Der Himmel allein weiß, wieviele Briefe ich Dir inzwi
schen ge
schrieben habe. Das
Unglück wollte nur, daß ich nie dazu kam, einen davon auf’s Papier zu bringen. Daß
ich seit meinem Fortgang aus
Wien auch nicht ein Tag vorübergezogen i
st, an dem ich Deiner
nicht gedacht, i
st eben
so buch
stäblich wahr, als es phra
senhaft er
scheint. Das Maß
meiner Berufsarbeit i
st mehr als men
schlich; aber ich
× freue mich de
ssen und
suche eher zu mehren als zu mindern; ich bedarf wahrer
Arbeitsb
ac↓ac↓hanale, um an
mich
selb
st zu verge
ssen, was mir trotzdem nicht völlig gelingt. I
m↓n↓ Familien- und Ge
schäftsangelegenheiten habe ich vor
acht↓14↓ Tagen nach
Frankfurt rei
sen mü
ssen; und
da mir der
Chef des
Blattes die Aufgabe zuertheilte,
über die dortige elektri
sche
Aus
stellung zu
schreiben –
stell’ Dir vor! – gingen mit die
ser
widerlichen Arbeit auch noch die acht Tage nach der Rückkehr zum Teufel. Heut i
st ein Tag nach einer auf Po
sten durchwachten Nacht
(die
Königin i
st erkrankt
und man erwartete
stündlich die Todesnachricht). Zum Schlafen bin
ich zu nervös, zum Arbeiten zu müde,
|und nachdem
ich mich
soeben eine Stunde in tau
send qualvollen Gedanken auf dem Ruhebett gewälzt,
flüchte ich mich vor meinen Dämonen in Deine Nähe, die
sie
so oft gebannt hat. Und
so
wird denn der läng
st ge
schriebene Brief nunmehr wirklich ge
schrieben. . . . .
Keine Spur von Wohlbefinden hier, mein lieber Arthur! Äußerlich freilich
sieht
sich
die Sache recht gut an. Ich habe Erfolg und Zufriedenheit von meinen Vorge
setzten
her; und ich bin in guten Beziehungen zur officiellen Welt, zu Mini
stern, Deputirten
und allerlei
son
stigem hohen Gethier. Aber es i
st klar, daß
d es nicht genügt, um de
m↓n↓ Wärmebedarf eines weichen Herzens herzu
stellen, wenn man von
Mini
sterprä
sidenten empfangen wird. Alles Übrige aber, was ich von der
Brüsseler Bevölkerung kennen gelernt, i
st eiskalt
und abwei
send dem Fremden, zumal dem Deut
schen gegenüber. Die Leute haben zwar
Alle insge
sammt vollendete Formen; aber ich habe in
meinem Leben nicht
so erkannt, was die Höflichkeit für eine unbe
siegliche
|Waffe i
st
gegen den,
demgegenüber man
sie anwendet. Die Leute hier ver
stehen die Kun
st,
sich Einem mit
Hände
schütteln vom
Leibe Leibe zu halten. Das gilt
ganz im Speciellen von den journali
sti
schen Collegen. Es
sind zwar vollendete
Gentlemen im Äußern – wie Tag und Nacht gegenüber dem
Wiener Ge
sindel – aber fal
sch, unverläßlich, verlogen
sind
sie zu gleicher
Zeit. Ich bin demgemäß nach wie vor völlig i
solirt. Ein paar äußerliche Beziehungen
dienen eher dazu, mir meine Ein
samkeit noch fühlbarer zu machen, als
sie
abzu
schwächen. Meine Abende verbringe ich mei
st allein, meine Sonntage gleichfalls –
in der Regel trifft man mich zu jeder Tageszeit an meinem Schreibti
sch. Deine Frage
nach »intere
ssanten Frauen« übergehe ich mit
stiller Heiterkeit. Straßendirnen, die,
weil
sie kein Anderer mag, mit dem häßlichen und unge
schlachten Fremden gehen mü
ssen und die ihn dafür ausplündern, wie ein
Heu
schrecken
schwarm, der einen Acker überfällt – das i
st meine
|weibliche Welt. Liebelos und freudlos – das i
st die
Firma, unter der mein Leben
sein Ge
schäft fortführt. Ich
sehne mich namenlos nach
Wien und nach Dir und dem andern, was mir dort
theuer i
st, zurück – namenlos! Und ich habe eine
Zeit der heftigen
Empörung gegen das Schick
sal gehabt und an den Stäben des Käfigs gerüttelt. Ich habe
in
Frankfurt erklärt, daß ich unter allen
Um
ständen nach
Wien zurück will. Aber keine
Aus
sicht. Un
ser
Chefredacteur verachtet
Wien und
Österreich aufs Tief
ste und hält es nicht der
Mühe für werth, dort einen an
ständigen Corre
spondenten-Po
sten zu etabliren. Und dann
kam mein
Onkel mit
seiner harten Pflichtlogik:
man i
st in
Wien glücklich, zugegeben! aber der
Mann, der für
sein und
seiner Familie Fortkommen
sorgen
soll, hat nicht das Recht,
glücklich zu
sein. . . . Dabei fällt mir etwas ein: der
W Pariser Corre
spondentenpo
sten der »
Neuen Freien
Presse« i
st durch
Singer’s Berufung nach
|Wien freigeworden; man hat es mir hier nahegelegt,
mich darum zu bewerben; aber ich habe es nicht gethan. Wenn Du aber am Ende irgendwie
– ohne daß natürlich Jemand eine Ahnung von meiner Bewerbung haben dürfte! – in
die
ser Richtung etwas wirken könnte
st,
so wäre ich wohl recht einver
standen; das wäre
immerhin ein Schritt in der Richtung nach
Wien.
Aber das i
st nur
so eine Idee! Fällt Dir nicht gleich etwas Wirk
sames
diesbezüglich
er ein,
so gib’ Dich, bitte, nicht weiter damit ab! . . . .
Dein lieber Brief, der meine Arbeiten lobt, hat mich unendlich gefreut. Ich danke
Dir
für die Minute des Stolzes, die Du mir damit bereitet. Du weißt, ich rechne Dich zu
meinen
streng
sten und unfehlbar
sten Richtern. Habe ich wirklich etwas Gutes
ge
schrieben,
so war es kein Kun
st
stück. Jene Tage in
Holland waren von unvergeßlicher Schönheit und brachten eine Fülle von
Eindrücken, die tief,
aber tief aber tief
sich in’s Herz gruben. Ich glaube, in
die
sen Tagen i
st mir zum er
sten Mal das Licht darüber aufgegangen, was die Malerei
i
st. Die Wärme freilich, mit der Du
schreib
st, i
st
fie viel mehr
|ein Compliment für Dich als für
mich. Treue Herzen wie das Deinige
sind
solche, die in der Welt wohl noch hie und da
vorhanden
sein mögen, die man aber nur einmal findet. . . . Und
dann das zweite Brieflein! Am Morgen um vier Uhr kam ich
aus von
Frankfurt
heim – mit fieberndem Kopfe und brennenden Augen, nach einer
schlaflo
sen Nachtfahrt.
Und in dem grauen Morgenzwielicht, beim Schein einer blinzelnden Kerze las ich Deinen
Brief. Mein Herz war eiskalt vor Verla
ssenheit und
schrie förmlich vor Sehn
sucht, als
aus die
sen mit Blei
stift gekritzelten Zeilen die
süße Vi
sion des
Wiener Sommerabends mit Frauen- und Blumenduft auf
stieg. Es war
vielleicht ein vom Champagner ge
schaffener Einfall, der die
sen Brief ge
schrieben.
Aber in die
sem tro
stlo
sen Morgen, in die
sem Zimmer eines Verbannten wurde daraus eine
Offenbarung von Freundestreue und holder Frauengüte. Kü
sse die kleine
Goldelse für mich
auf Mund und Augen! . . .
|Und nun zu Dir, mein lieber Arthur! Von ganzem
Herzen habe ich mich über den im
Freundeskrei
se errungenen Erfolg Deines
Stückes gefreut. Dein letzter
längerer Brief, in dem Du mir das mittheilte
st,
schien mir auch die
schön
ste Frucht
die
ses Erfolges bereits zu enthalten: nämlich Lu
st zum Produciren. Dabei fällt mir
ein, daß mir mein
Onkel
erzählte, Du habe
st ihm eine
Geschichte von »
seltener Schönheit« (wirklich!) ge
schickt, er habe
sie aber leider aus Sittlichkeits-Gründen nicht veröffentlichen
können.
Du Ich habe
serner während meines
Frankfurter Aufenthalts Gelegenheit genommen, mit
dem
spiritus rector des
Frankfurter Theaters, Herrn
Schönfeld, von Dir zu
sprechen. Ich habe Dich, diplomati
sch, als einen Mann ge
schildert,
der die herrlich
sten Werke
schafft, um nichts in der Welt aber dazu zu bringen i
st,
die
selben herauszugeben,
so daß er ganz begierig wurde, etwas von Dir zu
sehen.
Will
st Du ihm etwas
schicken,
so bi
st Du
eingeführt; freilich i
st der genannte
Herr ein jämmerlicher
|Banause. An
Burckhard aber
solltest Du Dich ab
solut
wenden – noch nicht mit dem großen
Drama,
sondern vorer
st mit dem
Alkandi! Will
st Du,
so
schreibe ich von hier aus an ihn und erbitte mir
als einzige Gefälligkeit für die erwie
senen Dien
ste, daß er Dir
seine Aufmerk
samkeit
zuwendet; das kann er mir nicht ab
schlagen. An meinen
Onkel sollte
st Du baldmöglich
st etwas wieder
schicken; er
wün
scht nichts Be
sseres, als Dich drucken zu können. Die Novelle möchte ich gar gern mit Dir
schreiben; aber
für’s Er
ste habe ich keine Zeit; wenn Du al
so irgendeine Lu
st ha
st,
sie allein zu
machen,
so warte nicht mehr auf mich. Die Gründung der »
Freien Bühne« mit dem Streber
Wengraf an der Spitze mißfällt mir durchaus; an die Stelle des
Viceprä
sidenten hätte Niemand Anderer gehört als Du; und wäre ich in
Wien gewe
sen,
so würde ich auch dafür ge
sorgt haben, daß die
Sache
|so gekommen wäre. Offen ge
standen – wie die
Sache
sich jetzt ausnimmt, habe ich kein großes Zutrauen; es
sind zuviel kleine
per
sönliche Ehrgeize dabei, die befriedigt werden wollen, als daß für die Idee Platz
wäre. Du weißt ja: ein kleiner Ehrgeiz i
st immer
stärker als eine große Idee; und
wenn die Zwei
sich verbinden,
so wird die Letztere
××××××××↓stets↓ betrogen. Immerhin, wenn das
Unternehmen wenig
stens Dir eine größere Publicität bringt,
wenn es Dich der großen Menge zuführt,
so bin ich’s zufrieden. Vor Allem aber
schreibe,
schreibe und
schreibe und
schaffe Vorrath für den Tag, da man kommen wird,
Dich
suchen. Den dritten
Act möchte ich für mein Leben gern le
sen. Aber es i
st Dir
wohl zu um
ständlich, mir ihn über die hundert Meilen herüber zu
schicken? Wenn
Schwarzkopf sagt: zum Minde
sten eine
literarische Arbeit,
so bin
ich damit
nicht zufrieden; ich
stelle höhere An
sprüche an Dich; Du kann
st, wie ich
weiß, und darum
soll
st Du
|lebendige Dramen
schreiben und keine Buch-Theater
stücke. Ich pfeife auf den literari
schen Werth. In
Dir
steckt echtes Bühnenleben; und
so lange Du das nicht voll aus Dir
herausge
schaffen ha
st,
so lange ha
st Du kein Recht,
stillzu
stehen und auszuruhen.
Auch möchte ich mir die Sache an Deiner Stelle ander
seits nicht leicht machen durch
die Erfindung der Dramen nach den neuen Ge
setzen. Von
Sophokles bis
Sardou gibt es nur eine Art der dramati
schen Wirkung; und jede Wirkung die anders i
st,
i
st eben keine dramati
sche. Folg’ mir, gehe den geraden, von den großen Mei
stern
gezeigten Weg und
suche keine neuen Pfade, die nur in die Irre führen; wenn irgend
Einer auf die
sem Wege zum großen Erfolg zu gelangen die Kun
st hat – und auf all’
die
sen Seitenwegen gibt es das nicht, den großen Erfolg –
so bi
st Du es. Al
so falle
nicht in
|die Ver
suchungen des Guten, die vom Be
sten
ableiten. . . . .
Dein
e Gefühlsleben – ich bitte um einen kleinen Abriß
davon. Be
sonders über Deine Liebe (das banal
ste Wort i
st doch hier das wenig
st
verletzende). Wo i
st das
Mädel↓Fräulein↓ jetzt? Wo
sieh
st Du
sie und wie oft? Was macht die Eifer
sucht auf die Vergangenheit? Und i
st – aber ganz ehrlich! – noch
keine Abnahme der Leiden
schaft zu
spüren? – Was macht
Madame la Mondaine?
Sag’ mir, liebster Freund: kannst Du deine Somm Sommerpläne nicht so entwerfen, daß Du auf ein – zwei Wochen an’s Meer kommst?
Ist gar keine Möglichkeit vorhanden, daß ich Dich in ↓den↓
folgenden Monaten irgendwo sehen
kann?
Schreib’ mir ferner, mit wem Du jetzt verkehrst, wo Du Deine Abende zubringst, was
|die Freunde machen, wie es bei Dir zu Hause geht
und was es sonst Neues gibt?
Ich danke Dir tausendmal für all’ das Liebe, womit Du mich hier in meiner Einsamkeit
erfreut hast, und grüße Dich von ganzem Herzen
Dein treuer
Paul Goldmann.
Mit dem Französischen geht es mir elend; ich mache absolut keine Fortschritte.
Empfiehl’ mich den Deinen, grüße mir
Kapper und Deinen
Bruder.