Mein lieber Hugo. Seien Sie mir herzlich gegrüßt. Ich lebe im I
nner
sten der Stadt, wie ich in
Wien um keinen Preis leben möchte; an der Kreuzung vieler
Straßen, mitten im Lärm der Ge
schäfte u des Verkehrs. Der Zufall hat es gefügt, da
ss
ich gerade hier die Wohnung gefunden habe, wie ich
sie brauche, und gün
stige
Verbindungen von
Goldmann haben
sie mir
ver
schafft. Ich
sage
mir, obwohl das nicht ganz
richtig i
st. Aber ich habe
mein Zi
mmer allein u
so viel Freiheit, als unter den
bekannten Um
ständen möglich i
st. Manchmal möcht ich wohl lieber ganz allein
sein;
aber vielleicht i
st
|es nur die Sehn
sucht nach der ich
mich
sehne. Ich bin nemlich bisher wirklich noch nie von
Wien fortgewe
sen, ohne dort irgendwen zurück zu la
ssen, um den
ich mehr oder weniger »zittern« mußte; das geht mir vielleicht ab. Im ganzen aber
fühl ich mich, wie Sie
sagen würden »eher« wohl; insbe
sondere tritt das
sonderbare
ein, was
sich i
mmer beinah ein
stellt, we
nn ich auf Rei
sen, be
sser: we
nn ich nicht daheim bin; ich bin beinah gänzlich erlö
st von den Bangigkeiten und
Hypochondrien, die mir das Leben zu Hau
se oft
so heftig
stören. Aber
↓auch↓ da
ss ich gerade
hier bin,
freut mich. Es i
st mir oft, als we
nn ich hier lieber
leben möchte als in
Wien; aber das i
st
wahr
schein
|lich ein Irrtum. Von allem, was ich hier
schon ge
sehn, möchte ich Ihnen lieber er
st in
Wien
erzählen; denn ich frage mich vergeblich, was ich heraus
suchen
sollte. Das
schön
ste
hat mir bisher die Schau
spielerei geboten; es i
st einfach was andres als die
Deut
schen haben; nicht immer was be
ssres vielleicht – aber dem We
sen der Stücke, die
sie
spielen, wunderbar verwandt, was ja
schließlich doch das wichtig
ste i
st. Dramen
scheinen sie ja hier (wo denn???) auch nicht mehr zu
schreiben; ich habe
loi de l’homme, (Hervieu); Douloureuse
(Donnay), – Carrière (Hermant); –
Snob (Guiche) – ge
sehen – es i
st ein vollko
mmener Sieg des Feuilletons auf dem Theater. Ich habe
|wohl auch ein bischen das Gefühl des »
Menschenfreunds« aus dem
Raimund’
schen Märchen gehabt, – aber können wir wirklichen Men
schen uns auch
»be
ssern«? Mit Bewußt
sein entwickeln – das müßte wohl möglich
sein! –
– Sagen Sie mir ein Wort, wie es Ihnen und andren Leuten, von denen Sie gerade
erzählen wollen (was mir jedenfalls erwün
scht wäre) geht. – Ich werde
Ende
Mai,
späte
stens
Anfang Juni wieder in
Wien sein. Das Wetter i
st nicht
schön; noch ke
nn ich eigentlich den
Pariser Frühling nicht.
Grüßen Sie alle, die wir beide gern haben.
Auch Ihren
Eltern, bitte, empfehlen Sie mich freundlich.