Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 4. 11. [1893]

|Paris, 4. November.

Mein lieber Freund,

Du mußt mir nicht bössein: Ich habe hier wenig Beziehungen zur ärztlichen Welt und da ich außerdem mit tausend Dingen die Hände voll zu thun hatte, habe ich eine Woche gebraucht, ehe ich Dir das Gewünschte verschaffen gekonnt. Ich sende Dir anbei das »Agenda médical«. Auf S. 381 findest Du die Namen derjenigen Professoren unterstrichen, die mir als die bedeutendsten bezeichnet worden; ihre Adressen sind in dem S. 299 beginnenden |Verzeichniß enthalten. Wenn Du nun Weiteres brauchst, für diessowie für alle zukünftigen Angelegenheiten – wenn Gänge zu machen oder Briefe auszutragen sind etc. – sschreibe mir stets. Insbesondere den mechanischen Theil eventueller journalistischer Maßnahmen kann ich Dir leicht bestreiten helfen, da ich hier einen Büreaudiener habe. Aber auch sonst betrachte mich als Deinen ministre plénipotentiaire und gib’ mir etwas zu |arbeiten. Freilich verlange ich einen Gegendienst. Das ist gemein, aber ich kann nicht anders. Schon während unseres letzten Beisammenseins hatte ich die Bitte auf der Zunge, aber es erschien mir doch gar zu erbärmlich, Dir damit zu kommen. Alsschriftlich: Wäre Dir möglich, wenigstens ein paar Monate lang, meinem Schwager ein Freiexemplar zu bewilligen. Seine Praxis geht noch nicht |gut genug, ihm ein Abonnement zu erlauben. Anderseits möchte er gar zu gern das Blatt lesen. Und da durch einen glücklichen Zufall . . . .  Ich bitte Dich also um Gewährung meiner Bitte, indem ich zugleich gegen die von mir begangene schamlose Ausbeutung protestire. Adresse: Dr. Josef Rosengart, Frankfurt a/M, Rossmark Rossmarkt 20.
Es ist viel Erfreuliches in Deinem lieben Briefe. Vor allen Dingen bin ich |von Herzen froh, daß es endlich mit der Aufführung ernst wird. Da ich so gar nichts hörte, glaubte ich, es sei wieder eine Verschiebung eingetreten. Nochmals: sobald die Aufführung festgesetzt ist, theile mir das umgehend mit. Und reg’ Dich nicht auf wenn die Komödiantenbande, der Gewohnheit gemäß, Dich kränken sollte. Ich hätte so gern genaue Details über die Proben gewußt, ich bin auch überzeugt, daß Du bei unserem nächsten |Beisammensein behaupten wirst, sie mir geschrieben zu haben. Damit werde ich mich wohl begnügen müssen. Laß’ mich wenigstens bald etwas über den Fortgang der Affaire wissen, – ja? Und stärkt Dir das nicht richtig die Productionslust, diese endliche Verwirklichung des so lange Erhofften?
Ich habe den »Anatol« und das »Märchen« hier dem neubegründeten Freien Theater für ausländische Kunst, dem »Oeuvre« eingereicht. |Die Herren waren sehr vergnügt über mein ihnen gewidmetes Feuilleton, und da ich nicht gern die Gelegenheit zum Verlangen von Gegendiensten vorübergehen lasse (siehe oben), so bat ich sie, Deine Stücke zu lesen. Es sind nämlich Leute darin, die deutsch können. Mach’ Dir aber keine allzu großen Hoffnungen. Sie frugen mich nämlich, ob die Stücke »mystisch« seien? Ich wußte nicht recht, was |ich sagen sollte: Bitte, sind sie mystisch?
Übrigens habe ich noch andere Eisen für Dich hier im Feuer. Doch davon später.
Das Blühen in der lieben Wiener Künstler-Laube – oh verdammt, welch’ ein Gleichniß! – beobachte ich mit wehmüthiger Freude. Gewiß, ich weiß, daß Eure drei Namen weit klingen werden, und in nicht langer Zeit. Ich sehe, wie Ihr formt und schafft, und wünsche allen Segen |auf dieses Schaffen herab. Und dann kehre ich in mich ein und habe das traurige Gefühl des Mannes, der einsam und schwach auf einem Stein sitzen geblieben ist und nur noch die fernen Stimmen der Begleiter hört, die durch den Wald hallen: aber sie sind weit und er wird ihnen nimmer nachkommen. Meine Arbeiten? Gewiß weiß ichs nicht, wenn ich etwas Gutes schreibe. Und wenn ich es wüßte: Hat das einen Werth, was ich thue? Geh’, das mußt |Du mir selbst zugeben, daß ich in unserem Kreise bereits immer deutlicher die bitterböse Rolle übernehme »des Mannes, aus dem etwas hätte werden können«.
Ich bitte Dich inständig: veranlasse Loris und Richard, daß sie mir die erschienenen oder zu erscheinenden Sachen schicken. Ohne Briefe: ich weiß, daß die Briefe nach so langer Zeit schwer zu schreiben sind. Die gewisse Furcht vor der Einleitung. Ich |möchte deßwegen aber nicht um die Bücher kommen.
Wenn Du kannst, sschick’ mir, bitte, gelegentlich noch einen »Anatol« – zu Propaganda-Zwecken.
Bahr: Du hast eine so merkwürdige Art, gegen Leute gerecht sein zu wollen, die sich schurkisch gegen Dich benehmen. Nein, – der Mann ist für mich kein großes Talent, selbst wenn er es sein sollte. Ungerechte |Beurtheilung ist bereits eine halbe Befriedigung des Hasses. Und seit der hundsföttischen Kritik über Dich hasse ich den Kerl mehr als je.
Der Briefkasten-Diebstahl des Sosnosky isscheußlich. Ich habe mit meinem Onkel berathen, aber ich glaube, wir können nichts machen, gesetzlich. Höchstens eine Züchtigung im Blatte, die aber auch eine Reklame für das Buch des Gauners wäre.
|Herzl isseit einigen Wochen sehr krank: Malaria oder so etwas.
Was Neues in Wien? Bitte schreibe bald.
Auch ein persönliches Wort: Gesundheit, Production, materielle Fragen.
Mir geht es schlecht, oh sschlecht!
Viele treue Grüße!
Dein
 Paul Goldmnn
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