Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 18. 4. [1900]

Berlin, 18. April.

Mein lieber Freund,

Ich habe mich sehr mit Deinem lieben Briefe gefreut. Lange habe ich ihn erwartet und wußte mir gar nicht zu erklären, warum ich so ganz ohne Nachricht blieb. Ich war zum Speidel-Banket geladen und hätte darum sehr gut nach Wien kommen können, und die N. Fr. Pr. hätte mir überdies die Reise bezahlen müssen. Aber wenn ich nach Wien komme, so komme ich Deinetwegen. Und da ich so gar nichts von Dir hörte,  . . . . . . . .  Aber lassen wir das! Mir hat meine Hypochondrie wieder einmal einen Streich gespielt, und es thut mir nun doppelt leid, um die schönen Ostertage gekommen zu sein, |die ich mit Dir hätte verleben können.
Was Deine Furcht vor dem Altwerden anlangt, – nein, wirklich, mit 38 Jahren ist man noch nicht alt. Und wenn Du Dir das früher einmal als das Ende aller Dinge vorgestellt hast, so hast Du eben früher das Leben nicht gekannt, wie man ja so Manches sich unrichtig vorstellt, wenn man gar zu jung ist. Früher haben Dich die Frauen geliebt, weil Du 20 Jahre alt warst; jetzt haben sie viel mehr Gründe, Dich zu lieben, und dabei bist Du immer noch jung genug, daß es ihnen Vergnügen macht. Die Geliebten, die Dich seinerzeit durch den Hinweis beruhigt haben, daß ihre anderen Anbeter Ende der Dreißig seien, haben diesen Anderen wahrscheinlich mit Hinweis auf Dich gesagt: »Das ist |ein unreifer Junge. Lieben aber kann man nur einen wirklichen Mann.« Wie alt, glaubst Du, war Don Juan? Jedenfalls nicht zwanzig Jahre. Meiner Ansicht nach hatte er zwischen 35 und 40, wenn nicht darüber . . . . . . .
Auf Deine Novelle freue ich mich sehr. Was wird eigentlich aus der Beatrice? Wann beginnen die Proben?
Wie beneide ich Dich um Dein Arbeiten! Ich selbst bringe es nicht zu Stande. Ich habe jetzt, nach Wochen angespanntester Arbeit, auch wieder Wochen fast vollkommener Ruhe. Das wäre die Zeit, etwas zu schaffen. Ich zermartere mir den Kopf, will heut ein Drama schreiben, morgen eine Novelle. Aber Alles |zerrinnt wieder im Nebel. Und ich vergeude meine Zeit mit Besuchen, mit überflüssiger Reporter-Arbeit und Anderem, wie ja überhaupt der Journalismus eine große Zeitvertrödelung ist. Dabei habe ich das Gefühl, es steckt doch noch etwas mehr in mir. Aber ich weiß nicht, was ich will. Ich würde Denjengen wie einen Erlöser begrüßen, der mir einen Rath geben, mich auf eine größere Arbeit hinweisen würde, die meinen Fähigkeiten entspräche. Aber, ich weiß, diesen Rath kann man sich nur selbst geben. Und bei mir finde ich keinen. Ich habe mich selten innerlich so elend gefühlt, mich selten so verachtet. Große Prätentionen, und innerlich |Alles leer, leer! Meine einzige Leistung ist, daß ich täglich fetter werde . . . .
Im Sommer werde ich wohl meinen Urlaub bekommen. Aber ich werde ihn in Berlin verbringen müssen, weil ich diesmal keine fünf Mark übrig haben werde, um zu reisen. Der Hausstand, den ich hier mit meiner Mutter führe, nimmt fast mein ganzes Gehalt in Anspruch. Der Rest geht für Schulden-Abzahlungen aller Art drauf; und Nebenverdienst ist ausgeschlossen. Nach Paris fahre ich unter diesen Umständen natürlich nicht.
|Kennst Du Flauberts Briefe? Wenn nicht, so mußt Du sie gleich lesen, und zwar gleich den dritten und vierten Band; die Jugendbriefe in den ersten beiden sind nicht interessant. Ich habe sie jetzt wieder vorgeholt. Jeder Mensch, der schreibt, findet darin Trost, Befreiung und Belehrung. Auf dem speciell schriftstellerischen Gebiete geben sie Einem fasso viel, wie Goethes Gespräche; nur sind sie nicht so universell menschlich, wie diese. Flaubert ist eben doch kein Mensch, sondern nur ein Franzose . . . .
Von Gusti weiß ich Dir nichts |zu berichten. Das eigentliche Leben der beiden Mädels bleibt mir verschlossen. Trotz aller Herzlichkeit der Beziehungen besteht zwischen uns doch keine rechte Sympathie, und innerlich stehen wir uns fremd gegenüber.
Was macht Richard? Arbeitet er an seinem Drama? Und was wird er im Sommer machen? Wirst Du mit ihm zusammen sein?
Gestern sprach ich wieder einmal Kerr nach langer Pause. Er scheint eine große Liebe zu haben. Ich mag ihn sehr gern trotz mancher Geschmack-Defekte; aber er schließt sich mir nicht auf. |Und wir bleiben fremd.
Wann sehe ich Dich wieder? Wann kommst Du nach Berlin?
Viele treue Grüße!
Dein
Paul Goldmann
Meine Mutter dankt für Deine Grüße und erwidert sie herzlichst.
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