirt habe, mir bei der Begegnung die Hand verweigert! . . . 
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund, und sei froh da unten, wo die hellere Sonne scheint!
Dein
 Paul Goldmann.

|A. P. In der Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft sprach am Mittwoch Abend Adele Schreiber über Arthur Schnitzler. Die junge Oesterreicherin entrollte in knappen, sicheren Linien ein Bild von dem geistigen Schaffen ihres Landsmannes, dem das norddeutsche Publikum trotz einiger Bühnenerfolge ziemlich verständnißlos gegenübersteht. Freilich, »wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen,« er muß ihn mit dem Gemüth erfassen. Dazu den Weg zu zeigen, gelang der Vortragenden vortrefflich. Selber ein Wiener Kind, hat sie in dem Milieu des »Jungen-Wien« gelebt, und mit wenigen feinen Strichen vermochte sie die Eigenart dieses Kreises zu skizziren: Hofmannsthal, der zartsinnige Symbolist, Bahr, der Satiriker, Hirschfeld, der Humorist, Altenberg, der sensitive Stimmungsmensch, und endlich Schnitzler, der potenzirte Oesterreicher. Sie sind Realisten, aber keine von der derben Sorte, die Heimath ihrer Seele ist Griechenlandsie sind Schönheitssucher. Ihre Poesie ist eine Mischung aus romanisch-slawisch-orientalischen Einflüssen, wie sie das moderne Oesterreich kennzeichnen. Sie haben etwas den Franzosen Verwandtes. Wie diessind sie Plauderer, vor allem hat Schnitzler die Grazie der Form. Eine weiche Müdigkeit liegt über seinen Schöpfungen, von denen jede ein Stück Selbstbiographie ist. »Einen leichtsinnigen Melancholiker« nennt er sich einmal darin. Er liebt die matten, feinen, subtilen Farben. Der nüchterne Verstandesmensch nennt ihn leicht weibisch, aber er ist nur sensitiv. Allerdings, die großen, neuen Probleme gehen ihn nichts an, seine Dichtungen haben nur einen Inhalt: die Frau, aber nicht die ringende, kämpfende, nur die liebende. Seine Heldinnen sind immer die kleinen, süßen Mädel der Wiener Vorstadt oder verheirathete Weltdamen, die Trost für ihre Herzensleere im Bruch der ehelichen Treue suchen.
Es ist ein Instrument mit einer Saite, das Schnitzler spielt, aber er weiß ihm sympathische Klänge von wehmüthigem Reiz zu entlocken. Auch wenn er das Intimste erzählt, bleibt er immer graziös und wird nie unzüchtig. Mit seinen ersten Arbeiten trat Schnitzler 1886 hervor. Es war das Märchen »Alcantils Lied«, dann folgte das »Märchen von den Gefallenen«, in dem der Held alle alten Vorurtheile überwunden hat und ihnen doch beim ersten Versuch in der Praxis unterliegt. Das Drama »Freiwild« behandelt das Duellmotiv in einem meisterhaft geschilderten Milieu. Nun folgte »Liebelei«, die Tragödie des Mädchens aus dem Volke, vielleicht des Mädchens überhaupt. Es begründete Schnitzlers Ruf und wurde in die verschiedensten Sprachen übersetzt. Das folgende »Vermächtniß« ist ein schwaches Stück, »Die Gefährtin« dagegen voll Feinheit und Eleganz. In »Paracelsus« sind die Farben etwas stark aufgetragen, großen Bühnenerfolg hatte die sozialpolitische Burleske »Der grüne Kakadu«, die trotz der historischen Maske völlig modern wirkt. Schnitzlers neuestes, noch nicht aufgeführtes Stück nennt sich »Beatrice« und ist in Versen geschrieben. Ein Mittelding zwischen Buch und Bühne issein »Anatol«, ein Meisterstück genialer Plauderei, während seine »Novellen« das Problem des Sterbens, des Loslösens des Lebenden von dem dem Tode Verfallenen, ergreifend schildern. Leichtsinn und Melancholie, beides weiß Schnitzler zu verklären, der vielleicht kein Unsterblicher, aber ein echter Künstler ist. Zum Schluß las Adele Schreiber drei seiner lyrischen Gedichte und die Szene »Weihnachtseinkäufe« aus »Anatol« vor, und der Beifall, den sie fand, bewies, daß ihre graziöse, gleichgestimmte Art das Wesen ihres Landsmannes den Hörern wirklich näher gebracht hatte, obgleich wir Norddeutschen mehr die frische, klare Morgenluft lieben als den düsteschweren Hauch schwüler Sommernächte voll banger Todessehnsucht.
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