Sehr geehrter Herr Doctor.
Wie ich Ihren Brief aufmachte, las ich erst: »mein
Vater ist schon zwei Tage lang todt« und erschrak, – Sie
hätten um ein Haar einen Condolenzbrief bekommen; da las ich ihn noch einmal, weil
mir soviel Gutes drin gesagt wurde, was ich im Einzelnen auf seine Richtigkeit
durchgehen wollte, – das, was Sie über die Hauptlinie sagen, machte mir eine
besondere Freude, denn das meine ich selbst ist im Guten und Üblem der Punkt auf dem
meine Anlage fußt. Nur beim zweiten Lesen sehe ich, daß es 2 Jahre sind und mir wurde
ganz flau. . . sie haben mir so grundernsthaft geschrieben,
Sie hätten auch ein bischen lachen können. Jetzt glaube ich, Sie thun es
heimlich.
Natürlich bitte ich Sie, das häßliche
Buch zu behalten, im Austausch von »
Sterben«
das ich von Ihnen
erhielt. Ich schrieb Ihnen damals über das Buch nichts – – wenn ich Ihnen den Grund
sage, werden Sie es verstehen.
Ola las es und
fand es sehr gut und fein.
Aber ich konnte es nicht leiden – aus einem ganz subjectiven Grund . . . ich konnte mich damals keine Nacht zu Bett legen, ohne
daß das kam, wovon das ganze Buch handelt. Sobald ich das Licht auslöschte und es
ganz schwarz war, kam regelmäßig dies furchtbare Grauen vor dem Aufhören, nicht dem
Sterben, aber dem Nichtmehrsein und nicht blos dem persönlichen Nichtmehrsein,
sondern dem von meinen Liebsten, von dieser Weltkugel. . . . Ich
betrachtete es gar nicht als etwas Krankhaftes, nur als einen Ausschlag von
Vitalitätsgefühl, aber in der tiefen
Schlierseer
Einsamkeit, die mein
Mann
liebt, war es bei mir, Tag und Nacht, immer, und steigerte sich jedesmal beim
Einschlafen zu einem unsagbaren Angstgefühl. Darum mochte ich Ihr
Buch nicht, das ganz auf dieser einen Note
gespielt wird, es potenzierte mein Eigenes zu stark. . . .
Jetzt ist es vorbei. Und an einem sehr schönen, duftenden, schwirrenden Tage will
ich
»
Sterben« wieder lesen. Wenn ich fühle, daß
ich es kann.
Sie sind der einzige von allen Jungen, von dem ich etwas ganz Besonderes erwarten
könnte, – dagegen bin ich nicht sicher, daß es Sie dauernd interessiren wird zu
schreiben. Produciren ist doch auch nur eine Art von Stimulanz-Genuß . . . aber wieviele Stoffe können Naturen wie Sie stimuliren?
Da Sie doch viel zu durchgebildet und von zu guter Herkunft sind als daß die
äusserlichen Eitelkeits- und Erfolgsrücksichten viel für Sie bedeuten könnten.
Aber Ihr nächstes Buch schicken Sie mir wieder? nicht wahr?
Mit verbindlichem Gruß
Ihre ergebene
Laura Hansson-Marholm