Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 31. 3. [1899]

|Frankfurt 31. März.

Mein lieber Freund,

Gerade in diesen Tagen werde ich herumgehetzt, wie ein Hund. Missionen nach Mainz, Karlsruhe, Darmstadt, – hier berichten, dort berichten. Ich habe keinen Augenblick freie Zeit und habe den heutigen Feiertag abwarten müssen, um Dir endlich einmal auch ein Wort zu schreiben, nachdem ich alle diese Tage bekümmert Deiner gedacht.
Dein Brief, in dem Du das Fürchterliche schilderst, hat mich tief ergriffen. Es ist ein wahres Raffinement von Qual gewesen. Das Herz preßt sich zusammen, wenn man das liest. Und nun gar das miterleben! Du Ärmster, was mußt Du gelitten haben! Ich will auch gar nicht versuchen, Dir Trost zu spenden. Es gibt da nichts zu trösten. Und außer der Zeit kann nichts und Niemand helfen. Auf die Zeit rechne ich allerdings. Auch das wird sich schließlich mildern. In dem, was Du über |Dein Alter schreibst, hast Du Unrecht. Gerade in Deinem Alter kann man selbst eine solche Schickung noch tragen, – später nicht mehr. Du bist noch jung, und in Deinem Leben ist noch Kraft genug, um selbst diesschreckliche Leere, die sich auf einmal aufgethan hat, wieder auszufüllen und langssam zu verdecken. Das ist in diesem Unglück meine einzige, aber auch meine feste und sichere Hoffnung, Du mußt freilich selbst etwas dazuthun und mußt Dich gewaltsam herausreißen. Du mußt Dich zu der Erkenntniß durchringen, daß in der Beziehung zu einer Frau, und sei es die beste und liebste, das Leben sich nicht erschöpft. Glaube mir, das ist die Wahrheit. Es gibt Anderes, viel Anderes noch. Es gibt auch wieder einmal neues Glück! Nur leben bleiben – leben und warten!
Ich empfinde es bitter und schmerzlich, daß ich nicht bei Dir sein kann. Mir kommt es vor, als ließe ich Dich im Stich, wenn ich hier fern von Dir bin und Dich allein weiß mit Deinem Kummer. Eines wäre dringend nöthig, und ich komme immer wieder darauf zurück: |Du müßtest fort aus Wienso rasch als möglich, – ein paar Wochen reisen. Komm’ auf einige Tage nach Frankfurt! Wenn nicht, so gehe anderswohin, – irgendwohin, wo Du Gesellschaft hast. Allein reisen dürftest Du auch nicht.
Bitte, lieber Freund, schreib’ mir bald einmal, wenigstens eine Zeile, damit ich weiß, wie es Dir geht. Es braucht nicht viel zu sein, – nur ein Lebenszeichen.
Mit meinem Schwager habe ich über einiges Medizinische gesprochen. Er meint, ob es denn nicht möglich gewesen wäre, noch eine Operation zu versuchen? Dein Ohrenleiden aber kann er sich absolut nicht entschließen ernstzunehmen. Er hat sich viel mit diesen Dingen beschäftigt und vermag in allen Symptomen, die ich ihm schildere, nichts Bedenkliches zu entdecken. Er, meine Schwester und mein Onkel, denen ich von dem Schlage, der Dich betroffen, Mittheilung gemacht habe, nehmen warmen Antheil an Deinen Schmerzen, |haben aber nicht gewagt, Dir selbst zu schreiben. Meine Mutter ist gegenwärtig in Wiesbaden.
Daß Dir der Bauernfeld-Preis zu Theil geworden, hat uns Alle hier sehr gefreut. Das isschön und ehrenvoll. . . . . 
Liebster Freund, Du mußt stark sein und mußt Dich in das Unabänderliche fügen! Es ist viel verloren, und doch ist nichts zu Ende! Und dann hast Du vier Jahre glücklich sein dürfen, wie Wenige. Ich versichere Dich: wenn das Schicksal mir vier Jahre solchen Glückes geben wollte, um den Preis, daß ich dann einen Schmerz durchmachen müßte, wie Du ihn jetzt erlebst, – ich würde ohneweiters zustimmen. Diese arme Frau ist dahingegangen, nachdem sie Dir das Beste gegeben hatte, was sie geben konnte. Sie hat ihr volles Maß ausgeschüttet. Dann issie für immer geschieden, auch darin vielleicht selbstlos und rührend, wie sie stets war. . . . . 
Ich grüße Dich von Herzen und in Treue
Dein
 Paul Goldmann.
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