Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 15. 11. 1891

|Dr. jur. Paul Goldmann
Correspondant de la »Gazette de Francfort«
Brüssel, 15. November 1891.

Mein lieber Arthur!

Der Dank für Deine lieben Briefe, die mich unendlich erfreut haben, brennt mir schon lange auf dem Herzen. Aber eine große Affaire, die seit ein paar Wochen im Zuge ist, hat mir bisher die Hände gebunden. Heut ist es entschieden: in 14 Tagen gehe ich nach Paris als politischer und literarischer Correspondent der »Frankfurter Zeitung«. Äußerlich recht ehrenvoll. Innerlich, unter uns, nur ein Versuch seitens des Blattes, eine billige junge Kraft in zehnfachem Maße auszubeuten als bisher. Die Arbeit in Paris wächst in’s Unendliche, desgleichen die Verantwortlichkeit; keiner der früheren Correspondenten |hat sich noch länger als drei Jahre halten können. In Bezug auf den Gehalt werde ich wahrscheinlich betrogen werden; die kleine Erhöhung gegen bisher wird durch die theuren Lebensverhältnisse aufgewogen; von meinem einzigen Ziel, zur Selbständigkeit zu gelangen, bin ich also ferner als je. Und bei meinem Ekel vor der Politik, der sich hier noch accentuirt hat, bei meiner Ignoranz in der französischen Sprache, bei meinem Hang zur ruhigen, friedlichen, langsamen Arbeit habe ich alle Aussichten, mich nicht zu bewähren und nicht zum Wohlbehagen zu gelangen. Ich gehe morgen von hier fort. Die Stadt ist mir in den letzten Wochen lieb geworden; ich war im Begriff, mein Milieu zu finden. Und im Augenblick, wo ich mich hübsch behaglich in eine warme Ecke drücken will, | reißt das Leben die Thür auf, zwingt mir wieder den Wanderstab in die Hand und stößt mich in den Sturm und Regen der Landstraße hinaus. Gott weiß allein, was er mit mir vorhat.
Vielleicht finde ich vor meiner Abreise von hier noch Zeit, Dir ausführlich zu schreiben. Einstweilen laß’ Dir mit einem innigen Dankwort genügen für den Wärmestrom, den Du mit Deinen lieben Briefen in mein Herz geleitet. Was mich im Besonderen für Dich erfreut, das ist ein gewisser Hauch von Arbeitsfreude, der daraus hervorweht. Wenn das keine vorübergehende Stimmung, sondern ein bleibender Seelenzustand ist, so gibt es kein noch so hohes Ziel, dessen Erreichung ich für Dich nicht erhoffe. Einer Sorge möchte ich gleich hier Ausdruck verleihen: die Bedenken, welche |ich gegen das Bodenfassen der »Freien-Bühne«-Bewegung gehabt, sind jetzt in mir fast zur negativen Gewißheit erwachsen. Die Macher der Bewegung sind theils zu wenig erfahren, theils zu wenig begabt, theils zu wenig ehrlich; und der blöde Widerstand des Publicums wie seiner Lakaien, der »Kritiker«, ist auf diese Weise nicht zu brechen. Die Wengrafs etc. sind die Schlauen, welche Wind davon haben und beizeiten ihren Einsatz aus dem Spiele ziehen. Denen werden wahrscheinlich noch Andere folgen. Nun möchte ich um Alles in der Welt nicht, daß Du das Opfer Deiner makellosen Ehrlichkeit wirst und Deinen guten Namen an eine Sache heftest, die ihn bei ihrem Zusammenbruch schwer compromittiren könnte. Ein Martyrium für die gute Sache – |meinetwegen! Aber die Sache ist nicht gut – diese Sache der Joachims, Kafkas etc. Und darum meine ich: wenn die Unternehmung nicht unbedingte Aussicht auf Gedeihen bietet; wenn Du nicht selbst unumschränkt leiten kannst – so zieh’ auch Du Dich ein wenig zurück. Du brauchst, weiß Gott, keine Partei und bisstark genug, deine eigenen Wege zu gehen. Eine Aufführung des »Märchen« durch die »Freie Bühne«, wenn nicht ganz vorzügliche schauspielerische Kräfte gesichert sind, hielte ich für eine große Gefahr. Das Publicum ist zu dumm, um das Stück zu begreifen; und auf der andern Seite mangelt der »Freien Bühne« |in Wien die Autorität, welche, als Surrogat des Verständnisses, das dumme Volk zum Beifall zwingt. Nach dem von den »führenden Geistern« der Presse ausgehenden Losungswort wird jeder Lausbub sich berechtigt glauben, Kritik zu üben; und die Zeitungen werden Dich zerreißen oder mit, vernichtendem Wohlwollen behandeln. (N. B. Hugo Kleins Artikel habe ich gelesen; wäre ich in Wien gewesen, ich hätte den Burschen geohrfeigt, allein wegen der Stelle über Dich!). Etwas Anderes wäre die Aufführung in Berlin. Kein sicherer Erfolg freilich; aber dort wirst Du wenigstens von Einigen so ernst genommen werden, als Du es verdienst. Ich halte es für das Beste, die Antwort Blumenthals abzuwarten und |vorher in Wien nicht einen Schritt zu thun. In Burckhards Antwort liegt, trotz der literarisch-ungebildeten Form, vielleicht ein gesunder Instinct. Du hättest ihm unter allen Umständen zuerst den Alkandi geben sollen; und ich rathe Dir entschieden, es auch jetzt noch zu thun. Bringt er das Stück und gefällt es, so wäre es gar nicht unmöglich, daß er noch auf das »Märchen« zurückkäme. Im Übrigen behalte ich mir alle näheren Urtheile bis nach der Lectüre vor, die ich aufrichtigst herbeiwünsche.
Dies für heut. Tausend Dank noch für die Beantwortung meiner Fragen, die ausführlichen Mittheilungen über die Lieben in Wien, und all’ das Gütige und Freundschaftliche, das Deine |Briefe sonst noch enthalten haben. Sie waren mir eine Art Festgeschenk. Ehe ich von hier scheide (ich fahre etwa am 30. November) höre ich wohl noch ein Wort von Dir? Viele, viele Grüße an die Wiener Freunde, vor Allem Richard und Loris und Kapper. Einen herzlichen Händedruck an Salten, der mein seeliger Erbe auf dem gewissen mit Kissen weich drapirten Sopha geworden zu sein scheint. Ergebene Empfehlungen an die Deinen. Vielen Dank und Gruß an »es«, das meiner so treulich gedenkt. Und, um im Austheilen der Gnaden fortzufahren, Dir, mein lieber Alter, das goldene Vließ meines Erbhauses: eine herzliche Umarmung!
Dein
treuer
Paul Goldmann.
À propos: Kennst Du wen in Paris, an den Du mich empfehlen könntest?
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