Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 5. 12. [1895]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureau à Paris:
24. Rue Feydeau. Paris, 5. December.

Mein lieber Freund,

In Angelegenheit der Aufführung von »Liebelei« in Paris habe ich gestern einen Schritt gethan, den ich längst thun wollte. Ich war bei Jean Thorel, dessen Namen Du gewiß kennst. Sehr braver u. gewissenhafter Mensch, wenig Künstler, großer Freund Hauptmanns, von dem er die »Weber« u. »Hannele« für die Pariser Aufführung übersetzt hat, Intimus  von Antoine etc. Ich habe ihm von Deinem Stück gesprochen, il est très – emballé là-dessus, will es gern übersetzen, unter der Bedingung freilich, daß es zur Aufführung |kommt, will Schritte zur Aufführung bei ernsten Theatern thun, verlangt aber baldige Einsendung des Buches, im Druck oder auch im Manuscript. Wenn es irgend geht, sende ihm die Sache, mit einem artigen Briefe, deutsch geschrieben, worin Du Dich entschuldigst, daß Du wegen mangelnder französischer Stylgewandtheit ihm nicht französisch schreibst. Er wird keine glänzende Übersetzung machen; eine gute französische Übersetzung bekommst Du überhaupt nicht, da alle übersetzenden Franzosen mehr oder minder plumpe Handwerker sind; aber von Allen, die ich kenne, |wird er die Sache noch am Wenigsten verhunzen. Damit erledigt sich wohl von selbst der Brief des jungen Mannes aus Lyon, der mir sonssehr gefällt und sehr ehrlich zu sein scheint. Aber ich habe mich nach ihm erkundigt, kein Mensch kennt den Namen, selbst die Lyoner Journalisten nicht. Drum ists wohl besser, sich nicht aufs Unsichere einzulassen und lieber den geraden Weg, d. h. einen bekannten Übersetzer zu wählen. Entschuldige, daß ich den Brief solange behalten. Aber wüßtest Du, was Alles in meinen Kopfe rumort hat, seitdem!
|Hast Du an Aubry oder Frau geschrieben?
Die kürzlich zurückgesandten Drucksachen haben mich interessirt, wie alles Übrige. Wolter, die dumme Gans, hat mich belustigt, Ludassy mag ich gar nicht – auch Einer, der mit dem Erfolge geht und Dich bei der ersten Schwierigkeit im Stich lassen wird. Die kleine Parodie ist nicht übel gemacht. Daß Granichstaedten jede nur irgend mögliche Gemeinheit begeht, isselbstverständlich. Du hast Recht, Dich nicht dabei aufzuhalten. Weiterschreiben ist die beste |Antwort. Zum Hassen und zum Bekämpfen solcher persönlicher Widersacher haben nur die unproductiven Leute Zeit.  Nur den Bahr würde ich an Deiner Stelle doch einsalzen. Das ist nämlich eine Maßnahme von Hygiene des alltäglichen Lebens. Der Bursch darf Dir nicht mehr ins Haus, es muß ein deutlicher und klarer Bruch zwischen Dir und ihm sein. Was hast Du ihm auf das infame Billet geantwortet, das er Dir nach seiner Kritik |zu schreiben die Frechheit hatte?
Bergers Feuilleton hast Du mir leider nicht geschickt.
Daran, daß die Leute Deinen Erfolg Deinen Freunden und Beziehungen zuschreiben, wirst Du Dich gewöhnen müssen. Das Gesindel kann doch nicht rückhaltslos loben; irgend etwas Geringschätzendes müssen sie einfließen lassen. So haben sie das gefunden. Beim nächsten Erfolg werden sie schon auf etwas Neues kommen. Das Alles hat aber nicht die geringste Bedeutung, |und mit all’ ihrer Gemeinheit, vorn herum oder hinten herum, können sie Dir nichts Wesentliches rauben.
Herzl war bei mir und sagte über Dich wohlwollend: »Der ist jetzt der größte Dichter von Wien«. Auch diesen wirst Du bald auf der Gegenseite finden. Oh was für ein widerliches Subject! Ich habe nicht die Kraft gehabt, ihm diesmal den abstoßenden Eindruck zu verbergen, den er mir machte.
|Auch Sudermann ist mir nicht sympathisch. Freilich ist er zu Dir anders, wie zu mir. Aber diesseine Einfachheit ist eine gemachte; und er issogar eitel darauf, der schöne Mann zu sein. Auch bin ich überzeugt, bei Frauen spielt er den Räthselhaften und Dämonischen.
Hast Du nun wirklich die »Liebelei« für Dich umgearbeitet? Und was macht das neue Stück? Werde ich es im Manuskript zu sehen bekommen, auf |einen Tag, wie immer? Und was schreibst Du sonst? Und wie und mit wem lebst Du? Was macht die große Tragödin? Wie lange wird die »Liebelei« noch gespielt werden? Der Erfolg ist phänomenal. Hast Du viel Geld verdient? Und das sparst Du doch hoffentlich? Hast Du die sechs Ausschnitte aus der »Liberté« erhalten, die ich Dir senden ließ? Was macht die Frau Lou Andreas? Was |macht Richard? Arbeitet er? Wird was von ihm erscheinen?  . . . . .
Wir Zwei! In einem Deiner Briefe befindet sich eine lange und rührende Stelle darüber, die mich jetzt beim Wiederlesen nicht weniger bewegt, als beim ersten Mal. Es ist lieb, daß Du Dir solche Mühe gibst, mir die schlimmen Dinge auszureden. Sprechen muß ich Dir davon, denn ich bin Dir Ehrlichkeit schuldig. Von Dir aus ist gewiß nichts zu befürchten. Du wirst |Dich nicht ändern, was auch kommen mag, und wirst einfach und treu bleiben. Aber in mir sitzt das Übel. Ich habe die Empfindung – und sie kehrt immer wieder, trotz allen Ankämpfens dagegen – daß Du mir auf einmal ferner gerückt bist, als je, daß Du und ich jetzt auf zwei ganz verschiedenen Lebensgefilden stehen, die weiter auseinander liegen, als Wien und Paris, und durch etwas Weiteres getrennt sind, als durch einen Raum von fünf Jahren. Du und ich, wir werden jetzt zwei |verschiedene Leben führen. Das kommt nicht plötzlich, aber ganz allmälig, ganz unmerklich. Du wirst oben leben, und ich unten. Derjenige aber, der unten bleibt, bemerkt die Veränderung immer zuerst. Ich habe die Empfindung, daß Du mir langsam entrückt wirst, und daß ich Dir nicht nach kann. Ich denke mir, daß ich ein Stadium in Deinem Dasein war, daß sich Dein Leben von mir weg weiter entwickelt: denn mein Leben entwickelt sich |nicht, und ich bleibe stehen. Ich meine, daß Du mich nicht mehr brauchst, und daß meine Rolle auprès de ta personne ausgespielt ist. Ich sehe Dich weit, weit weg von mir. Schreib’ mir, was Du willst, ich kann mir nicht helfen: ich sehe Dich eben so. Ich weiß, daß Du die größten Kraftanstrengungen machen wirst, um mich mit Dir zu nehmen; aber ich weiß, daß |keine Kraft da nützen kann, weil es ein Gesetz ist, daß ich zurückbleiben muß.
Ich drücke das Alles schlecht aus. Es ist heut wieder ein schlimmer Tag. Ich sitze mit schwerem Kopfe da, und habe mich eine Nacht schlaflos herumgewälzt, in Seelenqualen. Die Arbeit habe ich satt. Habs wieder einmal mit dem Leben versuchen wollen. Oh, was für eine Sehnsucht ich danach habe, nach dem heißen, lebendigen |Leben! Nicht vorwärtskommen, gut! Der Ehrgeiz und das Alles ist doch nur künstlich! Aber leben! Und da ist ein süßes Kind, die der liebe Herrgott für mich geschaffen hat, Grisette oder so etwas. Aber sie kann mich nicht lieben, weil ich nicht jung bin und kein feuriger Liebhaber. Und da es nun nichts wird und da alle Sehnsucht wieder einmal vergeblich war, entdecke ich, daß ich im Innern stets eine Angst davor |gehabt habe, es könne doch wahr werden und mir doch gelingen!  . . . .
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund!
Dein
treuer
Paul Goldmnn
Schreib’ bald!
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar