Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 19. 6. [1894]

(Gazette de Francfort). Paris, 19. Juni.
Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureau à Paris:

Mein lieber Freund,

Gern hätte ich Dir schon vor einigen Tagen geschrieben, weil mich Dein letzter Brief so hoch erfreut hat und ich Dir den frischen Eindruck davon geben wollte. Es stand so viel Schönes darin; er war so frei und so leicht. Heut lagern wieder alle Nebel über meinem Gehirn. Mein Kopf ist wüst. Eindrücke und Sprache sind unsicher. Und über dem schönen Lichtbild, das ich von Deinem letzten Briefe gehabt, liegt schon |wieder allerlei Schwarzes und Verfinsterndes.
Ich schreib’ Dir trotzdem heute, um meinen guten Willen zu zeigen.
Reden wir zunächst einmal von dem Praktischen, von der Reise. Ich hab’ mir meinen Urlaub diesmal überhaupt nur in der Form eines Beisammenseins mit Euch vorgestellt. Es wäre traurig, wenn daraus nichts würde. Die äußerste Concession, die ich machen kann, ist die: am 15. August wegzugehen bis zum 15. September. Aber ich muß jedenfalls vor Ende September zurück sein, weil die Kammern wegen der Präsidenten-|Wahl diesmal zeitiger zusammentreten. Nun könntest Du vielleicht in der letzten August-Woche fort. Oder ich könnte mich vielleicht mit einem der andern Zwei inzwischen treffen, und Du kämest nach. Ich möchte freilich nicht gerne die oberitalienischen Seen, denn ich war dort erst im vorigen Jahre. Hingegen kenne ich Florenz noch nicht und möchte gern irgend ein Itinerarium haben, das dorthin abzielt. Ich bitte Dich also: überleg’ Dirs und sprich’ mit den Freunden und mach’ mir dann nähere Vorschläge. Vielleicht können wir |doch etwas zusammencombiniren. Es wäre sschön! Nur muß ich Dich um möglichst baldige Antwort bitten. Zwei, drei Tage mit Dir zu sein ist mir zu wenig. Man braucht soviel, um wieder den alten Ton zu finden. Im Augenblick, wo man sich dann gerade gefunden hat, geht man auseinander. Außerdem hast Du bekanntlich in den zwei bis drei Tagen den Schnupfen. Nein, ich möchte etwas Ausgiebiges – etwas, was am Anfang wie »für immer« aussieht – also zum Beispiel vierzehn Tage . . . . .
Es thut mir leid, Dich |mit meinen Andeutungen über Bahr nervös gemacht zu haben. Es läßt sich sschwer sagen. Im Übrigen sind durch Deine letzten lieben Briefe die Gespenster beinahe zerstreut. Es kam mir so vor, als sei er zwischen mich und Euch getreten, und ich habe ihn im Verdacht, daß er diese quälende Vorstellung absichtlich genährt hat, durch allerlei geschickt Hingeworfenes. Weniges zwischen mich und Dich – denn Deiner fühle |ich mich doch sicher – als zwischen mich und die Andern, besonders Loris, mit dem ich keine Berührung mehr habe. Und das Letztere scheint mir übrigens noch heut so.
Weißt Du übrigens – ganz unter uns Beiden gesagt – daß mir der letzte Artikel von Loris über die moderne englische Malerei in der »Neuen Revüe« gar nicht gefällt? Schon seit einiger Zeit merke ich, wenn ich hier und da etwas von ihm in die Hand bekomme, daß sich in mir etwas regt, das nicht mitthun will. Ich weiß nur nicht |recht, welcher Art diese Regung ist. Diesmal ist es mir freilich ein wenig klarer geworden. Ich finde, er mangelt der Disciplin. Er läßt seine Gedanken und seine Feder laufen, wohin sie wollen. Er schreibt mir nicht einfach, nicht gerade, nicht sicher genug. Es ist mir auch zuviel Farbenspiel in seinem Styl (da glaube ich sicher den ungünstigen Einfluß Bahrs zu erkennen.) Und dann, wie gesagt, das zügellose Herumschweifen der Gedanken in allen Zeiten. Zum Beispiel: »Elementare Offenbarungen |des Genius« sind nach ihm: Landschaften von Whistler, Menschenköpse von Rembrandt, Musik von Mozart. Ich finde in dieser Combination irgendwo eine salsche Note, die mich erschreckt. Das Alles wird mir wohl übrigens noch klarer werden. Vielleicht thue ich ihm auch sehr Unrecht, weil ich nur kleine Nebenarbeiten von ihm kenne und nichts Hauptsächliches . . . . .
Frau Andreas hat sich mit Deinem Briefe ungemein gefreut. Wir zwei, sie und ich, stehen merkwürdig zusammen. Als wir uns kennen lernten, | standen wir uns sehr nahe. Jetzt thun sich wahre Abgründe zwischen uns auf. Ich glaube, sie hat mich sehr überschätzt. Und für einen eitlen Menschen, wie ich, ist es furchtbar schmerzlich, wenn man zusieht, wie die zu hohe Meinung langsam der richtigen weicht . . . . .
Über die Fortschritte Deiner Arbeiten freue ich mich von Herzen. Den siebzigjährigen Violin-Spieler begrüße ich freudig; denn in diese Hülle kannst Du doch |unmöglich hinein, und sscheint die Lösung des Objectivirungs-Problems bevorzustehen. Sonst aber wäre das beste Mittel zur Objectivirung: Paris. Du hast keine Ahnung, wie Einen diese Stadt fortwährend nach außen reißt . . . .
Von Duerer sollst Du die Briefe lesen, die Thausing sehr schön herausgegeben hat (bei Braumueller in Wien).
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund! Und nochmals: mach’ es möglich, daß wir uns |in Ruhe wiedersehen!
In Treue
Dein
Paul Goldmann
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