Richard Beer-Hofmann an Arthur Schnitzler, 22. 2. 1900

|Sanremo 22/II 1900
Mein lieber Arthur! »Beneiden«! Mein Gott! Wissen Sie was »beneiden« heißt? »Das Andere nicht wissen.« Im übrigen, dieser demonstrative »Süden« mit »Nachtkastel-Palmen«, der um 5 Uhr Abends die Maske abwirft, ist recht traurig. Überhaupt versagt Italien zum erstenmal bei mir; vielleicht wirds in Florenz besser. Ich vertrage es offenbar nicht irgendwohin direkt des schönen Wetters halber zu gehen. Sofort fang ich an aufs Wetter aufzupassen, bemerke wenn es blufft, und finde schließlich daß es, wie alle Dinge wenn man ihnen auf die Finger sieht, auch »in seinem Fach ein Esel« ist, und gar nicht weiß wie schönes Wetter eigentlich sein soll. Man darf gar nichts genau ansehen wollen; |Vielleicht heisst das große Geheimniß eines erträglichen Daseins: Oberflächlichkeit. Unsereiner, der einmal zu graben begonnen hat, kann freilich nicht mehr zurück; aber vielleicht geht es an so tief zu graben bis man auf der anderen Seite wieder herauskommt; das ist dann unsere »Oberflächlichkeit«. Der nächste Weg ist das nicht! »Pollak wo hast Du Dein linkes Ohr?«
Meine Frau hat sich bisher nicht erholt, ich habe hier einen Husten bekommen, die Einzige die sich wol fühlt ist Mirjam; bis sie größer sein wird, wirds schon besser werden. Frau Professor Döppler habe ich hier getroffen und mir von ihr vortratschen lassen, was sie amüsant und eifrig hat; Ideenassociation: Elly H. hat sich richtig, wie ich herzloser Weise schon vorher zu Meyer sagte, mit ihrer Krankheit eine |Position bei uns gemacht; man kann nicht sagen daß es mit wenig Einsatz geschehen ist. Wenn ihr Mann jetzt noch kein Geld verdienen würde, wäre er ein Dichter – für uns – nur um nicht roh zu sein. Frau Professor D. hat ihn – sie findet ihn überschätzt – mit dem Zeichner Allers verglichen; wer von H.s Freunden ihr das beigebracht haben mag? Auf ihrem eigenen Mist ist das nicht gewachsen; ich glaube übrigens sie hat überhaupt keinen eigenen Mist. Daß Sie sich die Lektüre von Georgs Tod für einen Frühlingstag auf dem Land aufheben ist sicher für das Buch gut; ob auch für den Tag? Wenn Sie mir durchaus das Buch des »dampfenden Jünglings« schicken wollen, schicken Sie es nach Florenz, poste |restante. Nicht vielleicht deshalb weil ich hier bin, sondern weil ich am 27. dort sein will.
Ich arbeite natürlich nichts. Von Hugo habe ich keinerlei Nachricht. An Brandes habe ich heute mein Buch geschickt Ich glaube nicht, daß er was damit anfangen kann. Auch Robert Hirschfeld der mich vor meiner Abreise becomplimentirte scheint keine Ahnung zu haben was der Inhalt des Buches ist. Was macht Gustav; während ich seinen Vornamen niederschreibe werde ich so verlegen, als sähe ich sein ungläubiges Lächeln zu dieser Intimität. Grüßen Sie ihn, dann à discretion die Übrigen, aber in gemessenen Distanzen.
Wie ich meinen Brief überlese, finde ich daß er »witzig« ist. »Gott sei Dank er wird witzig«! Aber der Hofmarschall Kalb, der das sagt weiß nicht daß das für den Ferdinand ein schlechtes Symptom ist. Für mich auch.
Von HerzenIhr
Richard
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