Verehrter lieber Herr Doktor,
mit ungemeiner Freude habe ich Ihren »
Professor
Bernhardi« empfangen, mit Leidenschaft ihn sofort gelesen und eigentlich noch
immer nicht aus der Hand gelegt, wiewohl ich schon längst bei der letzten Seite war
und wieder mitten darin und wieder am Ende. Aber es ist ja unsere engste Welt, die
sich hier auftut, weit freilich, unendlich weit, bis man den Himmel der grossen
seelischen Gerechtigkeit über ihr mit allen guten Sternen sieht. Ich weiss nicht,
ob
ich Ihnen etwas Liebes damit sage, aber meine Empfindung will doch aufrichtig sein:
|ich spürte im ersten Lesen gar nicht
mehr, dass dies ein Drama ist, ein Theaterstück, ein Kunstwerk, ich spürte nur
lebendigstes Leben, das mich ergriff wie ein fait divers der Zeitung, ein politischer Fall, spürte erst nur
menschliche Empörung, Freude, Hass und Liebe. Dann später erst kam das Besinnen, dass
dies Gestaltetes, Verwandeltes, Kunstwerk und nicht unmittelbares Leben ist. Und
noch immer habe ich noch keine Ruhe, um den
Bernhardi als Kunstwerk oder gar auf den
Theatererfolg hin betrachten zu können, ich bin zu passioniert davon, zu sehr mit
Sympathie und Zorn gegen und für seine so herrlich lebendigen, so atemnahen Menschen.
Nostra ipsissima res agitur – ich spür es zu sehr und
|kann gar nicht recht heraus, mir's zu
betrachten, so sehr bin ich darin. Jedesfalls: Sie haben nie eine grössere Scene
geschrieben als die im vierten Akt zwischen dem Geistlichen und Bernhardi, es ist
die
Grossinquisitorscene Ihres dramatischen Werks, ganz weit blickend, hart und doch voll
Güte, gross in jedem, im menschlichen, im künstlerischen Sinn. Nie waren Ihre
Menschen lebendiger, nie Sie selbst dichterisch so weit, das spüre ich mit Beglückung
und – verzeihen Sie! – mit Stolz, denn man darf doch niemandem versagen, auf die
stolz zu sein, die man liebt.
Dramaturgisch den
Bernhardi zu betrachten,
vermag ich noch nicht, ich sagte es ja, er ist noch zu heiß in mir. Aber ich weiß,
solchen letzten menschlichen Entäußerungen kann nie
|die Bewunderung fehlen. Ich weiß Ihr
Werk wird wirken (im
banalen bühnentechnischen Sinn und um wie viel mehr in höheren!), ich werde
jedesfalls in
Berlin bei der Première sein, sobald ich das Datums erfahre und eine
Einteilung zu treffen vermag. Denn ich möchte nicht fehlen, wenn ein solches Werk
aus
Buch zum Wort und vom Wort zur lebendigen Wirkung wird.
Viele Grüsse Ihrer verehrten Frau
Gemahlin! Innigst getreu und mit frohem Glückwunsch
Ihr
Stefan Zweig