Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour. Paris, 10. December.
Mein lieber Freund,
Endlich ein freier Augenblick! Ich habe eine Reihe furchtbar aufgeregter Tage hinter
mir. Die Ge
schichte fing an mit einem
Artikel von
Millevoye, der mich mit Koth bewarf. Ich lege ihn Dir bei, damit Du
sieh
st,
in welchen Ton die Polemik in die
sen heißen Tagen
angenommen hat und was man
sich Alles
sagen la
ssen muß, wenn man ruhig und be
scheiden
für
seine Überzeugung eintritt. Sonntag kam der
Einbruch, von dem Du wohl in den Blättern gele
sen ha
st. Man hat mir
meine Briefe ge
stohlen,
|Briefe von meiner Familie
und von Dir. Wahr
scheinlich war der Einbruch eine verkleidete Haus
suchung. Irgend ein
officieller Dummkopf hat vielleicht geglaubt, daß
×↓e↓r bei mir Documente zum Fall
Dreyfus finden könnte oder
doc documentari
sche Bewei
se
für die Exi
stenz des famo
sen »Syndicats« (das nie exi
stirt hat). Tagelang hat
sich hier die Pre
sse
mit mir be
schäftigt, und obwohl kein bö
ses Wort gegen mich gefallen i
st,
so i
st es
doch unheimlich, als
Deutscher
in
so leiden
schaftlich bewegter Zeit im Mittelpunkt des Intere
sses zu
stehen.
|Endlich al
so kann ich ein wenig aufathmen, und
endlich kann ich Dir Deinen
so lieben und
schönen Brief beantworten. Ich habe mich
von Herzen über Deine
Prager
Erfolge gefreut. Es i
st gut, daß das Alles noch vor die Zeit des Aufruhrs gefallen i
st,
son
st wäre
es für Dich auch recht ungemüthlich in
Prag geworden. Mich er
staunt nur, daß Du Dich
son
st nicht wohler dort gefühlt ha
st.
Denn es
soll eine
sehr
schöne
Stadt sein.
Für Deinen Bericht über das kleine
Fräulein danke ich Dir von ganzem Herzen. Er hat mich
sehr nachdenklich ge
stimmt.
Deine Beobachtungen
|sind zweifelsohne richtig,
Deine
Schlusse Schlü
sse nicht weniger. Es wäre vielleicht
sehr unklug von mir, wenn ich
irgend etwas thäte. Ich werde auch wahr
scheinlich nichts thun. Aber ander
seits übt
gerade die
se halbe Kindlichkeit auf mich
e× einen ungeheuren Reiz aus. Du mein
st, das
sei
Perversion. Ich weiß es nicht, aber der Reiz be
steht. Und er wird
hundertfach ver
stärkt durch das
Pariser Leben.
Wenn man
so Jahre lang mitten unter Raffinement und Pro
stitution gelebt hat (wie es das Loos des Fremden in
Paris i
st),
so bekommt man eine unendliche Sehn
sucht nach
|Einfachheit und Reinheit. Und wenn man außerdem noch
zum poeti
schen Träumen
aufgelegt ist, so angelegt i
st,
so liebt man
die unfertigen Dinge. Die Poe
sie be
steht darin, daß man den Dingen etwas hinzufügt.
Das i
st der Reiz des halben Kindes für den Träumer, und darum bleibt
×× ihm die fertige Frau gleichgiltig. Nebenbei ge
sagt übrigens: Welche Frau i
st
überhaupt fertig?
Bitte, liebster Freund, schreib’ mir bald. In dieser |Welt voll Feindseligkeiten sehne ich mich sehr nach einem guten Worte von Dir.
Fragen, die be
sonders zu beantworten wären: Was macht Deine
Freundin?
Was Wie
steht es mit Deinem neuen
Stück?
Und was i
st mit dem
Stück von
Burckhardt, welches der alberne
Bahr mit
Shakespeare vergleicht?
Sei von Herzen gegrüßt.
Dein treuer
Paul Goldmann.
Bitte, grüße doch auch einmal Frau
Altmann und deren
|Söhne, wenn Du
sie
sieh
st.