|Dr. jur. Paul Goldmann
Correspondant de la »Gazette de Francfort«
Mein lieber Arthur!
Ich entschließe mich nicht leicht zum Schreiben an Dich, offen gestanden. Denn ich
komme mir vor, wie einer ein lästiger Mahner, der eine Gefühlsschuld eintreiben will, zu deren
Honorirung nicht mehr der nöthige Bestand vorhanden ist. Alle Symptome sprechen mir
dafür, daß das gekommen ist, was kommen mußte: Daß ich für Euch ein Stück
Vergangenheit geworden bin; und als solches habe ich natürlich weit hinter den Sachen
Eurer Gegenwart zurückzustehen. Ich bin eine Erinnerung für einsame Sonntag
Nachmittage geworden. . . . .
Al
so einiges von mir. In
Brüssel geht es mir
jetzt etwas be
sser – morali
sch wenig
stens. Ich bin den Leuten hier ein klein wenig
näher getreten, habe
|manchen lieben Men
schen,
manche
schöne Kün
stlernatur gefunden und bin mit dem Einen oder dem Andern wenn auch
nicht Freund,
so doch gut bekannt geworden.
× Sogar ein kleines Milieu junger Kün
stler und Lebemänner in meinem Alter, ein
Milieu der
Hectors und
Gastons, habe ich
gefunden. Am mei
sten verkehre ich mit
Chainaye, dem jüng
sten
Redacteur der
Indépendance Belge: enragirter
Wallone
und
Romane, reiches
kün
stleri
sches Sentiment,
Stimmungsmensch, melancholi
sches Talent,
Verfasser my
sti
sch-empfind
samer Gedichte in Pro
sa, blond, krank,
s
gei
st
sprühend und lu
stig in der Conver
sation bei dem Allen und – was das be
ste i
st –
mit einigen
kl Zügen, die entfernt an Dich erinnern. Nach Be
siegung des
Deutschenha
sses, der
Ver
ständigungs
schwierigkeiten, des Mißtrauens gegen den Fremden
etc. etc. bin ich ihm näher getreten. Und in die
se
m↓n↓ |Tagen
stehe ich ihm rathend zur Seite bei einem
großen Bruch mit
seiner
Maitresse, die
sich zu
tödten droht
etc. etc. (
siehe
Jeannette.) Ein närri
sches Ding, das Leben, – nicht
wahr? Außerdem haben
sich meine Beziehungen zu den
Brüsseler Journali
sten
sichtlich verbe
ssert. Es i
st ein geradezu enormer
Unter
schied zwi
schen den
Brüsseler und den
Wiener Collegen. Hier
sind es – von wenigen
Ausnahmen abge
sehen – liebe, gute Bur
schen mit prächtigem Benehmen, voll Gefälligkeit
und Liebenswürdigkeit, und manch’ eine
schöne Künftlernatur i
st auch hier darunter –
Leute, die den Journalismus machen, um Brod zu verdienen, aber im Übrigen
s’en fichent
und warmen Herzens der Kun
st anhängen. Ich mache hier eifrige Propaganda für die
Norweger, und
Tardieu, der
Chefredacteur der
Indépendance, der unter den intere
ssanten
|hie
sigen
S Collegen vielleicht der intere
ssante
ste i
st, hat die
se meine Bemühungen
sammt
Citat meines Namens in der
Indép. verewigt, worauf dann die
Notiz mit »
notre confrère le docteur Goldmann de le Gazette de Francfort« die Runde durch die
Pariser Pre
sse, vom
Figaro bis zum
Rappel, gemacht
hat. Auch d
ie↓er↓ Verkehr
zur↓mit der↓ officiellen Welt i
st angenehm. Ich werde von mehreren Mini
stern mit allen
meinem Range gebührenden Ehren empfangen
etc. Außerdem i
st
die
Stadt mit ihrem
Schein↓Abglanz↓ franzö
si
schen Kun
stlebens recht
intere
ssant, und es gibt
schöne Abende im Theater und im Concert. Endlich das
herrliche Hi
stori
sche. Die alte
niederländi
sche Malerei. Ich beginne hier lang
sam zu begreifen, was das für
Dinger
sind, die
Rubens,
van Dyck und
Rembrandt. Und das i
st ein Quell neuer und
|ungeahnter
Genü
sse.
Das
sind die guten Seiten. Aber die bö
sen
sind geblieben,
sind vielleicht noch
tro
stlo
ser als zuvor, und haben nur die Ge
sichter zum Theil gewech
selt. Keine
Zukunft, keine Zukunft. Die Möglichkeit,
sich ein Vermögen zu machen, exi
stirt nicht.
Mein Gehalt i
st jämmerlich und wird nicht ge
steigert. Die großen Pflichten, die ich gegen die
Meinen habe, treten immer drohender an mich heran. Und außerdem werde ich von Seiten
des
Blattes genau
so gemein und
ungerecht behandelt, wie es mir in
Wien ge
schehen
– H.
Sonnemann, der
Chef und
Gebieter, i
st ein
erbarmu erbarmungslo
ser
Blutsauger, der verlangt, daß
sich
seine
Leute zu Tode
schinden und der ihnen auch
|dann noch
beim klein
sten Ver
sehen heftige Vorwürfe macht. Außerdem
sitzt eine
Canaille in der
Redaction, ein
Mensch, der mich kaum kennt, dem ich nie
etwas gethan habe und der mich trotzdem haßt, Gott weiß warum. Er i
st zum Unglück
mein unmittelbarer
Vorgesetzter, und ihm
habe ich es zu danken, daß
man meine Ernennung für den
Pariser Po
sten,
welche im Zuge war, unterblieb, weil ich mit der Nachricht vom Tode
Boulangers eine Stunde
später gekommen, als die officielle
Telegraphenagentur
– die
Agence Havas! Und ähnliche Schurkereien. Ich leide ent
setzlich darunter und
sehne mich
blutenden Herzens mehr als je nach Erlö
sung. Ein kleines Capital und Rückkehr nach
Wien. Denn das i
st nach wie vor das ober
ste
Ziel meiner Wün
sche. Es vergeht nach wie vor kein Tag,
|wo ich nicht zehn-, zwanzigmal an Dich und die
theure
Stadt denke. Und als das
Orchester der Pompiers Sonntag die Straßen mit dem
Schrammel-Marsch durchzog, lief ich
hinterher und wi
schte mir, wie der bekannte Vater im
Singspiel, die Thränen mit dem Rockärmel
ab. Aber ich habe keine Hoffnung. Mein Leben wird in harter Sklaverei verfließen,
fern von Allem, was ich lieb habe; und zu großen befreienden Werken habe ich weder
das genügende Talent, noch die genügende Energie. . . . .
Wollte ich nun alle die Fragen auf
schreiben, die ich an Dich zu richten habe, es
ginge noch ein Briefbogen darauf. Aber ich thue es nicht; denn ich weiß, daß du mir
sie eh’ nicht beantworten wir
st. Der lange Brief
, von
Dir, der nicht kommt,
sagt mir viel mehr, als
ein
einer, der gekom
|men wäre. Du ha
st Recht, mein
lieber Alter; es gibt auch in der Freund
schaft »
Episoden«. Jeder verbraucht halt in
seinem Leben eine gewi
sse Anzahl Men
schen, und von
mir i
st nur mehr der letzte Boden
satz vorhanden. Dir i
st kein Vorwurf zu machen. Es
i
st die Natur, die es
so eingerichtet, daß das Verge
ssen in der
seeli
schen Welt genau
so
meh mechani
sch und nothwendig und mit den
selben
Endzwecken vor
sich geht, wie das Verdauen in der körperlichen. . . .
Mir brennt das Gewi
ssen oft, wenn ich daran denke, daß ich
Loris und
Richard noch nicht auf ihre Brie
se geantwortet habe. Aber mir lähmt der Gedanke die zum
Schreiben ange
setzte Hand, daß
sie, wenn
sie meinen Brief erhalten, die Empfindung
haben könnten
,↓:↓ was will der Men
sch eigentlich von mir? Grüße die
Zwei bitte viel
|tau
send Mal von mir und
sage ihnen in meinem Namen
alles Liebe und Gute, was
sich finden läßt. . .
Deinem
Bruder und
Kapper herzlich
ste Grüße. Den Deinen ergebene Empfehlungen. Dir
selb
st –
schweres
Problem. Ich möchte Dir am Lieb
sten meinen Segen geben,
so abge
schieden komme ich mir
Dir gegenüber vor.
Dein
treuer
Paul Goldmann.
Drei Bitten 1.)
sag’ doch dem
Schuft, dem
Dr. Joachim, wenn er die ihm ge
schickte kleine
Arbeit nicht brauchen kann,
so
soll er mir
sie augenblicklich zurück
senden, weil ich Verwendung
|dafür habe; auch
soll er mir dasjenige
Heft der »
Modernen Dichtung« (nicht
Rundschau)
schicken, in dem
Aphorismen von mir er
schienen
sind; ich brauche
sie
dringend und zahle
en eventuell dem Buchhändler dafür 2.) ha
st Du eine Ahnung, was zwi
schen
Herz Herzl und
seiner
Frau vorgegangen? 3.) Weißt Du
vielleicht – nicht lachen, bitte! – den Namen einer
T guten Tru Truppe
Tiroler Sänger,
↓an↓ welche man
sich wenden könnte, um
sie zu einer Rei
se
nach
Brüssel zu veranla
ssen?