Der Dank für Deine lieben Briefe, die mich unendlich erfreut haben, brennt mir
schon
lange auf dem Herzen. Aber eine große Affaire, die
seit ein paar Wochen im Zuge i
st,
hat mir bisher die Hände gebunden. Heut i
st es ent
schieden: in 14 Tagen gehe ich nach
Paris als politi
scher und literari
scher
Corre
spondent der »
Frankfurter Zeitung«.
Äußerlich recht ehrenvoll. Innerlich, unter uns, nur ein Ver
such
seitens des
Blattes, eine billige junge
Kraft in zehnfachem Maße auszubeuten als bisher. Die Arbeit in
Paris wäch
st in’s Unendliche, desgleichen die
Verantwortlichkeit; keiner der früheren Corre
spondenten
|hat
sich noch länger als drei Jahre halten können.
In Bezug auf den Gehalt werde ich wahr
scheinlich betrogen werden; die kleine Erhöhung
gegen bisher wird durch die theuren Lebensverhältni
sse aufgewogen; von meinem
einzigen Ziel, zur Selb
ständigkeit zu
gl gelangen, bin ich al
so ferner als je. Und bei meinem Ekel vor der Politik, der
sich hier noch
ac accentuirt hat, bei meiner Ignoranz
in der franzö
si
schen Sprache, bei meinem Hang zur ruhigen,
st friedlichen, lang
samen Arbeit habe ich alle Aus
sichten, mich nicht zu bewähren
und nicht zum Wohlbehagen zu gelangen. Ich gehe morgen
von hier fort. Die
Stadt i
st
mir in den letzten Wochen lieb geworden; ich war im Begriff, mein
Milieu zu finden. Und im Augenblick, wo ich mich hüb
sch
behaglich in eine warme Ecke drücken will,
|reißt reißt das Leben die Thür auf, zwingt mir wieder
den Wander
stab
heraus in die Hand und
stößt mich in
den Sturm und Regen der Land
straße hinaus. Gott weiß allein, was er mit mir
vorhat.
Vielleicht finde ich vor meiner Abrei
se von hier noch Zeit, Dir ausführlich zu
schreiben. Ein
stweilen laß’ Dir mit einem innigen Dankwort genügen für den
Wärme
strom, den Du mit Deinen lieben Briefen in mein Herz geleitet. Was mich im
Be
sonderen für Dich erfreut, das i
st ein gewi
sser Hauch von Arbeitsfreude, der daraus
hervorweht. Wenn das keine vorübergehende Stimmung,
sondern ein bleibender
Seelenzu
stand i
st,
so gibt es kein noch
so hohes Ziel, de
ssen Erreichung ich für Dich
nicht erhoffe. Einer Sorge möchte ich gleich hier Ausdruck verleihen:
ich die Bedenken, welche
|ich gegen das Bodenfa
ssen
der »
Freien-Bühne«-Bewegung gehabt,
sind jetzt in
mir fa
st zur negativen Gewißheit erwach
sen. Die Macher der
Bewegung sind
zu theils zu wenig erfahren, theils zu
wenig begabt, theils zu wenig ehrlich; und der blöde Wider
stand des Publicums wie
seiner Lakaien, der »Kritiker«, i
st auf die
se Wei
se nicht zu brechen. Die
Wengrafs etc. sind die Schlauen,
welche Wind
h davon haben und beizeiten ihren Ein
satz
aus dem Spiele ziehen. Denen werden wahr
scheinlich noch Andere folgen. Nun möchte ich
um Alles in der Welt nicht, daß Du das Opfer Deiner makello
sen Ehrlichkeit wir
st und
Deinen guten Namen an eine Sache hefte
st, die ihn bei ihrem Zu
sammenbruch
schwer
compromittiren könnte. Ein Martyrium für die gute Sache –
|meinetwegen! Aber die Sache i
st nicht gut – die
se
Sache der
Joachims,
Kafkas etc. Und darum meine ich: wenn die
Unternehmung nicht unbedingte Aus
sicht auf
Gedeihen bietet;
wenn Du nicht
selb
st unum
schränkt leiten kann
st –
so zieh’ auch Du Dich ein wenig
zurück. Du brauch
st, weiß Gott, keine
Partei und bi
st
stark genug, deine eigenen Wege zu gehen.
Eine Aufführung des »
Märchen« durch die »
Freie Bühne«, wenn nicht ganz vorzügliche
schau
spieleri
sche
Kräfte ge
sichert
sind, hielte ich für eine große Gefahr. Das Publicum i
st zu dumm, um
das
Stück zu begreifen; und
auf der andern Seite mangelt der »
Freien Bühne«
|in
Wien die
Autorität, welche, als Surrogat des Ver
ständni
sses, das dumme Volk zum Beifall
zwingt. Nach dem von den »führenden Gei
stern« der Pre
sse ausgehenden Lo
sungswort wird
jeder Lausbub
sich berechtigt glauben, Kritik zu üben; und die Zeitungen werden Dich
zerreißen oder mit,
g vernichtendem Wohlwollen behandeln. (
N. B. Hugo Kleins Artikel habe ich gele
sen; wäre ich in
Wien
gewe
sen, ich hätte den
Burschen geohrfeigt, allein wegen der Stelle über Dich!). Etwas Anderes wäre
die Aufführung in
Berlin. Kein
sicherer Erfolg
freilich; aber dort wir
st Du wenig
stens von Einigen
so ern
st genommen werden, als Du
es verdien
st. Ich halte es für das Be
ste, die
Aufführu Antwort
Blumenthals abzuwarten und
|vorher in
Wien nicht einen Schritt zu thun. In
Burckhards Antwort liegt,
trotz der literari
sch-ungebildeten
Form,
vielleicht ein ge
sunder In
stinct. Du hätte
st ihm unter allen Um
ständen zuer
st den
Alkandi geben
sollen; und ich rathe Dir
ent
schieden, es auch jetzt noch zu thun. Bringt er das
Stück und gefällt es,
so wäre es gar nicht
unmöglich, daß er noch auf das »
Märchen«
zurückkäme. Im Übrigen behalte ich mir alle näheren Urtheile bis nach der Lectüre
vor, die ich aufrichtig
st herbeiwün
sche.
Dies für heut. Tau
send Dank noch für die Beantwortung
meiner Fragen, die ausführlichen Mittheilungen über die Lieben in
Wien, und all’ das Gütige und Freund
schaftliche, das Deine
|Briefe
son
st noch enthalten haben. Sie waren mir
eine Art Fe
stge
schenk. Ehe ich von hier
scheide (ich fahre etwa am 30. November) höre ich wohl noch ein Wort von Dir? Viele,
viele Grüße an die
Wiener Freunde, vor Allem
Richard und
Loris und
Kapper. Einen herzlichen Händedruck an
Salten, der mein
seeliger
Erbe auf dem gewi
ssen mit
Ki
ssen weich drapirten Sopha
geworden zu
sein
scheint. Ergebene Empfehlungen an die Deinen. Vielen Dank und Gruß
an »
es«, das meiner
so treulich gedenkt. Und, um im Austheilen der Gnaden
fortzufahren, Dir, mein lieber Alter, das goldene Vließ meines Erbhau
ses: eine
herzliche Umarmung!
À propos: Kenn
st Du wen in
Paris, an den Du mich empfehlen könnte
st?