Dieser Brief trifft Dich hoffentlich schon irgendwo im an einem blauen Meer. Meine treuesten
Wünsche begleiten Dich auf der Fahrt nach dem Süden. . . .
Anbei der im »
Berl. Tageblatt« er
schienene
Bericht
über den
Vortrag, den ge
stern die
se
Adele Schreiber über Dich gehalten hat. Er war platt und albern. Nur eine Literatur-Jüdin hat
die Frechheit, auf die Tribüne zu
steig steigen, wenn
sie
so gar nichts zu
sagen hat. Das Schön
ste war die Verle
sung der »
Weihnachtseinkäufe«. Sie wurden erbärmlich gele
sen; aber
|nach ihrem Schluß gab es Beifall mitten im Vortrag.
Es i
st eben etwas darin, das
selb
st eine Literatur-Jüdin nicht umzubringen vermag.
Auch die Gedichte gefielen
sehr. . . .
Hoffmannsthal’s »Antigone«-Vorspiel i
st glatt durchgefallen, – ganz nach Verdien
st. Die Kritik
verwirft und verhöhnt es, und
sie hat Recht. Es i
st ein Skandal, den klaren und edlen
Versen des
Sophocles die
ses verworrene
Gewäsch voranzu
schicken!
Hoffmannsthal, der mir in den fünfzehn Jahren,
seit ich von
Wien fort bin, nicht eine Zeile ge
schrieben hat, hat es fertig gebracht, mir
|einen Brief zu
schreiben, damit ich für
sein
Stück Reklame mache.
Er spricht es zwar nicht
direkt aus, aber die Aufforderung liegt indirekt in dem Briefe. Ein lieber Herr!
Ein lieber Herr auch der
Dr. Brahm, der, weil ich einige
seiner direktorialen Mißgriffe in der
N. Fr. Pr. constatirt habe, mir bei der Begegnung die Hand verweigert! . . .
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund, und sei froh da unten, wo die hellere Sonne scheint!
Dein
Paul Goldmann.
|A. P. In der Gesellschaft für Kunst und
Wissenschaft sprach am Mittwoch Abend Adele Schreiber über Arthur Schnitzler. Die junge Oesterreicherin entrollte in
knappen, sicheren Linien ein Bild von dem geistigen Schaffen ihres Landsmannes,
dem das norddeutsche
Publikum trotz einiger Bühnenerfolge ziemlich verständnißlos gegenübersteht.
Freilich, »wer den Dichter will
verstehen, muß in Dichters Lande gehen,« er muß ihn mit dem Gemüth
erfassen. Dazu den Weg zu zeigen, gelang der Vortragenden vortrefflich. Selber ein Wiener Kind, hat sie in dem Milieu des »Jungen-Wien« gelebt, und mit wenigen feinen Strichen
vermochte sie die Eigenart dieses Kreises zu skizziren: Hofmannsthal, der zartsinnige Symbolist, Bahr, der Satiriker, Hirschfeld, der Humorist, Altenberg, der sensitive Stimmungsmensch, und endlich Schnitzler, der
potenzirte Oesterreicher. Sie sind
Realisten, aber keine von der derben Sorte, die Heimath ihrer Seele ist Griechenland, sie sind Schönheitssucher. Ihre
Poesie ist eine Mischung aus romanisch-slawisch-orientalischen Einflüssen, wie sie
das moderne Oesterreich kennzeichnen. Sie
haben etwas den Franzosen
Verwandtes. Wie diese sind sie Plauderer, vor allem hat Schnitzler die Grazie der
Form. Eine weiche Müdigkeit liegt über seinen Schöpfungen, von denen jede ein
Stück Selbstbiographie ist. »Einen leichtsinnigen Melancholiker« nennt er sich einmal darin. Er liebt
die matten, feinen, subtilen Farben. Der nüchterne Verstandesmensch nennt ihn
leicht weibisch, aber er ist nur sensitiv. Allerdings,
die großen, neuen Probleme gehen ihn nichts an, seine Dichtungen haben nur einen
Inhalt: die Frau, aber nicht die ringende, kämpfende,
nur die liebende. Seine Heldinnen sind immer die kleinen, süßen Mädel der Wiener Vorstadt oder verheirathete Weltdamen,
die Trost für ihre Herzensleere im Bruch der ehelichen Treue suchen.
Es ist ein Instrument mit einer Saite, das Schnitzler spielt,
aber er weiß ihm sympathische Klänge von wehmüthigem Reiz zu entlocken. Auch wenn
er das Intimste erzählt, bleibt er immer graziös und wird nie unzüchtig. Mit seinen ersten Arbeiten trat Schnitzler 1886 hervor. Es
war das Märchen »Alcantils
Lied«, dann folgte das »Märchen von den Gefallenen«, in dem der Held alle alten Vorurtheile
überwunden hat und ihnen doch beim ersten Versuch in der Praxis unterliegt. Das
Drama »Freiwild« behandelt das Duellmotiv in
einem meisterhaft geschilderten Milieu. Nun folgte »Liebelei«, die Tragödie des Mädchens aus dem Volke,
vielleicht des Mädchens überhaupt. Es begründete Schnitzlers Ruf und wurde in die
verschiedensten Sprachen übersetzt. Das folgende »Vermächtniß« ist ein schwaches Stück, »Die Gefährtin« dagegen voll Feinheit und Eleganz. In »Paracelsus« sind die Farben etwas stark aufgetragen,
großen Bühnenerfolg hatte die sozialpolitische Burleske »Der grüne Kakadu«, die trotz der historischen Maske völlig
modern wirkt. Schnitzlers neuestes, noch nicht aufgeführtes Stück nennt sich »Beatrice« und ist in Versen geschrieben. Ein
Mittelding zwischen Buch und Bühne ist sein »Anatol«, ein Meisterstück genialer Plauderei, während seine »Novellen« das Problem des
Sterbens, des Loslösens des Lebenden von dem dem Tode Verfallenen, ergreifend schildern. Leichtsinn und Melancholie, beides weiß Schnitzler zu verklären, der
vielleicht kein Unsterblicher, aber ein echter Künstler ist. Zum Schluß las Adele Schreiber drei seiner lyrischen
Gedichte und die Szene »Weihnachtseinkäufe«
aus »Anatol« vor, und der Beifall, den sie
fand, bewies, daß ihre graziöse, gleichgestimmte Art das Wesen ihres Landsmannes den Hörern
wirklich näher gebracht hatte, obgleich wir Norddeutschen mehr die frische, klare Morgenluft lieben als den
düsteschweren Hauch schwüler Sommernächte voll banger Todessehnsucht.