Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureau à Paris Paris, 23. December.
Frohe Weihnachten, liebster Freund!
Mit Deinem Auge
geht es wohl besser? Dein letzter lieber Brief war recht verstimmt. Freilich, mit
einem Absceß im Augenlid sieht sich das Leben nicht schön an.
Und doch hat mich Dein letzter Brief nachdenklich gemacht. Du darfst mir nicht
hypochondrisch werden! Und wenn es Dir schon im Ohre klingt! Muß man denn ganz gesund sein?! Wer von uns ist gesund? Man lebt und leidet eben. Ist das nicht eine alte
Geschichte? Und lebt man deshalb weniger, weil man leidet? Eher mehr.
|Bei alledem glaube ich Dir Deine Krankheit gar
nicht. Du hast das, weil Dir, Gott sei Dank, nichts Ernstes fehlt. Du hast viel Gutes
und Herrliches schon genossen, Du bist ein wenig abgestumpft geworden gegen all’ die schönen Dinge in Deinem Leben, das Errungene bildet darum kein rechtes Gegengewicht
mehr gegen die Melancholie, die von Natur aus in dir wohnt, und ich glaube fast, daß
die Hypochondrie bei Dir eine Form der Blasirtheit ist.
Aufge
schüttelt werden müßte
st Du, heraus müßte
st Du aus Deinem behaglichen
Wiener Ne
st, heraus in die Kälte, in die Fremde! Es
i
st ganz natürlich, daß Du
so, im gleichmäßigen
|Weiter
schreiten, das Bewußt
sein der Kräfte verlier
st, die in Dir wohnen.
Wie darfst Du sagen, daß Du nicht an Deine Zukunft glaubst?! Wer hat Zukunft, wenn
nicht Du?! Nur muß die Zukunft von selbst erwachsen, als natürliche Frucht einer
kräftigen Gegenwart. Ruhig leben, seine Kraft stärken, ausreifen lassen, was reifen soll, und keine Ungeduld! Wenn man natürlich sich jeden Tag hinsetzt und seine
Zukunft machen will, so geht es nicht. Auch hier gibt es er eine psychische Impotenz. Nein, sei ruhig und Deiner selbst sicher (weiß Gott,
Du kannst es!), |wenn es mit de dem Produciren nicht geht, so leg’ es ein wenig
beiseite, schaffe Dir schöne Tage, und laß’ aus Tagen und Tagen ganz unmerklich die
Zukunft werden! . . . .
Übrigens, was rede ich? Wenn Du diesen Brief bekommst, bist Du sicherlich bereits in
ganz anderer Stimmung, wie damals, wo Du mir de den
Brief schriebst, der vor mir liegt.
Keiner von Deinen Briefen aus der↓n↓ letzten Monaten ist mir gestohlen worden. Sei ganz beruhigt! Es handelt sich um einige wenige Briefe früheren
Datums, in denen sicher nichts Wichtiges oder besonders Vertrauliches steht.
|Was i
st mit dem
Burgtheater? Al
so hat es den
Burckhardt doch
er ereilt? Ich wundere mich nur, daß ich
nicht den
Bahr unter den
Directions-Candidaten
le
se. Der
Kerl hat in
Wien den den
schlechten und faulen Boden gefunden, in dem
allein er gedeihen konnte, und er gedeiht. Er wird großer
Pontifex werden, und ich denke, in ein paar Jahren wird man ihm auch das
Burgtheater anbieten. Eines Tages werden dann vielleicht auch
andere Leute entdecken, daß er ein unehrlicher und unver
ständiger Men
sch i
st, aber
dann wird es zu
spät
sein.
|Dir
sollten
sie das
Burgtheater geben. Ich wüßte in der Welt keinen be
sseren Director.
Schlenther? Wäre das der
× Richtige? Die
ser
Berliner und
Protestant, der wahr
scheinlich ein kluger
Mann, aber
sicherlich ein kalter und
åunküns unkün
stleri
scher Mann i
st?
Bitte, grüß’ mir Deine
Freundin recht herzlich. Ich bringe es nicht fertig, ihr irgend etwas von
meinen Arbeiten zu
schicken. Ich weiß, daß das, was ich
schreibe, der Verge
ssenheit
verfallen i
st, und die
ses Bewußt
sein lähmt mich
so, daß ich nicht
es e
inmal die Kraft habe, einen
Artikel
|herauszu
suchen und ihn auf die Po
st zu
geben. Ich bin eben ein Journali
st und nichts Anderes. Frage nur den Herrn
Bahr und
seine Bande,
sie werden es Dir
schon
sagen.
Was macht
Richard? I
st
seine
Novelle beendet? Ich fürchte
sehr, daß es dem Helden einfallen könnte,
zum Schluß noch von einem anderen Tempel zu träumen, und das würde dann wieder ein
bis zwei Jahre dauern. Und
Mirjam? . . . .
Ich habe arge Wochen durchgemacht und fürchterlich gelitten. Es i
st
schlimm, Be
schimpfungen ertragen zu mü
ssen,
|ohne
sich wehren zu
können, und zu fühlen, wie rings um Einen das Mißtrauen
schleicht. Und dabei ganz
allein, im fremden
Lan Lande, ohne Freund, ohne
ermuthigenden Zu
spruch! Und nichts thun können, als einfach ruhig bei
seiner
Überzeugung bleiben. Man muß
stills still
stehen und
seine Pflicht thun, und in die
ser harten Pflichterfüllung i
st keinerlei Ruhe
n zu holen. Nichts als Schläge, und bitterer Zweifel im Innern! Und doch, ich
kann mich nicht ent
schließen, jede Hoffnung aufzugeben. Auf der einen Seite die
Wahrheit, auf der anderen Seite ein ganzes Volk. Es i
st nicht ge
sagt,
|daß das Volk der
stärkere Theil
sein
muß.
Ich habe
Paris satt über alle Maßen. Ich möchte
so gerne fort, aber meine
Zeitung will
m es bisher nicht zugeben. Es i
st ihnen
so bequem, mich als
Ar Arbeitsthier hier zu haben.
Nicht wahr, liebster Freund, Du schreibst mir bald?
Und nochmals von Herzen fröhliche Feiertage!
In Treue
Dein
Paul Goldmann