Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 3. 6. 1893

und
Handelsblatt. Frankfurt a. M., 3. Juni 1893.
Redaktion.1
Telegramm-Adresse:

Mein lieber Arthur!

Ich bin für wenige Tage zum Besuch in Frankfurt, um der Hochzeit meiner Schwester beizuwohnen. Mein Onkel spricht mir natürlich von Dir, erzählt mir mit wahrem Enthusiasmus von Deinem Roman, den er als ein bedeutendes Werk bezeichnet, und zeigt mir schließlich Deinen Brief, es tief beklagend, daß zwischen Dich und ihn etwas getreten ist, das besser nicht da wäre. Dein Brief, mein lieber Freund, ist |ebenso an mich gerichtet, wie an meinen Onkel. Vieles von dem, was Du zu ihm sagst, bezieht sich auch auf mich. Und ich kann mich von der Schuld nicht freisprechen, ein wenig die Bitterkeit mitveranlaßt zu haben, von der ich Dich erfüllt sehe. Objectiv hast Du vollständig Recht. Nun aber subjektiv: Gewiß, wenn ein Mensch auf der Welt verpflichtet war, über »Anatol« zu schreiben, so war ich es. Das Buch kam bei mir an in einer meiner schwersten Arbeitszeiten – Arbeit, von deren Wucht und Depres|sionsmacht Du keinerlei Ahnung haben kannst. Ich mußte es zurücklegen für später. Und als dann das »später« kam, kam über mich das Unheil, das Du kennst, mit der Unmöglichkeit, auch nur ein wenig Spannkraft zu finden, um aus dem mechanischen Trott der täglichen Arbeit herauszugehen und ein Werk von Dir in einer Deiner würdigen Weise zu bearbeiten. Eine kleine Reklamenotiz hätte ich als einen Affront für Dich empfunden. Es mußte etwas Hübsches und Feines |sein. Das aber war ich außerstande zu schaffen. Noch heut bin ich es nicht imstande. Denn ich bin nicht geheilt, werde es wohl auch nie werden, und bin durch diesen Schlag und durch gewissen schweren Familien- und Berufs-Kummer, durch die entsetzliche Zukunftslosigkeit meiner Carrière zerbrochener als je. Um Dich nicht warten zu lassen, sandte mein Onkel sofort Dein Buch unserem Berliner Berichterstatter. Der Herr hat einfach nicht darüber geschrieben. Und wie |bei unserem Blatte die Verhältnisse liegen, ist mein Onkel machtlos, ihn dazu zu zwingen. Mein Onkel selbst hat sich dann längere Zeit mit dem Gedanken getragen, selber darüber zu schreiben. Aber es ist eine Unproductivität über ihn gekommen, die auch ihm die Feder lähmt, soweit es sich nicht um Arbeiten handelt, die der Dienst von ihm erzwingt. Das Alles ist | schriftlich schwer auseinanderzusetzen. Mündlich würde ich es Dir leicht begreiflich machen. Das praktische Resultat: Ich gehe nach Paris zurück, mit dem festen Vorsatz, doch über Dein Werk zu schreiben, kann aber bei meinem schwachen Character für nichts einstehen. Das Gescheiteste, im Interesse einer raschen Erledigung, wäre, wenn einer von den Wiener Freunden, Richard oder Loris, uns ein kleines Artikelchen  darüber machen wollte. Mein Onkel verspricht |sofortigen Abdruck. Wenn nicht, so gewähre mir, liebster Freund, noch eine Frist, und ich will alle Kraft aufbieten, um zu thun, was ich Dir schulde und was ich auch gar so gern thun möchte.
Über den Roman haben wir lange gesprochen, mein Onkel und ich. Ein Abdruck in der Frkf. Ztg. ist unmöglich wegen der Philistrosität des Publicums. Weder mein Onkel noch ich sind in keinen Beziehungen mit einem Verleger. |Das Einzige, was man für’s Erste thun könnte, wäre ein Brief, den Du dann beifügst, wenn Du das Manuskript einem Verleger Deiner Wahl einschickst und der wenigstens den Vortheil hat, Dir durch den Namen der Frankf. Ztg. jene Accredition zu geben, deren Du bei jenen urtheilslosen Buch-Handwerkern noch bedarfst. Dein Stolz wird sich gegen dieses Mittel wehren, Dein Verstand wird Dir zeigen, daß es doch |nicht zu verschmähen ist. Bist Du aber erst einmal mit einem Verleger in Beziehung und brauchst Du meinen Onkel oder mich zur weiteren Förderung der Angelegenheit, so wirst Du uns auf dem Laufenden erhalten, und vielleicht ergibt sich am Ende doch die Möglichkeit, etwas Positiveres und Specielleres zu erwirken.
Der Brief folgt anbei.
|Nimm' diesen Brief auch als Antwort meines Onkels, der Dich lieb hat und Dir gern das Blaue vom Himmel herunterholen würde, wenn er könnte. Aber Du hast keine Ahnung, was für arme, macht- und bedeutungslose Menschen wir sind, er und ich, wir Zwei mit dem verfehlten Leben.
Grüß’ Dich Gott, mein theurer Freund!
Dein
Paul Goldmann.
  1. 1 Für die Redaktion bestimmte Briefe und Sendungen wolle man nicht an die Person eines Redakteurs, sondern stets an die Redaktion der Frankfurter Zeitung adressiren.
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