Lieber, hier sende ich Ihnen das
Feuilleton – das einzige, das
bisher kam – aus der »
B. Z.« Montag will ich
nochmals
über die Russen
schreiben, und schicke es Ihnen dann gleich zu. Dass Sie so verstimmt von hier weggingen, hat auch auf mich
deprimirend gewirkt. Dieser »
Ruf des Lebens«
schien mir so unbezweifelbar, und ist es mir noch, dass seine Aufnahme für mich eine
symptomatische Bedeutung annahm.
Es ist ein Glück, dass Sie stark genug sind, um sich kommende Produktion durch
solche, an sich keineswegs wichtige Zwischenfälle, stören zu laßen. Darauf rechne
ich
sehr, und hoffe, bald von Ihnen zu hören, dass Sie arbeiten. Schlimm wäre es ja nur,
wenn Sie, – mehr aus künstlerischer Hypochondrie als aus Selbstkritik – anfangen
würden, in Ihrer Abschätzung dieses
Stückes wankend zu werden. Da kann man freilich für eine Weile den Boden
unter sich schwinden fühlen. Aber es wäre, besonders in diesem Falle, das Falscheste!
Sie müssen unbedingt dabei bleiben, dass Ihr
Stück im Recht ist, und dass die Zufälligkeit eines Abends nichts
beweist. Dass
Harden so geschrieben hat, ist im ersten
Moment für Ihr Empfinden vielleicht sehr verletzend gewesen; tut aber wirklich
nichts. Hätte er die Sache ausführlich und mit der ganzen Kraft seiner Dialektik
zerrupft und zergliedert, dann wäre es schlimmer gewesen, denn es hätte
gewirkt. So aber hat hier, – und wol überall – jeder
nur die Achsel gezuckt und gesagt: das glaubt
Harden selber nicht. Die Politik war gar zu sichtbar, als dass ein
kritischer Einfluß erfolgen könnte.
Nach und nach kommt meine
Wohnung in Ordnung, und ich kann eine menschliche Existenz beginnen. Könnte
ich jetzt wieder von hier auswandern, dann wäre ich schon imstande, ein nettes Buch
über
Berlin zu schreiben. Aber, ich hoffe, dass
ich hier nicht sterben muß, und doch einmal werde reden können. Nach
Wien sehne ich mich aber auch nicht. Dazu liegt mir die
Schweinerei der letzten Affairen noch zu sehr im Magen. Haben Sie die letzte Schurkerei des dramatischen Dichters
Ludassy Jemandem erzählt? Wenn nicht, dann tun Sie’s doch, bitte. Es
ist das Empörendste, dass so ein niederes
|durch und durch verseuchtes
Luder einen monatelang zwischen seinen Fingern halten darf; Na, Sie haben mich einmal
einen »guten Hasser« genannt, – nicht ganz mit Recht, denn ich habe mich bisher noch
nie an Jemandem gerächt. Aber diesmal will ich mir den Titel verdienen. So oder so.
Und wenn nur der Prozess endlich anberaumt wird – ich hab mir’s genau überlegt – ich
tue nichts, um ihn hinauszuschieben, dann will ich dafür sorgen, dass diesmal der
angeklagte wirklich Angeklagter sein soll.
Übrigens, laßen wir das. Es gibt, gottseidank, bessere Menschen. Z. B.
Beer-Hofmann, nicht wahr? Wie finden Sie es,
dass er mir bis heute noch keine Zeile schrieb, keine Karte, nichts! Dabei bin ich
doch nicht einfach nur verreist, bin in einer Lebensepoche, in der es nicht ganz
unwichtig ist, die Festigkeit gewisser Beziehungen zu spüren, bin in einer Situation,
in der es
vielleicht sogar tröstlich,
jedenfalls aber animirend sein kann, von Freunden was
zu hören. Dabei hab
ich, mitten im
Übersiedlungsrummel, im Fieber der neuen Stellung, in der Unrast des Hotelwohnens
an
B-H. geschrieben, als ich sein
Mozart Feuilleton las (auch dazu hatte ich Zeit
gefunden)
, dabei hatte ich noch ein
zweitesmal an ihn eine Karte geschickt. Dabei hat
Otti an
Frau
Beer-Hofmann geschrieben. Und nichts. Nett, nicht wahr?, wenn dann die
»besseren Menschen«
so aussehen. Ich hoffe, dass Sie
mich so sehr arg nicht missverstehen, und für Empfindlichkeit oder gar für
Beleidigtsein nehmen, was nur ein ganz klares Abrechnen ist. Bei diesem Abrechnen
sind
alle mildernden Umstände,
alle psychologischen Möglichkeiten nachfühlenden Begreifens schon in
Anschlag gebracht, mit dem Resultat: man kann
immer
eine
Karte schreiben!
eine Zeile! Ich meine, dieses ist jenseits von Empfindlichkeit und
Beleidigtsein. Es ist ganz, ganz was anderes! Das alles unter uns und im Vertrauen.
Ich muß mich über diese Sache aussprechen, hab es gestern an
Hofmannsthal gethan, und that es heute an Sie. Denn so ganz
einfach und wortlos möchte ich diese neueste Erfahrung nicht »zu den übrigen legen.«
Will aber keine Diskussion mit
B-H., weil die
Sache absolut nicht diskutirbar und für mich erledigt ist. Will auch nicht, dass
dritte Personen drum wissen, weil . . . weil ich mich schäme!
Wenn die Kur, die ich gebrauche (Kohlensäure Bäder und Vibrations-Massage) vorbei
ist, wenn es wirklich Frühling geworden, fange ich gleich mit einer Arbeit an. Das
ist so gut an
Berlin, dass man hier nur am
Arbeiten Freude hat, an nichts anderem. Nicht am Spazierengehen, nicht an
Landparthien, nicht an gemütlichem Schwatz und nicht an irgend welchen anderen
freundlichen aber zeitraubenden Dingen. Man muß immer arbeiten, den ganzen Tag
arbeiten, wenn man sich wol fühlen will.
|Eines ist mir sehr erfreulich
hier, wenns nur so bleibt: dass die
Kinder sich so wol fühlen, und so brav essen.
Annerl spricht jetzt schon so viel wie der
Paul, und ist so lieb, dass sich’s kaum sagen
läßt. Neulich waren wir zum ersten Mal im
Zoo.
Und im Nilpferdhaus waren beide
Kinder sprachlos vor Staunen. Da fing das eine Nilpferd
laut zu schnauben und zu wiehern an, und
Paul
war darüber so entsetzt, dass er in Thränen ausbrach,
Annerl aber rief dem Nilpferd zu: »Sei still, Nilpferd, sonst
muß
Pauli weinen!« Und
Pauli erzählte zu Hause der
Grossmama, das Nilpferd habe »mit dem Mund
ein Gewitter gemacht!« Daran ließe sich etwa ein verallgemeinerndes Aphorisma
knüpfen, was ich aber unterlaße.
Viele herzliche Grüße von uns zu Ihnen.
Ihr
Salten