Arthur Schnitzler an Felix Salten, 16. 5. 1906

|Dr. Arthur Schnitzler 16. Mai 906
lieber, beim Nachhausekommen aus Theater und Hotel hab ich Ihren kurzen aber klingenden Brief vorgefunden und mich sehr damit gefreut. Es mußte für mich freilich nicht gerade der Eins. Weg kommen, um mich Ihr Fernsein schmerzlich empfinden zu lassen. Der Abend gestern ist überraschend gut ausgefallen: jedenfalls war er äußerlich der stärkste Erfolg meiner Theaterlaufbahn. Völlige Stummheit nach dem ersten Akt, wahre »Stürme« nach 2., 3., gedämpft nach dem 4, wieder sehr stark |nach dem 5. Akt. Bassermann anfangs etwas bläßlich, am Schluss unvergleichlich. Reicher hat mich in gewissem Sinne angenehm enttäuscht. Im ganzen war er wohl unerträglich genug; aber die Leistung als ganzes war von einer gewissen Geschlossenheit, so dass man einen mehr menschlichen als künstlerischen Widerwillen gegen die Figur kriegte. – Seltsam sind doch Dramenschicksale. Eine solche Aufnahme in Berlin vor 2 ½ Jahren – und Ihre Profezeihung wäre erfüllt gewesen.
– Den Rehberg hab ich in der Hinterbrühl gelesen, wo wir höchst angenehme acht Tage im Hotel Radetzky |gewohnt und tennis gespielt haben (Einmal mit Hugo, den ich im single set 6:4 schlug!) – Es ist ein glänzendes Ding, und es gibt vielleicht im ganzen darin nur 3–5 Stellen, bei denen mir im Stil irgend was wie ein falscher Ton erscheint. Doch möcht ichs, nach einem Zwischenraum von ein paar Wochen, noch einmal lesen, um mich selber nachzuprüfen. Hingegen sage ich schon heute mit Entschiedenheit, dass ich den vorletzten Absatz fortwünschte. Hier werden Zusammenhänge mit einer meinen Geschmack störenden Deutlichkeit aufgezeigt; Zusammenhänge, die im |Gang der Geschichte  für jeden ersichtlich werden, der in anständiger Weise zu lesen versteht, und mir erschien daher dieser ganze Absatz wie eine Reverenz vor den oberflächlichen, die ihnen nicht gebührt. Ich habe mich natürlich auch gefragt, ob dieser Rückblick vielleicht als Ergänzung zum Charakterbild des Erzählers Ihnen unerläßlich scheinen mochte – doch find ich dass die etwas neuen Züge höchstens im Sinne philosophischer Altersveränderungen zu deuten wären, die mit dem köstlich-fertigen Chronik-Rehberg, den Sie gestalteten, nichts weiter zu thun haben. Auch wirkt |die Stelle, wo Rehberg zum Selbstankläger wird »Und dann hat mich dies Treiben so weit von meinem Worte fortgerissen etc« keineswegs bezwingend wahr. Weder subjectiv noch objektiv. – Ich würde daher in der Buchausgabe von dem Absatz nur die ersten Zeilen stehen lassen bei »als der Kaiser gegen ihn gewesen« – oder nicht einmal die – und ruhig auf den letzten Absatz übergehen. –
Ihr Berliner Feuilleton in der Zeit hab ich mit Ergriffenheit gelesen. Sind |Sie nun schon an der Herzl-Biographie? Und welches sind die größern Sachen, die Sie componiren? – Die Wartburgerreise war ein Ausflug zum Vergnügen oder sonst was? – Wie stehts mit Spanien? – Unser Kinderarzt Dr Pollak theilt mir mit, dss Heringsdorf u besonders Swinemünde enorm gelsengeplagt sind.1 Erkundg Sie sich doch gut, eh Sie miethen. –
Eben bekam ich von Ludassy eine Gratul-Karte zum gestrigen Erfolg. Seine Frau hat eben eine schwere Lungenentzündg durchgemacht, und ich mussie nächstens besuchen. So wär es mir sehr lieb, |wenn Sie mir rasch nur mit 2 Worten sagten, wie nun eigentlich Ihre Prozesssache steht? –
Frl Erl ist ab nach Dresden (vorläufg ohne bestimmtes Engagement). Tennis regelmäßig Kaufmann, manchmal Speidels (er kam erst jüngst aus Griechenland zurück). –
Richard war einmal bei uns in der Hinterbrühl, mit Paula u Mirjamsehr erfüllt von seinem Fünfabend Stück. Erfülltsein ist doch der neidenswertheste Zustand von allen; – wenn nicht die Verpflichtungsgefühle sich einstellen – die oft trügerisch sind, wenn sie sich auf uns selbst, und immer wenn sie sich auf die Welt (sowohl »Mit« als »Nach«) |beziehen. Dies ist eine Wahrheit. Sollte es aber nicht wahrere Wahrheiten geben?
– Wir haben ein neues Fräulein, angenehm jüdisch, Anna Loew betitelt, und wegen einer Halsentzündg in Hinterbrühl zurückgeblieben. Sie hat einen Bruder, Johann Loew, Arbeiterführer, und so bekam ich plötzlich aus Brüssel eine, resp. zwei waterlohende Karten, von Johann Loew und Lotte Pohl-Glas. Wer die Zusammenhänge begreift, lebt ewig.
Dies wünscht Ihnen, nebst vielen herzlichen Güßen für Sie und die Ihren von uns allen.
Ihr
 Arthur
Richard hat zwei schöne Gedichte geschrieben, eins »Der einsame Weg« – ein andres »Altern«, 1 an mich, 1 an Kerr.
  1. 1 Er war in Sw.
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