Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Mein lieber Freund,
Gern hätte ich Dir schon vor einigen Tagen geschrieben, weil mich Dein letzter Brief so hoch erfreut hat und ich Dir den frischen Eindruck davon geben wollte. Es stand so
viel Schönes darin; er war so frei und so leicht. Heut
lagern wieder alle Nebel über meinem Gehirn. Mein Kopf ist wüst. Eindrücke und
Sprache sind unsicher. Und über dem schönen Lichtbild, das ich von Deinem letzten
Briefe gehabt, liegt schon |wieder allerlei
Schwarzes und Verfinsterndes.
Ich schreib’ Dir trotzdem heute, um meinen guten
Willen zu zeigen.
Reden wir zunäch
st einmal von dem Prakti
schen, von der Rei
se. Ich hab’ mir meinen Urlaub diesmal
überhaupt nur in der Form eines Bei
sammen
seins mit
Euch vorge
stellt. Es wäre
traurig, wenn daraus nichts würde. Die äußer
ste Conce
ssion, die ich machen kann, i
st
die: am
15. August wegzugehen bis zum
15. September. Aber
ich muß jedenfalls vor
Ende September zurück
sein, weil die
Kammer
n wegen der Prä
sidenten-
|Wahl diesmal zeitiger zu
sammentreten. Nun könnte
st Du vielleicht in der
letzten August-Woche fort. Oder ich könnte mich vielleicht mit einem
der andern
Zwei inzwi
schen treffen, und Du
käme
st nach. Ich möchte freilich nicht gerne die ober
italieni
schen Seen, denn ich war dort er
st
im vorigen Jahre. Hingegen kenne ich
Florenz noch nicht und möchte gern irgend ein
Itinerarium haben, das
dorthin abzielt. Ich bitte
Dich al
so: überleg’ Dirs und
sprich’ mit den
Freunden und mach’ mir dann nähere
Vor
schläge. Vielleicht können wir
|doch etwas
zu
sammencombiniren. Es wäre
so
schön! Nur muß ich Dich um möglich
st baldige Antwort
bitten. Zwei, drei Tage mit Dir zu
sein i
st mir zu wenig. Man braucht
soviel, um
wieder den alten Ton zu finden. Im Augenblick, wo man
sich
a dann gerade gefunden hat, geht man auseinander. Außerdem ha
st Du bekanntlich
in den zwei bis drei Tagen den Schnupfen. Nein, ich möchte etwas Ausgiebiges – etwas,
was am Anfang wie »für immer« aus
sieht – al
so zum Bei
spiel vierzehn Tage. . . . .
Es thut mir leid, Dich
|mit meinen Andeutungen über
Bahr nervös gemacht zu haben. Es läßt
sich
so
schwer
sagen. Im Übrigen
sind durch
Deine letzten lieben Briefe die Ge
spen
ster beinahe zer
streut. Es kam mir
so vor, als
sei er zwi
schen mich und
Euch getreten, und ich habe ihn im
Verdacht, daß er die
se quälende Vor
stellung ab
sichtlich genährt hat, durch
ges allerlei ge
schickt Hingeworfenes. Weniges zwi
schen
mich und Dich – denn Deiner fühle
|ich mich doch
sicher – als zwi
schen mich und die
Andern, be
sonders
Loris, mit dem ich keine Berührung mehr habe. Und das Letztere
scheint mir übrigens
noch heut
so.
Weißt Du übrigens – ganz unter uns Beiden ge
sagt – daß mir der letzte
Artikel von
Loris über die moderne engli
sche Malerei in der »
Neuen Revüe« gar nicht gefällt? Schon
seit
einiger Zeit merke ich, wenn ich hier und
da da etwas von ihm in die Hand bekomme, daß
sich in mir etwas regt, das nicht
mitthun will. Ich weiß nur nicht
|recht, welcher Art
die
se Regung i
st. Diesmal i
st es mir freilich
et ein wenig klarer geworden. Ich finde, er mangelt der
Disciplin. Er läßt
seine Gedanken und
seine Feder laufen, wohin
sie
wollen. Er
schreibt mir nicht einfach, nicht gerade, nicht
sicher genug. Es i
st mir
auch zuviel Farben
spiel in
seinem
Styl (d Styl (da
glaube ich
sicher den ungün
stigen Einfluß
Bahrs zu erkennen.) Und dann, wie
ge
sagt, das zügello
se Herum
schweifen der Gedanken in allen Zeiten. Zum Bei
spiel:
»
Elementare Offenbarungen |des Genius«
sind nach ihm: Land
schaften von
Whistler, Men
schenköp
se von
Rembrandt, Mu
sik von
Mo Mozart. Ich finde in die
ser Combination irgendwo eine
sal
sche Note, die mich
er
schreckt. Das All
es wird mir wohl übrigens noch klarer werden.
Vielleicht thue ich ihm auch
sehr Unrecht, weil ich nur kleine Nebenarbeiten von ihm
kenne und nichts Haupt
sächliches. . . . .
Frau
Andreas hat
sich mit Deinem Briefe ungemein gefreut. Wir zwei,
sie und ich,
stehen merkwürdig zu
sammen. Als wir
uns kennen lernten,
|th standen wir uns
sehr nahe. Jetzt thun
sich wahre Abgründe zwi
schen uns auf. Ich glaube,
sie
hat mich
sehr über
schätzt. Und für einen eitlen Men
schen, wie ich, i
st es furchtbar
schmerzlich, wenn man zu
sieht, wie die zu hohe Meinung lang
sam der richtigen weicht. . . . .
Über die Fort
schritte Deiner Arbeiten freue ich mich von Herzen. Den
siebzigjährigen Violin-Spieler begrüße ich freudig; denn in
die
se Hülle kann
st Du doch
|unmöglich hinein, und
so
scheint die Lö
sung des Objectivirungs-Problems bevorzu
stehen. Son
st aber wäre das
be
ste Mittel zur Objectivirung:
Paris. Du ha
st keine Ahnung, wie Einen die
se
Stadt fortwährend nach außen reißt. . . .
Von
Duerer soll
st Du die
Briefe
le
sen, die
Thausing sehr
schön herausgegeben hat (bei
Braumueller in
Wien).
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund! Und nochmals: mach’ es möglich, daß wir uns
|in Ruhe wiedersehen!
In Treue
Dein
Paul Goldmann