Die Ge
schichte von den Grenzen der men
schlichen Empfindungsfähigkeit i
st wohl
richtig; aber es bleibt Einem doch nicht er
spart, die ganze Größe des Schmerzes zu
empfinden, nicht auf einmal zwar, aber ratenweis, in einzelnen Attaquen. Ich habe
heut Nacht wieder
so ein wildes Heimwehfieber
durchgemacht; und wenn ich feig wäre, möchte ich den näch
sten Zug benutzen und in der
geliebten
Stadt mich in irgend
einen Winkel verkriechen und nimmer daraus hervorkommen. Weiß der Himmmel – es kommt
mir vor, als hätte ich die größte Dummheit gemacht, da ich von
Wien wegging. Hier i
st es öde und tro
stlos: die kleine
Stadt, die un
sympathi
schen
Men
schen und Langweile an allen Ecken und Enden; man kommt
sich vor wie im Gefängniß,
und der Ruck, mit dem
|die
schwere Thür hinter Einem
in’s Schloß gefallen, zittert in allen Nerven nach. Meinen
Onkel finde ich stumpf, gedrückt, re
signirt
wieder, halb er
stickt von der Klein
stadtatmo
sphäre, mit einer tollen Sehn
sucht nach
der Welt draußen und, ich glaube auch, nach
Wien
im Herzen. Meine
Mutter
krank, gealtert,
sorgenvoll, tief unglücklich. Was ich von den Verhältni
ssen in der
deut
schen Journali
stik bisher gehört habe, lautet höch
st unerquicklich und läßt die
Wiener Zu
stände eher gün
stiger er
scheinen. Die
hie
sigen Collegen empfingen mich freundlich aber kühl, wie es
schon in
Preußen Brauch i
st. Zum
Chefredacteur vorzudringen i
st mir noch
nicht gelungen. Vorläufig heißt es, daß ich bis 1. Juni hierbleiben
soll; Näheres i
st noch nicht verfügt. Was daraus
werden
soll, weiß ich nicht. Mir
scheint, ich hätte be
sser gethan, als
|Stiefelputzer bei irgendwem in
Wien zu bleiben. Hier draußen i
st das
Sibirien und die Verbannung.
Dir und allen Freunden danke ich noch von ganzem Herzen für alles Liebe, das Ihr mich mir bis zum Schluß gethan. Beim Abschied hätte ich Euch
gern noch ein Paar innige Worte gesagt, sand aber nur – wie gewöhnlich – ein Paar
dumme Witze. Auch jetzt finde ich den rechten Ausdruck nicht; ich mag auch nach
keiner stylvollen Redewendung suchen. Mir brennt im Herzen die Trauer um Euch Alle, –
die Überzeugung, daß ich es nie mehr wieder so gut haben werde wie bei Euch – und der
eitle Schmerz, daß ich jetzt schon ganz ersetzt und halb vergessen bin.
Schreib’ mir bald, grüß’ mir Alle – be
sonders
Richard,
Loris und die
Fanjungs – und wenn Du Dich
|selb
st erwi
sche
st,
so
grüß’ Dich,
so oft Du kann
st (Briefka
stenwitz!).
Empfehlungen an Deine Familie.