und
Handelsblatt. Frankfurt a. M., 27. April 1891.
Redaction.
Telegramm-Adresse:
Lieber Freund!
Die
Nummer der »
Modernen
Rundschau«, die ich
soeben in die Hand bekomme, hat das Heimweh nach
Wien und nach Dir, das einige Tage lang
still
gewe
sen, mit einem mächtigen Stoß wieder aufgerüttelt. Und jetzt
sitze ich
da
, und
schaue Dein
Gedicht an, und ich habe das Gefühl, als
säßen in meinen
Herzen
siebenhundert Bohrwürmer.
Im Übrigen habe ich in den letzten Tagen ver
sucht, mich – nach gewohntem Recept – an
Arbeit zu betrinken. Mit Erfolg. Gelegenheit zur Thätigkeit i
st genug da. Und
so
sitze ich denn von früh bis Abend im Büreau und komme
g gar nicht zu mir
selb
st. Politik, Feuilleton, Blätter- und
Correcturen-Le
sen, Briefe
schreiben und Notizen redigiren –
|das
sind Alles ausgezeichnete Mittel gegen das
Heimweh. Man bekämpft das Unglück am Be
sten, wenn man
sich in die Lage
setzt, daß man
keine Zeit hat, unglücklich zu
sein. Anfang Mai
schon –
al
so 4 Wochen früher, als anfänglich be
stimmt –
soll ich nach
Brüssel gehen. Ich habe auf Herrn
Sonnemann, un
seren
Chefredacteur, unerwarteter Wei
se einen nicht ungün
stigen
Eindruck gemacht; was freilich wenig be
sagen will, da die
ser hypernervö
se und
-impre
ssioni
sti
sche
Herrseine Eindrücke täglich ändert. Er hat mir zuge
sagt, daß ich in
späte
stens zwei Jahren nach
Paris gehen
soll,
wenn ich mich dort (in
Brüssel)
bewähre
. Aber er
stens wird
so eine Zu
sage heut gemacht und
morgen verge
ssen; und dann zweifle ich mehr als je daran, daß ich mich in
Brüssel bewähren
|werde; die »
Frankfurter Zeitung« wird wirklich
im größten Styl geführt und
stellt ungeheure Anforderungen an die Kunft jedes
Einzelnen. Aber
selb
st wenn mir’s glückt, wartet meiner eine Zukunft ohne Hoffnung
und Aus
sicht. Ich habe
hier,
wie ich Dir
schon angedeutet, meine Familienverhältni
sse in ziemlich kriti
schem
Zu
stande angetroffen. Mein
Breslauer
Onkel, der bisher einen Theil
der La
sten für den Unterhalt meiner Familie getragen, gedenkt zu heirathen; mein
hie
siger
Onkel
wartet auch mit Sehn
sucht auf den Moment, wo er die für ihn kaum mehr erträgliche
Bürde der Mit
sorge für die Meinen ablegen kann; meine
Mutter und
Schwester sehnen
sich unaus
sprechlich
danach, mit ihrem Sohn bez. Bruder, der ihre rechtmäßige Stütze i
st, endlich
sich
|zu vereinigen. Und
so wird mir binnen Kurzem allein
die Pflicht zufallen, für die Meinen zu
sorgen – womit natürlich das Ein
sargen aller
individuellen Pläne und Wün
sche für alle Zeit verbunden i
st. Dann heißt es: Geld
verdienen um jeden Preis, und nichts als Geld verdienen. Al
so auch in die
ser
Beziehung habe ich in
Wien eine Art Paradies
verloren – jenen
Ort nämlich, wo
ich – trotz aller Sorgen – doch mein be
sseres Ich
sein durfte. Nun werde ich
unerbittlich auf die tiefere Stufe des bloßen Arbeitsthieres herabgedrückt. . . . .
Soviel von mir. Dein lieber Brief hat mich unendlich gefreut. Es ist recht sehr
freundschaftlich von Dir, daß Du mich versicherst, ich ginge Dir ab; es ist zwar
jedenfalls nicht wahr; aber Du weißt, daß es mir wohlthut, und darum ist es recht sehr freundschaftlich, daß Du es mir schreibst.
|Pardon für die Beschmutzung des vorigen Bogens; ich wollte
die Sache nicht noch einmal abschreiben!
Al
so weiter: die Ge
schichte mit Deinem Dich-Allein-Fühlen ver
stehe ich vollauf. Wie
ich immer
sagte: das
Mädel deckt
sich nur mit einer Seite Deines Ich, und nicht
mit Deiner be
sten. Die letztere bleibt ewig unbefriedigt bei Allem; und die
ses
Alleingefühl i
st nichts als ein Lebenszeichen Deines be
sseren Ich, ein Hunger
des
selben nach Befriedigung. Thu’ ihm den Gefallen, lieber Arthur; nimm’ Dir eine
große Aufgabe her und
stell’ Dich in deren Dien
st,
sei
sie kün
stleri
sch oder
wi
ssen
schaftlich. Ich habe er
st jetzt wieder den vollen Segen der großen Arbeit
empfunden. Es i
st ein großer Trieb zur
|Arbeit in
uns Allen (bei Vielen unbewußt, wie z. B. bei Dir); und wer den
ertödten ertödten will, der hat die
selben
schlimmen
Rückwirkungen zu tragen, wie
sie
sich überhaupt ein
stellen, wenn man eine Naturkraft
in
sich abtödten will. Glaub’ mir und
solge mir! So wird das
Mädel zu dem herab
sinken, was
sie in Deinem Leben einzig
sein
soll und kann: zur
Episode; und Du wir
st nicht von ihr verlangen, was
sie nimmer gewähren kann: daß
sie Dich als ganzen Men
schen befriedige! Das klingt wie
Moral, i
st aber nur Vernunft. . . . .
Daß Du
aufgeführt worden bi
st, erfahre ich zum er
sten Mal
aus Deinem Briefe. Ich le
se die
Wiener Blätter
nicht, weil mir die Lectüre zu weh thut. So i
st mir Alles entgangen. Al
so bitte
sehr:
schreib’ mir Einiges
|über Erfolg und Kritik; wenn
möglich
schicke mir eine oder die andere Be
sprechung; Du bekomm
st
sie bald zurück.
Jedenfalls herzlichen Glückwun
sch zum er
sten Schritt vor die Rampe. Ich hätte
freilich gewün
scht, daß Dich das
Burgtheater aus
der Taufe gehoben hätte; immerhin freut es mich, daß man gerade das »
Abenteuer seines Lebens« gewählt hat, welches ich für das
bühnenwirk
sam
ste Deiner Stücke halte. Lieber Gott, wie gern wäre ich dabei gewe
sen!
Wie hat
sich Dein
Vater
zu der Sache verhalten? Wie
steht’s mit Deinem großen
Stück? Ha
st Du etwas
P
sychologie hinausgeworfen und etwas Action hineingegeben? Und wann bekomme ich den
dritten
Act? . . . . .
Und jetzt im Allgemeinen: wie leb
st Du? Mit wem verkehr
st Du? Komm
st Du in’s
Griensteidl? Sieh
st Du
Loris,
|Beer-Hoffmann, die
Fanjung’s?
Mir gefallen die jungen Naturali
sten ganz und gar nicht mehr. Es wird wieder einmal
Ereigniß, was für
Wien so
t× typi
sch i
st: ein paar Streber bemächtigen
sich einer Idee, um daran in die
Höhe zu klettern. Die
ser
Joachim i
st – unter uns ge
sagt – nur ein gewöhnlicher
Faiseur; ich habe
hier mancherlei gehört, was mir
sehr den Ge
schmack an ihm verdorben hat.
Hildegard hat mir zweimal ge
schrieben –
sie ha ich habe
ihr keinmal geantwortet. Im zweiten Briefe kündigt
sie mir noch einen dritten an –
dann keinen mehr,
sie
sei gewohnt, nur dreimal zu bitten. Ich habe einen Haß gegen
die
ses
Weib und einen
unüberwindlichen Widerwillen (Fleißaufgabe für junge P
sychologen, das zu erklären).
|Vielleicht i
st es ihre Verlogenheit, ihre
Empfindungslo
sigkeit mir gegenüber, die
sich hinter
schönen Briefen verbirgt. Ich
ha
sse
sie
seit dem unver
schämt gut
styli
sirten Ab
schiedsbrief, den
sie mir ge
schrieben. Vielleicht i
st es auch meine . . . . hm, hm
. . . . Kurzum,
sie i
st mir zuwider, und ich werde
sie
wahr
scheinlich dreimal vergeblich bitten la
ssen. Sie
schrieb auch davon, daß
sie
sich
mit Dir in Verbindung
setzen wolle, wenn »die Sehn
sucht nach
Dir gar mir gar zu groß werde«. Du erinner
st Dich wohl, was Du mir diesbezüglich
ver
sprochen ha
st? . . . .
Und nun
sei vielmals gegrüßt, mein Alter! Laß’ es Dir wohl
sein im lieben, lieben,
lieben
Wien! Quäl’
|Dich nicht
so
sehr mit Deiner verfluchten
P
sychologie und
sei
subjectiv
so glücklich, als Du es objectiv bi
st.
Vor meiner Rei
se nach
Brüssel höre ich wohl noch etwas von Dir? Das müßte freilich bald
sein.
Dein treuer
Paul Goldmann.
Empfiehl’ mich den Deinen, und grüße
Kapper und
Loris, aber
nicht Beer-Hoffmann, weil mir der
Schurke nicht
schreibt. Wie macht
sich
Hirschfeld in der
»Sonn- und Montagszeitung«?