Felix Salten an Arthur Schnitzler, [18.? 10. 1906]

|Donnerstag.

Lieber,

Ein Kapitel Ludassy. Es ist langweilig und lästig, aber ich muß ein Stückchen Vorgeschichte erwähnen. Wie ich mit ihm auseinanderkam, wissen Sie ja. Es war der Hugo Ganz-Prozess gewesen. Die »Concordia« ereiferte sich gegen Kanner, den ich verteidigte. In der Versammlung saß Ludaßy mit mir an einem Tisch. Ich sagte in meiner Rede, Ludaßy sei als Chef auch heftig gewesen, ohne dass die Concordia u. s. w. Als ich geendigt hatte, zischelte mir Ludaßy, der ganz blaß war, zu: »Das war geschmacklos und undankbar. . « Ich: »Wofür bin ich Ihnen denn Dank schuldig?« Er: »Ich weiß auch Sachen von Ihnen. . . « Worauf ich, der ich einerseits fand, es sei vielleicht zu viel von mir gewesen, wenn ich bei Gelegenheit Kanners auf Ludaßy’s verjährte Brotherren-Grobheit anspielte, andrerseits über die »Sachen«, die er wißen wollte, aufgebracht war, ihm sagte: (auch aus versammlungstechnischen Gründen): »Ich werde jetzt aussprechen, dass diese Reminiszenz keine Spitze gegen Sie enthielt, und dann werden Sie sofort erklären, was Sie von mir wißen.« Er antwortete: »Abgemacht.« Ich tat nun meinerseits, wie versprochen. Wie ich ihn aber aufforderte, ja bevor ich ihn noch auffordern konnte, nunmehr sein Wort einzulösen, reichte er mir die Hand, mit den Worten: »Sei’n wir wieder gut. . « Ich schlug seine Hand aus, und begehrte, die »Sachen« zu wißen. Er blieb dabei: »Laßen wir’s gut sein.« Da sagte ich ihm, in Erinnerung an manche ähnliche Büberei: »Das ist echt Ihre Art. Wenn Sie jetzt nicht sofort mit |der Sprache herausrücken, sind Sie ein feiger Lump. . . « oder Kerl . .  oder Schuft, oder so was ähnliches. Ludaßy stand vom Tisch auf und seither grüßen wir uns nicht mehr.
Sie erinnern sich dieser abscheulichen Geschichte gewiß; erinnern sich ihrer um so eher, als ich sie gleich damals, und hernach noch oft bei Ihnen zum Besten gab, wenn wir über Freund Ludaßy und sein Verhältnis zu mir, zu Ihnen und zu uns Allen sprachen.
Diese Geschichte, als die Entstehungsursache seiner Feindschaft gegen mich, habe ich vor dem Ehrenrat zu Protokoll gegeben. Herr Ludaßy leugnet diesen Vorfall, bezichtigt mich der Unwahrheit, und erhebt Ehrenbeleidigungsklage gegen mich, weil ich ihn durch Erzählung dieser von mir erlogenen Episode vor dem Ehrenrat dem Gespött preisgegeben habe. Die Verhandlung findet Montag, Bezirksgericht Josefstadt, Alserstraße statt. Herr Ludaßy will damit der Schwurgerichtsverhandlung gegen sich in listiger Weise präludiren.
Es kommt nun für mich darauf an, zu beweisen, dass ich diesen Vorfall gleich damals, nach der Kanner-Versammlung, dritten Personen erzählt habe. Ich weiß nun, dass ich Ihnen gleich damals ausführlich davon Mitteilung machte, um Sie in Kenntnis zu setzen, dass ich mit Ludaßy verfeindet sei. Weiß, dass ich Ihnen im Sommer 1904 in Pötzleinsdorf, in der Starkfriedgaße, wo ich damals wohnte, die Sache wieder erzählte, worauf Sie mir Ludaßy’s Schmutzwort über Herzl, das er kurz nach Herzl’s Tode geäußert hatte, gleichsam zur Illustrirung mitteilten.
Nun bitte ich Sie, mir das zu bezeugen. Sie sind der Einzige, dem ich so oft von der Sache sprach. Es ist wichtig, dass mir der Wahrheit gemäß bezeugt wird, ich habe diesen Vorfall lange vor dem Ehrenratsverfahren, oftmals und immer in der|selben Form erzählt, und immer als die letzte Ursache der Entzweiung bezeichnet.
Die Äußerung über Herzl wird in der Montag-Verhandlung nicht zur Sprache kommmen. Ich hoffe, Sie zögern nicht, mir durch die einfache Constatirung dieser Tatsache in meinem mir aufgedrungenen Abwehrkampf gegen eine der bissigsten Canaillen, die es gibt, beizustehen; in einem Kampf, in dem ich ohnehin zu sehr allein stehe. Bitte geben Sie mir pneumatisch Nachricht, ob Sie sich dieser Dinge, namentlich des Sommers 1904, ec. erinnern, und ob ich Sie als Zeugen nennen darf. Das Wesentliche ist, ob Sie – wie ich annehme – Sich besinnen, diese Geschichte lange vor dem Dezember vor. Jahres und oft vorher von mir gehört zu haben.
herzlichst Ihr
 Salten
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