Felix Salten an Arthur Schnitzler, 1. 5. 1906

|Berlin, 1. Mai 06.
Lieber, die Radpartie, ja, wenn ich heute nur wüßte, wie und was in drei, vier Wochen sein wird. Ich fürchte, die Radpartie wird sich nicht machen laßen. Vorläufig nämlich ist es beschloßen, dass ich am 20. od. 21. nach Madrid fahre, zur Königshochzeit. Da käme ich erst am 10. Juni wieder zurück, weil ich natürlich Toledo, Sevilla, Cadiz, Tanger, Gibraltar, Granada mitnehme, und der Weg zurück über Lissabon führe. Da gäbe es dann – ausser dem contractlichen Urlaub – keine Absenz mehr. Und die vier Wochen im Juli will ich still an einem Fleck sitzen, Tennis spielen und arbeiten. (Ich bin im Begriff, die Herzl-Biographie zu übernehmen, was ich mir als eine Art von Denkmal-Portrait sehr schön denke.) Mit dem Seebad ist das so: wir müßen doch im Juni schon aufs Land, der Kinder wegen. Otti und die Kinder gehen Juni, Juli, August, bis Mitte September an die See. Da wird eine Wohnung genommen und Wirtschaft geführt. Möglichst nahe, damit ich über Sonntag einmal hin, Otti manchmal zu mir in die Stadt kommen kann. Also Bansin, Swinemünde oder Heringsdorf. Deshalb kann ich dann für den Juli nicht alles nach Skodsborg verlegen. Es ist einfach eine Sache des Geldes. Und bin ich selbst frei, möchte ich doch bei den Kindern sein.
Wenn sich die spanische Reise nun doch nicht macht, schreibe ich Ihnen rechtzeitig wegen der Radtour.
Mein Brief an Hugo mit der starken Verstimmung gegen Berlin datirt weit zurück, war im März noch geschrieben, während er in Italien war. Seither hat sich die Sache genau um die Frühlingssonne verbessert. Ich schreibe selten, weil ich mit organisatorischen Arbeiten beschäftigt bin, weil ich productiv einiges componire, und die Stadt noch zu wenig als publizistische Anregung fühle. Es würden Reisebriefe werden, und das wäre falsch. Ich bin froh, dass mich meine Selbstcontrolle |vor solchen Verfehlungen ebenso wie vor allzufrühen, taktlosen Vertraulichkeiten mit dieser Stadt bewahrt.
Wie Herr Wenzel aufgenommen wird, bin ich neugierig. Es ist das erstemal, dass ich eine Novelle von mir in der Correctur ohne Desperation und tiefe Niedergeschlagenheit lesen konnte.
Mein Verkehr hier? Ab und zu Heimann, Jakobsohn. Dann Rittner. Und Fischers, die mir aus der Nähe immer sympathischer werden. Selten Reinhardt und seine Leute, manchmal Bie (sehr lieb und fein) und Poppenberg. Zwei, drei lange Gespräche mit Kerr; fast garnicht mehr Harden. Dazwischen die Gesellschaften, denen sich nicht ausweichen läßt. Bei meinem Schwager Musikleute: Safonoff, Godowski, Nikisch, Kreisler. Hie und da eine ärgerliche, manchmal eine nette Stunde mit Frau Fulda. Das ist alles; ist genug, ist – gelegentlich sogar zu viel. Ich will lieber lesen, will jetzt viel, sehr viel lesen; lerne ein bischen spanisch und gehe mit Otti im Thiergarten spazieren, wo es – unglaublich aber wahr – gerade jetzt einfach märchenhaft schön ist.
Otti läßt Frau Olga um Entschuldigung bitten, weil sie ihren lieben Brief noch nicht beantworten konnte. Sie hat sich erst die linke Hand verbrannt, und kaum die halbwegs gut war, wieder die rechte verbrüht. Da wir nicht hoffen, dass sie jetzt wieder von vorne anfängt, rechnen wir darauf, dass sie bald wieder den Gebrauch all ihrer Gliedmaßen erlangt. Die Kinder sind reizend, und wir alle grüßen Sie alle aufs Herzlichste.
Ihr
Salten
NB. Heute sahen wir Ludaßy in der Friedrichstraße. Wir haben sehr gestaunt, weil wir dachten, er sei – wie lange schon! – gestorben.
Dr Ginsberg schrieb mir sehr entzückt über die freundl. Aufnahme bei Ihnen. Vielen Dank!
    Bildrechte © University Library, Cambridge